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und die widerspenstige Abwehr gegen das gelebte kreatürliche Leben sind von Anbeginn das Zeichen dieser Existenz. Wollte man nach Gründen suchen, so wäre die Erfahrung des Hôtel-Dieu der einzig plausible, aber wahrscheinlich ist es auch gar nicht nötig, jenseits von Charakter und Geburt nach weiteren Wurzeln dieser »mélancholie confuse et infinie« zu suchen, erscheint doch in allen Briefen Flauberts das Schreiben als die eigentliche melancholische Tätigkeit. Nach der Familienlegende, die seine Nichte Caroline Commanville 1895 in ihren Souvenirs intimes sur mon oncle berichtete, hat Gustave erst mit neun Jahren lesen gelernt, und zu einem Gutteil beruht hierauf jene andere, die moderne Legende vom »Idiot de la famille«. Ganz falsch kann die familiäre Überlieferung kaum gewesen sein, aber da die ersten eigenhändigen Briefe Gustaves aus dem Jahre 1830 stammen, wird man sie nicht wörtlich nehmen: Es bleibt, dass Gustave in den Augen seiner Eltern und gewiss gegenüber dem älteren Bruder Achille ein spät lernendes Kind gewesen ist. Umso auffälliger, dass der unter Schwierigkeiten erworbene Umgang mit der geschriebenen Sprache sofort der einzige Lebenszweck dieses Menschen wird; sofort, das heißt: Bereits der vierte erhaltene Brief, der aus den Tagen um den 1. Januar 1831 stammt, handelt, wenn auch in unsicherer Orthographie und Zeichensetzung, nur noch von dem einen: »Freund ich werde dir meine politischen und konstitutionellen liberalen Reden schicken. […] ich werde dir auch meine Komödien schicken. Wenn du willst tun wir uns zusammen um zu schreiben, ich schreibe Komödien und du schreibst deine Träume, und da eine Dame zu Papa kommt, die uns immer Dummheiten erzählt, werde ich sie aufschreiben.« Und wenn er am 4. Februar 1832 fortfährt: »Ich hatte Dir gesagt, dass ich Stücke schreiben würde aber nein ich werde Romane schreiben die ich im Kopf habe«, so eröffnet der Zehnjährige hier einen Diskurs, der erst achtundvierzig Jahre später enden wird, mit seinem Tod. Wie viele Lebensläufe mag es geben, die so ausschließlich, so radikal beherrscht wurden vom Schreiben? Vom Schreiben sogar mehr noch als von der Literatur, denn auch wenn Gustave bald von seinen Lektüren zu berichten beginnt, so steht das eigene Schreiben immer im Vordergrund.

      Flaubert hat die Manuskripte seiner Jugendschriften penibel aufbewahrt, und das spricht dafür, dass er all diese Erzählungen, Stücke und Tagebücher für wichtige Zeugnisse seiner Entwicklung ansah. Da er an ihnen jedoch ganz gewiss keine literarische Qualität erkennen wollte, spricht es vor allem für den großen Wert, den er selber autobiographischen Zeugnissen beimaß. Flauberts Schreiben war von Anfang an auch die Dokumentation einer schreibenden Existenz. Der archivarischen Sorgfalt des Romanciers verdankt die Literatur einen Textkorpus an unveröffentlichten Jugendwerken, der sicher zu den reichsten seiner Art gehört und der an Umfang neben dem gesamten publizierten Lebenswerk sehr respektabel dasteht. Was Flaubert im ersten Jahrzehnt seines schriftstellerischen Weges schrieb, sind die Stilübungen eines Besessenen. Ohne das Schreiben scheint ihm bereits damals sein Leben nicht mehr vorstellbar. Dass einer bereits vom Zwang zum Schreiben getrieben ist, aber noch nichts zu sagen hat, ist zwar eine gängige Vorstellung für die Exerzitien eines frühreifen Knaben, Flauberts Jugendwerke sind aber schon zu tief von Themen und Motiven seines ganzen Lebens durchzogen, als dass sie mit diesem Passepartout zu fassen wären. Gewiss werden diese Motive noch überwuchert und mitunter nahezu verdeckt von Stereotypen, Klischees, Formeln, Schablonen, die er bei seinen Lektüren in Schule und Hôtel-Dieu ausborgte, und diese Quellen, die der eigenen Phantasie aufhelfen, sind leicht zu identifizieren: Da sind Byron, der Held einer ganzen Generation, und seine romantischen Zeitgenossen Victor Hugo, Chateaubriand, Lamartine; da sind Montaigne, Rabelais, Shakespeare und Goethe; da sind die großen Dramatiker, da sind die historischen Chroniken zum Frankreich vergangener Jahrhunderte und natürlich auch die populären Schmöker einer zeitgenössischen Schauerromantik. Bei einem unermüdlichen Leser wie Flaubert wäre die Liste noch zu verlängern, aber es führt zu nichts, Namen aufzuzählen, die sich bei der Lektüre auf den ersten Blick erschließen und die ohnehin selbstverständlich sind für eine Generation, die undenkbar ist ohne Balzac und Hugo. Bei weitem interessanter wird, was der junge Autor machte aus dem Repertoire seiner Zeit, und natürlich verschlangen sich eigene Obsessionen und erborgte unentwirrbar ineinander.

