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Gespräche mit Heine. Heinrich Hubert Houben
Читать онлайн.Название Gespräche mit Heine
Год выпуска 0
isbn 9788711460887
Автор произведения Heinrich Hubert Houben
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
211. Ludolf Wienbarg49
Oktober 1830
Der Ausbruch der Julirevolution warf Heine aus einer mißmütigen unproduktiven Stimmung in eine fieberhafte Aufregung; er fühlte, daß sie auch in seinem Leben einen bedeutsamen Abschnitt bilden würde. Damals rekapitulierte er die ältere französische Revolution, namentlich zog ihn der klassische Mignet an. Als ich eines Morgens zu ihm kam – er hatte den Tag vorher seine Wohnung verändert –, fand ich ihn recht blaß und leidend, die kleine weiße Hand an das seidene Kopftuch geschmiegt. Meine Frage nach seinem Befinden klang diesmal ohne Spur von Ironie, wie wohl zuweilen, wenn sein ewiges morgenliches Jammern mir ein wenig an Koketterie zu streifen schien. „Ich bin abgeschlagen“, sagte er. „Das hat man von Mignet und der französischen Revolution. Ich las diese Nacht noch spät im Bett, nein, ich las nicht mehr, ich sah die Gestalten selbst aus dem Mignet emporsteigen, die edlen Köpfe der Gironde und das Fallbeil, das sie mit dumpfem Schlag vom Rumpfe trennt, und die heulende Volksmeute, da sah ich nieder und mein Blick fällt auf die Bettstelle, auf diese abscheuliche rote Bettstelle da, und ich komme mir vor, als liege ich auch schon auf der roten Guillotine, und bin mit einem Satz aus dem Bett. Seitdem habe ich kein Auge zugetan.“ – Mich rührte die nervöse Erregbarkeit der Phantasie des Dichters, die mir in ihrer ungeheuchelten Wahrheit vor Augen lag. Ich wurde seitdem duldsamer gegen manche grelle Gefühlspartien in seinen Dichtungen, die man nur zu leicht für künstlich chargiert hält.
[In einer Anekdotensammlung „Walter Kirchhoff“ spricht auch Lyser von dieser „blutrot angestrichenen Bettstelle“; Heine habe daher sein Zimmer die „Guillotinenkammer“ genannt. Er wohnte seit Anfang Oktober bei Dr. Kluth auf dem Neuen Wall.]
212. Ludolf Wienbarg49
1830
Eines Tages, als ich mit Heine spazierenging und die Rede auf Immermann kam, fragte ich: „Halten Sie Immermann wirklich für den großen Dichter?“ Zur Antwort entwarf er mir in einigen Zügen des Genannten große Natur und Eigenschaften. Nach kurzem Schweigen fügte er stillstehend hinzu: „Und dann, was wollen Sie, es ist so schauerlich, ganz allein zu sein.“ – Damals schienen mir diese Heineschen Worte von übertriebener Selbstschätzung zu zeugen. Blicke ich aber zurück auf die öde Zeit, in welcher Heines Stern zuerst aufging, so kann ich sein Gefühl nur gerechtfertigt finden.
213. Ludolf Wienbarg49
1830
Heine hielt sich aufrichtig für den letzten romantischen Dichter Deutschlands. Seinem Verleger sagte er freilich eines Tages nur einfach: „Campe, ich bin jetzt der erste.“ Worauf Herr Julius Campe, eine Prise Tabak nehmend, erwiderte: „Heine, die alten Griechen und Römer verehrten verschiedene Gottheiten, Jupiter, Merkur, Apollo und wie sie alle hießen. Jeder Gott hatte seinen Tempel und jeder Tempel hatte seine Priester. Diese wußten genau, in welchem Ansehen ihre Götter standen, sie hatten dafür den Maßstab der Opfergeschenke in der Hand, welche die Gläubigen dem Altare darbrachten; welcher Gott die meisten Opfer und Gaben erhielt, der war pro tempore der angesehenste. Nun, Sie sind der Gott, dieser Buchladen ist Ihr Tempel und ich bin Ihr Oberpriester. Ich kann Sie aber versichern, daß es mit den Opfern, die Sie erhalten, ich meine, mit dem Absatze Ihrer Werke, für jetzt noch ziemlich mittelmäßig aussieht.“ – Beiläufig zu bemerken, war letzteres wohl nach Verhältnis des großen Rufes gesprochen, welchen Heine schon damals genoß, und der in Frankreich und England einen ungleich rascheren und stärkeren Absatz der Werke zuwege gebracht hätte; abgesehen davon, daß Verlegern derartige Äußerungen des Selbstgefühls der Autoren minder harmlos klingen und ein wenig Dämpfen zu ihrem Geschäfte gehört. – Was aber die ersterwähnte Ansicht Heines von sich als letztem Romantiker betrifft, so hat er solche nicht allein später öffentlich ausgesprochen, ich erinnere auch, daß er sie schon damals in vertraulichen Stunden gegen mich geäußert hat und daß es ihm am Herzen lag, eben von dieser Seite aufgefaßt und gewürdigt zu werden. Ich erinnere aber auch, daß er in dieser Hinsicht einen ungelehrigen Schüler an mir fand und daß ich ihn als Romantiker nicht gelten lassen wollte ...
