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er weiß, wovon er schreibt: »Ich lese mit Entrüstung, dass die Theaterzensur wieder eingeführt und die Pressefreiheit abgeschafft wird! […] aber eines Tages, und dieser Tag wird bald kommen, beginnt das Volk die dritte Revolution; wehe den Köpfen der Könige, wehe den Strömen von Blut. Jetzt nimmt man dem Schriftsteller sein Gewissen, sein Gewissen als Künstler. Ja, unser Jahrhundert ist fruchtbar an blutigen Umwälzungen.« Interessanter als die nicht sehr schwierige Prognose, dass auf die Revolutionen von 1789 und 1830 eine weitere folgen und den Bürgerkönig Louis-Philippe hinwegfegen werde, interessanter als der populistische Furor, der ihn als den Demokraten erscheinen lassen könnte, der er nie gewesen sein wird, interessanter ist, dass Flaubert sich bereits hier nicht mehr als der dilettierende Junge sieht, sondern als Schriftsteller, der sich Gedanken macht über die Wirkung der öffentlichen Angelegenheiten auf sein Schreiben. Auch wenn er die Ankündigung, er werde seine Werke in diesem Leben niemals drucken oder aufführen lassen, am Ende natürlich nicht wahrgemacht hat, seine Begründung zeigt schon ein genaues Bewusstsein von den Schwierigkeiten, denen sich seine literarische Radikalität gegenübersehen wird: »Es ist nicht die Angst vor einem Verriss, sondern der Ärger mit dem Verleger und dem Theater, was mich abstoßen würde. Trotzdem, wenn ich jemals einen aktiven Anteil an der Welt nehmen werde, dann als Denker und Demoralisator. Ich werde nur die Wahrheit sagen, doch sie wird furchtbar sein, grausam und nackt.« Eine bloße billige Behauptung ist diese Verweigerung jedenfalls nicht, unternahm Flaubert doch bis zur Madame Bovary tatsächlich keinen ernsthaften Versuch zu irgendeiner Publikation.

      Nein, auch wenn zu glauben schwerfällt, dass bisher nur vom Denken und Schreiben eines Heranwachsenden zwischen dem neunten und achtzehnten Lebensjahr die Rede war: Der Flaubert der Jugendwerke und Jugendjahre ist ein intensiv und hochbewusst arbeitender Schriftsteller, der zwar noch weit entfernt ist von der Perfektion seiner ersten Meisterwerke, dessen Erzählungen und Skizzen aber schon jetzt Gegenstand ernsthafter Analyse im Rahmen eines Lebenswerks sein müssen, eines Lebenswerkes, das von diesen ersten Schritten an eine erstaunliche Konsequenz verrät. Vieles wird durch äußere Dinge zu erklären sein, manches eher durch Psychologie; die Frage nach dem »Warum und woher« versagt vor der Konsequenz, mit der die tiefsten Konstanten dieses Lebens als Apriori dastehen: der Weltekel, der Ennui, die Melancholie, die Verweigerung eines aktiven, nützlichen Lebens, letzten Endes die Verweigerung kreatürlicher Bewegung schlechthin. Flaubert ist von allem Anfang an einer, der verweigert, was ihn integrieren könnte in jene unendlich komplizierte Organisation von Austausch und Miteinander, von Trieben und Rationalisierungen, von Natur und Kultur, die man Gesellschaft nennt. Er weigert sich, eine Komponente dieses Organismus zu sein, und das ist es, was er, der junge Romantiker, jetzt immer wieder als Hass auf das Leben und als Todeswunsch umschreibt. Der Denker und Demoralisator kennt nur einen Ort: das Außerhalb.

      Flaubert wusste sehr gut, wo er lebte, im Frankreich des Louis-Philippe, und er wusste sehr gut, wusste es aus der alltäglichen Erfahrung mit Eltern und Schule, mit dem Zwang zu einem korrekten Beruf, mit dem leuchtenden und erfolgreichen Vorbild des Bruders, der den Pfaden des Vaters ordnungsgemäß folgte, wusste, dass es in der profanen Welt dieses radikale Außerhalb nicht gibt. Was er noch nicht wusste, das ist, wie und ob diese Unmöglichkeit für ihn als Schriftsteller lebbar sein würde, lebbar durch eine praktische Existenzform innerhalb dieser abgelehnten profanen Gesellschaft und durch eine literarische Form für seine Werke, die imstande wäre, diese Erfahrung in sich aufzunehmen und zu reflektieren. Die pathetische Anrufung »der Poesie« schlechthin, die sich immer wieder in den Jugendbriefen findet, ist da nichts als eine epigonale, ganz rhetorisch bleibende Geste, die Flauberts eigentliches Problem nicht lösen konnte. Nichts vermag »die Poesie« zu retten, denn gerade der Dichter vergangener Jahrhunderte, sei’s der lyrische Sänger, sei’s der im höfischen Theaterbetrieb arbeitende Dramatiker, ist unmöglich geworden. Flaubert musste als einer der ersten sich die Frage stellen, wie er als unabhängiger Schriftsteller eine Existenz finden konnte in einer Gesellschaft, der er ausdrücklich als »Demoralisator« gegenübertrat; als einer der ersten musste er die Anerkennung ausgerechnet einer Gesellschaft verlangen, deren rigorose Ablehnung unveränderliche Bedingung seines Schreibens sein wird. Die ursprüngliche Verweigerung von Publikation und Aufführung zeigt, dass Flaubert sehr wohl seine Situation erkannte, aber auch, dass er außer der hochmütigen Geste noch keine Antwort auf sie besaß, vor allem noch keine gültige literarische Form.