      Was ist an den frühesten historischen Erzählungen und Contes phantastiques Imitation und was eigener Impuls? Die Frage wäre falsch gestellt, denn nicht nur Flauberts Schreiben ist die langsame Aneignung überlieferter Formen und Motive zu eigenen Zwecken. La fiancée et la tombe von 1835/36 ist einerseits der Versuch, unendlich oft variierten Populärgeschichten nachzuschreiben, andererseits sind die Gespenstergeschichte und ihre Motive von Tod, Vergänglichkeit und schwüler, ins Verbrechen gleitender Erotik auch sonst eine beständige Obsession des Jungen. Aus den Sommerferien 1834 schreibt Gustave am 26. August seinem Freund Ernest Chevalier nicht nur, wie gerne er selber baden geht, sondern besonders ausführlich von einer Dame, »oh, eine hübsche Dame, kindlich obwohl verheiratet, rein obwohl zweiundzwanzig«, die im Meer ertrunken war. »Jetzt plant Eure Vergnügungen, wer kann die Folgen abwägen! Zeuge ist jene Dame, die ans Meer eilte, um sich zu amüsieren, und dort das Grab fand.« Gewiss ist die Sprachgestalt, mit der Gustave in Briefen und Erzählungen sein Memento mori einkleidet, unselbständig und geliehen, wie sollte es bei seinen Jahren auch anders sein; dass er jedoch überhaupt dieses Thema ohne Unterlass anschlägt, kommt nur aus ihm.

      Flauberts früheste Werke stammen, mit der »literarischen Zeitschrift« Soirées d’étude, aus den Jahren 1834/35, und diese Gruppe, eine Vielzahl von kürzeren Texten, endet um 1840 beim Beginn der Arbeit an den ersten umfangreichen autobiographischen Erzählungen. Bereits 1836 steigert sich Un parfum à sentir zu einer emphatischen Anrufung: »Vielleicht wisst ihr nicht, welch Vergnügen das ist: dichten! / Schreiben, oh! schreiben, das heißt die Welt in Besitz nehmen, ihre Vorurteile, ihre Tugenden, und sie zusammenfassen in einem Buch. Es heißt sein Denken zur Welt kommen, wachsen, leben sehen, sich auf sein Piedestal stellen und dort für immer bleiben. / Ich beende also dieses seltsame, bizarre, unbegreifliche Buch. Das erste Kapitel habe ich in einem Tag gemacht; einen Monat lang habe ich dann nicht mehr gearbeitet; in einer Woche habe ich fünf weitere gemacht, und in zwei Tagen habe ich es vollendet. / Ich werde euch seine philosophischen Gedanken nicht erklären. Sie sind traurig, bitter, düster und skeptisch … sucht sie.« Hier ist der ganze junge Gustave Flaubert: sein Wunsch nach dem Ruhm des Schriftstellers, sein etwas großspuriger Anspruch als Philosoph, seine ostentative Bitterkeit und Resignation, vor allem aber seine einzige Idee, schreiben. Nichts davon wird sich in seinem Leben je verlieren. Und unübersehbar bilden sich sofort auch dauerhafte Verhaltensweisen und eine Selbstdarstellung als Schriftsteller heraus, an denen dieser Flaubert immer erkennbar bleiben wird: »Ich arbeite wie ein Dämon und stehe morgens um halb vier auf«; »ich quäle mich in der Perfektion. […] Ich habe gerade noch die Kraft zu rauchen. Mein Herz ist voll mit einem großen Ennui«; »Ich schreibe Bücher, die niemals den Prix Montyon bekommen, und ›die Mutter wird ihrer Tochter die Lektüre nicht erlauben‹, obwohl ich diesen Satz säuberlich als Motto setzen werde«. Mit noch nicht siebzehn Jahren verkündet er im Stil des lebenserfahrenen Zynikers: »Oh, wie recht hatte Molière, als er die Frau mit einer Suppe verglich, mein lieber Ernest. Viele Leute wollen davon essen. Sie verbrennen sich, und danach kommen andere.« Als frühreife Prahlereien könnte man das abtun – kehrte nicht jedes dieser Themen tatsächlich ein Leben lang wieder. Flaubert hat sich vorausgeahnt oder, anders gesagt, hat sich als der entworfen, der er werden wollte, werden sollte, und so sind seine Äußerungen, wie pueril sie zuweilen auch anmuten, unbedingt ernst zu nehmen.

      Von Anfang an ist er der Mann der Ablehnung, der Verweigerung, des »refus«, auch wenn man sich naturgemäß fragt, auf welcher Wirklichkeitserfahrung das Pathos dieses Fünfzehnjährigen beruhen mag: »Oh, diese brave Zivilisation, dieser Hurenbrei, der die Eisenbahn erfunden hat, die Gifte, die Klistierspritzen, die Sahnetorten, das Königtum und die Guillotine.« Das ist nicht nur witzig gesagt, auch der Bezug auf die unmittelbare Gegenwart ist offensichtlich. Wenn Flaubert ausgerechnet die Eisenbahn in seiner Suada nennt, dann um ausdrücklich den guten Rouennaiser Bürgern und wohl auch Familienmitgliedern in den Topf zu spucken, galt doch die Eisenbahn als letzter Schrei des wissenschaftlichen Fortschritts und drehten sich die tagtäglichen Gespräche gerade in diesen Jahren unaufhörlich um die so unerhört bequeme Schiene, welche die Flussfahrt aus der Provinz nach Paris ersetzen sollte. Flaubert ironisierte den Fortschrittsgötzen Eisenbahn auch noch in späteren Briefen, und besonders, nachdem die Strecke Paris – Rouen im Mai 1843 endlich eröffnet wurde; als Schriftsteller, der regelmäßig

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