Die früheste, nicht bei Hoffmann & Campe erschienene Sammlung seiner Gedichte war mir unbekannt, und ich würde auch die dort ausgesprochene Begeisterung für das deutsche Vaterland und die Liebäugelei mit der Jungfrau Maria dermalen nicht so hoch angeschlagen haben; fand er es doch an mir unbegreiflich, daß ich den alten E. M. Arndt verehren und doch ein Jünger des Humanismus sein konnte. Indes erschien mir in der Folgezeit jene Dichterstellung, die er sich selbst anwies, nicht so übel gewählt zu sein, wenn sie auch, zu seinem Nachteil, eine einseitige bleibt.
214. Ludolf Wienbarg49
1830
Heine war nicht blind gegen manche seiner Mängel. Er kannte zum Beispiel genau die Schattenseiten, die sich an die Glanzseiten seiner Darstellung hefteten. Einem jungen Schriftsteller sagte er mal: „Professor Z. [Zimmermann] hat Ihre Verse gelobt; mit Recht, der Bau (es war eine metrische Übersetzung aus dem Griechischen) ist schwungvoll und elegant, aber das hat in meinen Augen weniger auf sich. Ihre Vorrede hat mich entzückt, ich beneide Sie um Ihre Prosa.“ – Als der Erwähnte ihn mit etwas spöttischem Unglauben ansah, rief er aus: „Nein, nein, das ist kein Kompliment von mir, das ist meine aufrichtige Meinung. Sie sind noch ein freies Roß, ich habe mich selbst Schule geritten. Ich bin in eine Manier hineingeraten, von der ich mich schwer erlöse. Wie leicht wird man Sklave des Publikums. Das Publikum erwartet und verlangt, daß ich in der Weise fortfahre, wie ich angefangen bin; schrieb ich anders, so würde man sagen: das ist gar nicht Heinesch, Heine ist nicht Heine mehr.“ – Er meinte ohne Zweifel, außer dem beständigen Hervortreten seiner Person die Häufung der pikanten Beiwörter ... überhaupt aber jene überwiegend in sinnlicher Anschauung verweilende, meist so reizende, witzige, das gewählte Bild in künstlerischer Harmonie ausführende, zuweilen jedoch überkünstelte Plastik seines Gedankenausdrucks ... Niemals zergliederte er die Erscheinungen, und es konnte ihm daher auch nicht der entgegengesetzte Fehler des Nergelns und Verschnitzelns zustoßen. Er sah sich die Personen und Dinge an und gab ihnen Namen, nicht selten mit der Originalität eines ersten Spracherfinders, wie Adam im Paradies. Er ließ die Erscheinungen ganz, wenn er sie anders nicht in böser Absicht zerreißen wollte, und auch alsdann schund er sie lieber, als daß er sie zerfetzte. In seinen Betrachtungen war jedesmal eine leitende Idee, in seinen Charakteristiken eine scharf ausgeprägte Marke, in seinen Bildern ein Zug und eine Farbe vorherrschend. – Auf den Höhepunkt seines prosaischen Stils trat er später in den Pariser Korrespondenzen in der Augsburger Zeitung, eine Periode, welche die mannigfaltigste Entwicklung seiner Geistesgaben herbeiführte und seinen Scharfblick, seine raschen Apercüs in der Darstellung der Zustände und Personen der weltbewegenden Stadt bewundern ließ. „Der gute Schriftsteller zeigt sich weniger durch das, was er niederschreibt, als durch das, was er wegläßt“, war eine seiner gewichtigen Äußerungen.
[Der Schriftsteller ist Wienbarg selbst; Heines Lob bezog sich auf das Schriftchen „Jason. Episches Gedicht nach Pindar. Übersetzt, bevorredet, erläutert von Ludolf Vineta“ (d. i. Wienbarg). Hamburg, Hoffmann & Campe, 1830. (Vgl. Strodtmann I, 619.)]
215. Ludolf Wienbarg49
1830
Er sprach ohne Anklang von Dialekt. Nur einmal war ich Zeuge, wie eine leidenschaftliche Aufregung ihm Worte entriß, die sehr an die eigentümlichen schrillen Kehllaute des Volkes erinnerten, dem er ursprünglich angehörte. Es war beim Hereintreten in sein Zimmer, wo ich ihn im heftigen Perorieren und vibrierender Arm- und Fingerbewegung einem mir fremden Mann gegenüber fand.