      Die frühen Werke machen sein Problem erkennbar bis ins Detail. Zwar werden die großen Motive eines Lebens hier alle schon angeschlagen, doch häufig so, als wisse Flaubert noch nicht, was mit ihnen anzufangen wäre. Vieles steht isoliert wie in einer Montage, anderes so, als habe der Autor auch hier schnell noch eine seiner Obsessionen unterbringen müssen. Mitunter fehlt seinen Erzählungen ein eigentliches Zentrum, und noch die großen autobiographischen Erzählungen der vierziger Jahre sind häufig überdeterminiert und enthalten thematisch überzählige Motive. Wichtiger als diese technischen Anfängerschwierigkeiten sind die sich deutlich abzeichnenden Konstanten: die romantische Emphase und der böse Blick des Gegenwartsanalytikers. Am 14. November 1840, bei der Rückkehr von einer gut zweimonatigen Reise in die Pyrenäen und nach Korsika, schrieb Flaubert einen Brief an seinen Freund Ernest Chevalier, den näher anzuschauen lohnt: »Es kotzt mich an, in ein beschissenes Land zurückgekehrt zu sein, in dem man nicht mehr Sonne am Himmel sieht als Diamanten am Hintern der Säue. Scheiße auf die Normandie und das schöne Frankreich! Ah, wie gern lebte ich in Spanien, Italien oder wenigstens in der Provence! Ich werde mir eines Tages in Konstantinopel eine Sklavin kaufen müssen, und zwar eine georgische Sklavin, denn ich finde einen Mann dumm, der keine Sklaven hat, gibt es etwas Alberneres als die Gleichheit, besonders für Leute, die sie behindert, und mich behindert sie fürchterlich. Ich hasse Europa, Frankreich, meine Heimat, mein saftiges Vaterland, das ich gern zu sämtlichen Teufeln schicken würde, nachdem ich nun einen Blick ins Freie geworfen habe. Ich glaube, mich hat der Wind in dieses Drecksland geweht und ich wurde woanders geboren, denn ich hatte seit jeher etwas wie Erinnerungen oder Instinkte für duftende Gestade und blaue Meere. Ich wurde geboren, Kaiser von Kotschinchina zu sein, aus Pfeifen von 36 Klaftern zu rauchen, 6 Tausend Frauen und 1400 Lustknaben zu haben, Türkensäbel, um den Leuten, deren Gesicht mir nicht passt, den Kopf abhauen zu lassen, numidische Rösser und Marmorbäder, und ich habe nichts als ungeheure und unstillbare Begierden, eine furchtbare Langeweile [ennui] und unaufhörliches Gähnen! Außerdem eine angeschlagene Pfeife und viel zu trockenen Tabak.« Der Kontrast zwischen dem bürgerlichen, normannischen Rouen und der wilden Insel Korsika war Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ganz gewiss noch erheblich, doch Flaubert baut hier die Erfahrung seiner Ferienreise aus bis zu einem großen, von Exotismus, Fernweh und Sehnsucht nach archaischer Kraft verklärten Kolossalgemälde. Der Widerwille gegen die Julimonarchie kleidet sich ins feudale Gewand, der Hass auf ihr schwarzes Tuch und ihre grauen Mauern in die Allmachtsphantasien von Lust, Verschwendung, Erotik und Blut. Seit Napoleons Ägyptenfeldzügen und der immer aggressiveren Kolonialpolitik in Algerien und Marokko dominierte das Bild des Orients stärker und stärker die kollektive Phantasie des französischen Bürgertums; die großen Bilder von algerischen Frauen, jüdischen Hochzeiten, Sultanen zu Pferde, die Eugène Delacroix seiner Orientreise verdankte und die zum großen Teil in den dreißiger Jahren entstanden, sind das bedeutendste künstlerische Dokument dieses Orientalismus, dem auch Flaubert, Salammbô und Hérodiade bezeugen es, zeitlebens anhing. Die Wahlverwandtschaft, die Flaubert hier mit seinen gleichsam prähistorischen »Erinnerungen und Instinkten« beschwört, ist die Wahlverwandtschaft einer ganzen Generation.

      Warum jedoch Flaubert weder literarisch noch biographisch sich dieser romantischen, exotischen, eskapistischen Seite seines Wesens vollkommen überlassen sollte, macht dieser Brief ebenfalls klar: Ohne den Hass auf die Gegenwart wäre die sinnliche Exotik ihrer stärksten Kraftquelle beraubt. Die starke Präsenz des Sinnlichen, Romantischen, Wollüstigen im frühen Flaubert, bis hin zur erschöpfenden Arbeit an der ungeheuerlichen, kein Maß kennenden Tentation de saint Antoine, hat oft übersehen machen, dass der rationale, analytische, polemische Anteil seines Schreibens von Anfang an essentiell war. In dem unerhört produktiven Jahr 1837 tritt er ganz und gar in den Vordergrund: Une leçon d’histoire naturelle, genre commis ist eine gelungene, Bouvard et Pécuchet präludierende Satire, die den kleinen Handlungsgehilfen, »das interessanteste Tier unserer Epoche«, in einem Plinius-Pastiche einer genauen Beschreibung unterzieht: Seine Kleidung, Gewohnheiten,

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