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Aber so … Nun teilten sie sich die Arbeit fifty-fifty, allerdings erst, wenn Tomke von ihrem Sabbathalbjahr zurück war. Bis dahin lag diese Doppelbelastung auf Carsten. Allerdings hatte er mit seiner Kollegin vereinbart, sie über besondere Fälle zu informieren. So blieb sie auf dem Laufenden.

      Über all das nachzudenken, war jetzt jedoch müßig, er musste den Bürokram allein wuppen – und die Ermittlungsarbeit gemeinsam mit Hajo. Obendrein war ihm für heute eine Studentin der Polizeihochschule für ein sechsmonatiges Praktikum angekündigt worden. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht. Ausgerechnet heute und außerdem noch an einem Samstag. Ob diese Kommissar­anwärterin eher Hilfe oder mehr Belastung sein würde? Carsten überlegte, wie ihr Name war, aber er fiel ihm partout nicht ein.

      Als er das Ortsschild von Wittmund passierte, schaute Carsten erneut auf die Uhr. Kurz nach zehn. Na, ein paar Minuten würde die junge Dame noch warten müssen.

      Gefangen

      Samstag, früher Morgen

      Wieder hatte sie für ein paar Minuten geschlafen, oder doch länger? Jana wusste es nicht, und im Grunde war es auch egal. Sie wollte raus. Sie musste raus aus ihrem Gefängnis, lange würde sie es nicht mehr aushalten können. Immer wieder schrubbte sie mit dem Gesicht über den Boden und endlich löste sich der Klebestreifen über ihrem Mund. Endlich! Jana atmete tief durch, fast hektisch, als hätte sie Angst, nie mehr Luft zu bekommen und war knapp davor, zu hyperventilieren.

      „Ich muss um Hilfe rufen, muss schreien, laut, damit man mich hört. Sicher hört mich jemand, oder?“

      Sie setzte zu einem „Hilfe“ an, doch aus ihrer Kehle kam kein Ton. Sie war trocken und rau, wie ausgedörrt. Mund und Gesicht schmerzten heftig. Jana versuchte zu schlucken, aber da war nichts, was sie schlucken könnte, ihr Mund total ausgetrocknet.

      „Hilfe!“, krächzte sie nochmals, „Hilfe!“ Aber wer sollte das hören?

      Doch dann vernahm sie erneut etwas von draußen. Sie konnte das Geräusch nicht zuordnen, es hörte sich anders an als vor einiger Zeit. Was war das nur? Es dauerte einen Moment, doch dann …

      Ein Ticken konnte sie vernehmen, so wie bei einer Uhr, einem Wecker. Sie lauschte weiter. Tick, tack, tick, tack.

      Ja, eine Uhr, ein Wecker, dessen Sekundenzeiger …

      Scheiße!, dachte sie und fürchtete: „Das ist eine Zeitschaltuhr, man hat an meinem Gefängnis eine Bombe angebracht. Sie wird sicher jeden Moment in die Luft gehen.“

      Erfasst von einer Panikattacke, wand die junge Frau sich hin und her. Jana schrie, doch noch immer kam kaum ein Laut aus ihrer Kehle. „Hilfe, ich will hier raus“, krächzte sie, hämmerte so lange mit dem Kopf gegen die Decke ihrer Behausung, bis sie spürte, dass ein warmes Rinnsal von ihrer Stirn herablief.

      Tick, tack, tick, tack, kam es von draußen.

      Es war aussichtslos. Niemand schien da zu sein, sie hatte keine Chance, gleich würde es hier heftig knallen.

      Aber das höre ich nicht mehr, hoffte sie. Tick, tack, tick, tack. Jana schloss resigniert die Augen und wartete auf den Tod. Gleichzeitig ging ihr durch den Kopf, was der Dieb wohl mit dem Inhalt der beiden Koffer machen würde. Wenn er Glück hatte, würde alles gutgehen, aber wenn nicht … Die Chance stand fünfzig zu fünfzig. Nein, dreiunddreißigkommadrei zu dreiunddreißigkommadrei zu dreiunddreißigkommadrei …

      Jana lachte gereizt auf. Galgenhumor, wusste sie.

      Alle drei Glasflaschen, gut in Styropor verpackt, beinhalteten eine gelartige Flüssigkeit. Alle drei konnten Leben bringen. Bei einer handelte es sich um den Samen eines preisgekrönten Zuchthengstes, der im Besitz des Unternehmens war, bei dem sie arbeitete. Die anderen …, ja, die anderen waren nicht ganz so prämiert. Wieder lachte sie auf.

