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Constitutionnel, Écho und Débats neigen lassen. Mit einem Wort, er ist ein höchst schäbiger Vorläufer des ungleich berühmteren Apothekers Homais, und in der erstaunlichen Erzählung mit dem Shakespeareschen Titel »Quidquid volueris« und dem Balzacschen Untertitel Études psychologiques weiß der junge Flaubert bereits, wofür einer in dieser Gesellschaft das Kreuz der Ehrenlegion, nach dem es den Pharmazeuten so sehr und schließlich mit Erfolg verlangen wird, zugesprochen bekommt: dafür, dass er seine schwarze Sklavin von einem Orang-Utan begatten lässt. Passion et vertu, auch dies ein Conte philosophique, ist vollends eine verblüffende Vorbildung der Madame Bovary.

      Vordergründig ist »Quidquid volueris« ein erotisches Schauermärchen: Nachdem die Kopulation vollzogen ist, der »poupon« Djalioh geboren, seine menschliche Mutter gestorben und das Kreuz erworben, heiratet sein Herr, Monsieur Paul, die schöne Adèle, und der aus dieser Verbindung hervorgehende Säugling ist naturgemäß schöner als der Halbaffe Djalioh. Doch die Eifersucht treibt Djalioh zum greulichen Finale: Er erschlägt das Kind, vergewaltigt und ermordet Adèle und zertrümmert sich selbst den Schädel am Kamin. Flaubert kann es sich jedoch nicht verkneifen und ergänzt noch eine bösartige Coda: Der Leser erfährt, dass die schöne Adèle bei der Umbettung auf den Père Lachaise »ihre Schönheit verloren hatte« und »so sehr stank, dass einem Totengräber übel wurde«. Djalioh dagegen wird als »wundervolles Skelett« im Naturkundemuseum aufbewahrt, und der ungerührte Monsieur Paul seinerseits hat sich längst wiederverheiratet, und »heute abend treffen Sie ihn im Théâtre Italien«. Die zwei Vergewaltigungen durch den Affen und den Halbaffen werden von dem Fünfzehnjährigen mit einer solchen pubertären Inbrunst ausgemalt – und natürlich mit dem unausgesprochenen Appell an den ganz normalen Voyeurismus –, dass er damit die Vielzahl der anderen Motive fast verdeckt. Denn die Erzählung ist außerdem noch Satire auf einen naturwissenschaftlichen »Forscher«, eine Parabel auf das »Unglück«, das »in der Ordnung der Natur« liegt, und auf die kreatürliche, materielle Vergänglichkeit des Menschen als »charogne«, als Aas. Kaum jemals wurde wohl so krass der materialistische Glaube ausgesprochen, dass jeder »Engel an Schönheit sterben und eine Leiche werden wird, das heißt ein stinkendes Aas, und dann ein bisschen Staub, das Nichts …« Vor allem aber ist »Quidquid volueris« eine schon überdeutlich, ja, aufdringlich illustrierte Großmetapher für das Schicksal des Außenseiters, als den Flaubert sich selber bereits verstand. Gerade weil er es durch Geburt ist, muss Djalioh auf ewig der Ausgeschlossene schlechthin bleiben, die, im Wortsinne, Verkörperung des biologisch Fremden, des Anderen, des Prä-Historischen, das die bürgerliche Gesellschaft niemals in sich aufnehmen kann noch will.

      Die gleichen Motive verarbeitet auch Passion et vertu, aber die Geschichte, die der Autor sich zum Vorwurf nimmt, verdient Interesse nicht nur wegen ihrer verblüffenden Verwandtschaft mit dem großen Roman von 1857. Die unerhörte, aber wahre Begebenheit entdeckte Flaubert in der Gazette des tribunaux vom 4. Oktober 1837, und auch Stendhal, der als eifriger Leser dieser Gerichtszeitung dort schon das Sujet von Rot und Schwarz gefunden hatte, war auf genau denselben Fall gestoßen. Mazza, eine junge Frau aus guter Familie, schließt eine konventionelle Ehe, beginnt aber zugleich eine Affäre mit Ernest, einem eher schwachen, zunächst geschmeichelten, dann aber durch die wachsende Leidenschaftlichkeit der Geliebten irritierten Mann. Um der Sache ein Ende zu machen, entflieht er nach Brasilien. Die Verlassene aber, im Glauben, den unwürdigen Liebhaber doch noch zu gewinnen und ihm folgen zu können, vergiftet zunächst ihren Gatten, dann die beiden Kinder und zum Schluss, da sie erfahren muss, dass jener nun eine andere heiratet, auch sich selbst. Die Ehebrecherin stirbt mit dem Giftflacon im Bett. Die oft gestellte Frage, ob Flaubert sich zwanzig Jahre später an die Jugenderzählung erinnert hat, ist nicht zu beantworten. Dass Flaubert diese Konstellation gleich zweimal gestaltete, ist jedoch Zeichen genug für eine außerordentliche Faszination. Gegenüber dem phantastischen Greuelmärchen von Djalioh zwingt der bürgerliche Zuschnitt der zweiten Erzählung den Autor zu größerer Präzision und Zurückhaltung bei den pittoresken Details der mörderischen Handlung. Im Zentrum steht jetzt ganz und gar die innere Verfassung der Frau, ihre ausschließliche, keine Ordnung anerkennende Leidenschaft, aber auch, und das ist neu bei Flaubert, deren äußere, in der Gegenwart aufgefundene Bedingungen. Flaubert, der sich plötzlich als Kenner aller Tricks erotischer Verführung vorstellt, setzt seine Geschichte ausdrücklich ab von vergangenen Epochen, zum Beispiel von der »Schäfermethode à la Ludwig XV.«: Was ihn interessiert, ist der Stand von Leidenschaft und Tugend in seinem materialistischen Jahrhundert. »Es ist die Grausamkeit eines Anatomen, aber in den Wissenschaften sind Fortschritte gemacht worden, und es gibt Leute, die ein Herz sezieren wie eine Leiche.« Die Täuschung liegt nahe, dies als verstecktes Selbstbekenntnis des Autors zu verstehen, doch im Kontext der Erzählung ist es das Gegenteil: nämlich die Charakterisierung der auf Rationalität und Planung beruhenden Verführungstechnik des Mannes. Flauberts Sympathie indessen liegt ganz auf der Seite der romantischen, impulsiven, irrationalen Frau, nicht auf der des fortschrittlichen Anatomen.

