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auch diese unheimlichen Geräusche. Das war Wolfsgeheule in der Nacht. Jettchen schlug sich die Hände vors Gesicht.

      Die Tiere schienen sie entdeckt zu haben, liefen Schritt für Schritt auf sie zu.

      Schnell riss Jettchen die Hintertür auf und schlüpfte zurück ins Haus.

      In der Küche goss ihre Schwester gerade Tee in die kleinen Teetassen und stellte die Kanne wieder auf den Herd. Jettchen schlug aufregt die Küchentür zu.

      „Fienchen, Fienchen, hinterm Haus laufen Wölfe, das hast du noch nicht gesehen. Zwei Stück sind es.“

      Doch ihre Schwester meinte pragmatisch: „Set die daal und trink en Tee.“ Sie nahm das Kirschkernkissen vom Wasserschiff und legte es ihrer Schwester über die nackten Füße.

      Die schaute sie dankbar an und nahm ihre Teetasse zur Hand.

      „Da waren Wölfe, Fienchen, zwei Stück, ich habe es genau gesehen.“

      „Schnack du nur!“ Fienchen hatte andere Dinge im Kopf. Heute wollte sie die Mülltonnen putzen. Altpapier, die Gelbe Tonne, Rest- und Biomülltonne mussten unbedingt geschrubbt werden. Pah, Wölfe, was ihre Schwester wohl wieder hatte.

      Doch Jettchen ließ das keine Ruhe. Sie stand auf und lief zum Ofen. Dort, auf dem Boden, stand eine Kiste mit Zeitungen, die Fienchen zum Anfeuern, aber auch zum Polieren der Fensterscheiben benutzte. Sie nahm sich einen Stapel heraus, durchblätterte schnell ein paar der alten Zeitungen und knallte nun eine vor ihrer Schwester auf den Tisch.

      „Da!“ Sie klopfte auf die Zeitung. „Wir haben Wölfe an der Küste. Hier im Anzeiger steht es schwarz auf weiß. Bisher trieben sie sich nur im Hinterland herum, doch jetzt sind sie auch hier. Ich wusste doch, dass ich da was gelesen habe. Und es gibt auch einen Wolfsbeauftragten, den muss ich unbedingt anrufen.“ Sie riss kurzerhand ein Stück aus der Zeitung, auf dem die Telefonnummer des Wolfsberaters stand.

      Fienchen nahm einen letzten Schluck Tee und winkte ab.

      „Das nützt ja alles nix, heute sind die Mülltonnen dran, Schwester! Räum du den Tisch ab, ich geh schon mal hinters Haus und nehme mir vor dem Frühstück die Gelbe Tonne vor.“

      Sie griff sich einen bereitgestellten Eimer, Lappen, Putzmittel sowie ein paar Bürsten und verließ die Küche.

      Jettchen konnte es nicht fassen, dass ihre Schwester so ignorant war. Sie räumte die Tassen zusammen, rutschte aus der Eckbank und trug das Geschirr Richtung Spüle. Kurz bevor sie es in den Spülstein stellen konnte, erscholl von der Hintertür ein gellender Schrei.

      „Schwester?“, schrie Jettchen auf, „was ist passiert?“

      „Die Wölfe!“, fiel ihr ein. Sie ließ die Tassen fallen und lief los.

      Blutrausch

      Samstag, früher Morgen

      Es war ein grausames Bild, das Simon Weil am frühen Morgen entgegenprallte. Das verlassene Fahrzeug am Straßenrand in einiger Entfernung fiel ihm nicht auf, noch nicht. Zu entsetzt war er von dem schlimmen Bild vor sich. Blut, überall Blut. Beim Anblick des aufgerissenen Leibes schlug Simon bestürzt die Hände vors Gesicht. So viel Blut! Und es war noch nicht alles, der Blick in die starren, toten Augen war schlimmer, viel schlimmer. Er erkannte sie sofort. Er kannte alle seine Mädels, dieses war ihm jedoch das liebste, und ausgerechnet es hatte es getroffen.

      Nachdem er sich von seinem ersten Schock erholt und die Fassung zurückgewonnen hatte, zückte Simon sein Handy und suchte nach einer Nummer.