      Dann war da noch der zweite Koffer. Jana wusste seit einiger Zeit, dass bei der IMG neben medizinischen Tierprodukten auch Wundermittel in Sachen „Lass die Pferde schneller laufen“ entwickelt und getestet wurden. Nur zu Testzwecken, hieß es dort. Auch Jonas hatte so etwas einmal erwähnt. Sie vermutete, nein, sie war sich ganz sicher, dass sich dieses Mittel im zweiten Koffer befand.

      Nun, wenn man das Sperma des Superhengstes mit dem der beiden Zossen vertauschen würde, wäre ein Dopingmittel sicher hilfreich. Aber so war das sicher nicht geplant.

      Jana musste wieder kurz lachen und wunderte sich darüber. Wieso ist mir in meiner Situation zum Lachen? Tick, tack, tick, tack, hörte sie von draußen.

      Wieder kehrten ihre Gedanken zu der kostbaren Lieferung zurück. „Geheim“, hatte ihr Chef zu ihr gesagt. „Jana, über diese beiden Koffer darfst du mit niemandem reden. Halte dich an die Anweisung, merke dir den Code und vergiss das Ganze, wenn du sie abgeliefert hast. Verstanden?“ Jana hatte nur genickt. Warum hatte man ausgerechnet sie damit beauftragt, die Ware auszuliefern? Wirklich nur, weil die Zustellung auf ihrem Weg lag, oder eher, weil eine kleine Pharmareferentin hier weniger auffallen würde? Steckte vielleicht sogar Jonas dahinter? Nein, dazu war er nicht clever genug. Obwohl … Oder war es ein abgekartetes Spiel, weil sie leichter zu überwältigen war? Klar! Woher sonst wusste man von ihrer Fracht?

      Gab es einen Verräter in der Firma? Jonas? Der würde für Geld doch alles machen.

      Der Code war klar und lautete: „In der Mitte liegt die Kraft!“, was wohl bedeutete, dass der mittlere Glasbehälter der richtige sein musste. Das war aber nun egal, und sie wollte jetzt nicht darüber nachdenken, sie hatte andere Sorgen.

      Tick, tack, tick, tack, vernahm sie wieder und überlegte:

      Kann man mit rückwärts gefesselten Händen beten?

      Lieber Gott …, begann sie.

      Tick, tack, tick, tack.

      Na, dann flieg schon in die Luft, ich kann es sowieso nicht ändern! Jana war verzweifelt.

      Tick, tack, tick, tack.

      Gedanken flogen wie Geschosse durch ihren Kopf.

      Erinnerungen, Worte, Töne.

      Und wieder: Tick, tack, tick, tack.

      Der alte Song vom Vorabend trällerte dazwischen:

      ♫ Rada rada radadadada, rada rada radadadada ♫

      Und dann wieder:

      Tick, tack, tick, tack!

      Jemand flüsterte ihr ins Ohr:

      „Jana, sprich mit niemandem darüber.“

      „Jana, geheime Fracht.“

      „In der Mitte liegt die …“

      Und dann …

      Klack machte es draußen und danach herrschte Stille, tödliche Stille.

      In der Nacht zuvor …

      Die Lieferung

      Es war ganz früh am Morgen und noch dunkel, als Dimitri auf dem Hof von Ole van Leeuwen vorfuhr. Er parkte, wie man ihn vorab angewiesen hatte, vor der ersten Stallung, blinkte zweimal auf und schaltete Motor und Licht aus. Das war das vereinbarte Zeichen.

      Nach ein paar Sekunden ging die Stalltür auf, er wurde also schon erwartet.

      Dimitri tastete nach den beiden Koffern neben sich auf dem Sitz und stieg aus. Im leichten Licht des Mondes, unterstützt von einem düsteren Wandlicht an der Scheune, kam ein Mann mit Bart und Sonnenbrille auf ihn zu. In der Hand trug er eine Taschenlampe und blieb in ein paar Metern Entfernung stehen. Dimitri bemerkte, dass der Mann nicht allein war. Ganz hinten, nahe der Stallung, bewegte sich etwas. Der Russe griff mit einer Hand nach seiner Waffe in der Jackentasche und beschloss:

      „Wenn die versuchen, mich zu verarschen, knall ich sie ab.“

      Doch die Übergabe erfolgte reibungslos.

      „Wo ist die Ware?“, kam eine Stimme aus der Dunkelheit.

      „Im Wagen.“

      „Zwei

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