      Passion et vertu spielt nicht nur in der Gegenwart, sondern ausdrücklich in dem Flaubert damals noch recht unbekannten Paris. Ein seltsames, romantisches Bild der Großstadt erscheint: »Oh, in den großen Städten gibt es eine verkommene und vergiftete Atmosphäre, die einen betäubt und trunken macht, etwas Schweres und Ungesundes, wie jene düsteren Abendnebel, die über den Dächern liegen. / Mazza atmete diese Luft der Verkommenheit mit vollen Zügen, roch sie wie ein Parfum und zum ersten Mal; nun verstand sie alles, was es gab an Großem und Unermesslichem im Laster und an Wollüstigem im Verbrechen.« Ganz allein steht in Flauberts Werk diese seltsame Anrufung eines mythischen Paris, in dem der zauberhafte Abend Freund der Verbrecher wird, und ganz offenkundig bringt sie einen Ton in die Erzählung, die dieser eigentlich nicht zugehört und ihrem Grundimpuls sogar widerspricht. Die Morde, mit denen Mazza ihre Freiheit erlangen will, entspringen allein der Radikalisierung ihrer erotischen Leidenschaft, und die Idee, dass die verbrecherische Atmosphäre der Großstadt sie erst zu ihren Untaten inspirieren und befähigen sollte, ist eine romantische Verklärung und gewiss keine Beschreibung wirklicher Ursachen. Passion et vertu ist ein Schritt zur Schärfung der Gegenwartsanalyse, doch solange in der Darstellung der äußeren Wirklichkeit dieser Weg nicht konsequent fortgesetzt wurde, konnte das Ergebnis den Autor nicht vollkommen überzeugen.

      So unterschiedlich »Quidquid volueris« und Passion et vertu von der erzählerischen Oberfläche her auch sind, im Inneren verbindet sie ein Impuls, der sich immer stärker vordrängte ins Zentrum von Flauberts Schreiben: die Destruktion der Familie als Keimzelle der bürgerlichen Gesellschaft. Die höhnische Ablehnung des Bürgertums, seiner Bêtise, seiner selbstzufriedenen Dummheit, seiner Gemeinplätze des Denkens und der Anstandsregeln, bleibt in Flauberts Leben eine unerschütterliche Konstante, und schon jetzt spricht sie sich regelmäßig aus in seinen Briefen, obwohl für den Schriftsteller die Alternativen zur bürgerlichen Existenz unter der »paillasse« Louis-Philippe nur in den rhetorischen Wünschen nach einem Leben im Zuschnitt des Kaisers Nero oder eines Marquis de Sade bestehen. Die Familie, der Hausstand aber ist das Abbild der Gesellschaft im Kleinen, und mehr noch: Die Familie ist die Klaue, mit der die Gesellschaft das Individuum packt und in sich hineinzieht. »Quidquid volueris« und Passion et vertu zeichnen die Familienbande als korrupt; die Ehemänner von Mazza und Adèle sind gleichermaßen dumm und vulgär, der Liebhaber ist es nicht weniger. Die Ehe unterscheidet sich nicht von einer Vergewaltigung durch Affen. Mazza scheitert keineswegs daran, dass sie die gewöhnliche Ehe und ihre Regeln überschreitet; sie scheitert an ihrer Verblendung, in der sie von der Ehe mit dem Ermordeten hinüberwechseln will zu einer neuen, genauso trivialen, mit dem Liebhaber. Man vergiftet aber nicht Mann und Kind, nur um sich neue anzuschaffen. Man demoliert nicht seine Familie, nur um vom Spießerglück in einer anderen zu träumen. Wer so radikal seine Vergangenheit und seine Bindungen vernichtet, der muss radikal weitergehen, und wer das nicht weiß, geht selbst zugrunde. Die Brutalität, mit der Djalioh den Säugling aus dem Körbchen reißt und auf dem Boden zerschlägt, mit der er seine Krallen tief hineingräbt in Adèles weißes Fleisch, ist die Brutalität eines Wesens, das eine Grenze überschreitet, ohne Umkehr. Mazza hat das nicht gewusst, als sie ihren Kindern tagtäglich brav den Löffel Gift verabreicht, und nur darin besteht ihre Tragik.

      Flaubert nähert sich mit seinen Erzählungen einer Denkfigur, die den französischen

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