      Als es am anderen Ende knackte, noch bevor sein Gegenüber sich meldete, rief er in den Apparat: „Wach auf, Jo! Dieser verdammte Killer hat heute Nacht wieder zugeschlagen! Wir müssen etwas unternehmen. Ruf alle zusammen, und sie sollen ihre Gewehre mitbringen.“

      „Was ist denn los?“, kam es schlaftrunken aus der Leitung, und Simon fuhr fort: „Wir treffen uns in einer Stunde bei mir am kleinen Landhaus. Ich gebe nicht eher auf, bis wir diesen brutalen Mörder abgeknallt haben.“

      Nun war Jo hellwach und verstand.

      „Okay, in einer Stunde. Hast du die Polizei informiert?“

      „Nein, mach du, wenn du meinst, es muss. Ich hab die Schnauze voll und nehme das jetzt selbst in die Hand.“

      „Simon!“, rief Jo noch, aber der hatte das Gespräch schon beendet.

      Es war kalt, die Luft feucht. Simon schaute sich um. Bodennebel hing über der Weide neben dem kleinen Landarbeiterhaus. Das grausame Bild vor ihm verdeckte der Nebel allerdings nicht. Er machte ein paar Schritte zur Straße und schaute sich um.

      Am Wegesrand, rechts auf der Berme (Randstreifen an der Straße), vielleicht hundert Meter von ihm entfernt, stand ein Wagen. Fahrer- und Beifahrertür waren weit geöffnet. Sehen konnte er jedoch niemanden. Eigenartig. Wer parkte dort, so früh am Morgen? Hatte das etwa was mit dieser Bluttat hier zu tun?

      Dicht neben ihm rauschten zwei Pkw vorbei. „Idioten, ihr kommt noch früh genug auf den Friedhof!“, fluchte er.

      Simon warf einen kurzen Blick zurück und stapfte auf das unbekannte Fahrzeug zu. Es handelte sich um einen schwarzen Kombi mit fremdem Kennzeichen.

      „Is’ nich von hier wech!“, murmelte er. „Is’ von Hannover wech!“

      Ein Blick in das Wageninnere ließ ihn erkennen, dass der Kofferraum voller Pakete und Päckchen war, die Rückbank, Fahrer- und Beifahrersitz, bis auf eine dunkle Reisetasche, allerdings leer waren. Keine Menschenseele weit und breit. Aber etwas verwunderte den Mann. Der Wagen schien sehr gepflegt und aufgeräumt, doch Fahrer- und Beifahrersitz waren mit Schmutz- und Erdbrocken verdreckt. Kleine Abdrücke konnte er sehen. Keine Fuß- oder Handabdrücke – nein, das sah aus wie die Abdrücke von Pfoten. Hundepfoten? Oder ...? Sein Magen rebellierte. Mit den Fingerspitzen fuhr er vorsichtig über das Lenkrad und rieb sie aneinander. Diese klebrige Masse …, war das Blut? Simon stellte sich auf und blickte nachdenklich Richtung Weide. In einiger Entfernung lag eines seiner besten Schafe, mit aufgerissenem Leib und ausgeweidet, in seinem Blut. Aber hier? Sollte dieser Mörder hier etwa auch zugeschlagen haben? Simon wagte nicht, den Gedanken weiterzudenken, und pfiff durch die Zähne.

      Max, sein Hütehund, kam angeflitzt.

      Nachdem Simon einige Male um den Wagen herumgelaufen war und laut „He, hallo, ist da jemand?“ gerufen hatte – vielleicht war der Fahrer ja nur in die Büsche zum Pinkeln verschwunden –, entschied er sich, doch die Polizei zu rufen. Hier musste etwas passiert sein.

      „… ja, sehr eigenartig, und der Schlüssel steckt im Schloss!“, erklärte er dem diensthabenden Beamten noch.

      Früher Vogel

      am Samstagmorgen

      Kriminalhauptkommissar Carsten Schmied saß schon seit einer Stunde am Schreibtisch in seinem kleinen Büro im Kommissariat der Wittmunder Kriminalpolizei. Das Büro nebenan, das er sich bis vor Kurzem mit seinen Kollegen Tomke Evers und Hajo Mertens geteilt hatte, war noch leer und die ganze Etage um diese Uhrzeit besonders ruhig. Carsten liebte diese geruhsame Stunde, in der er den Papierkram erledigen konnte. Darum hatte er auch den Samstagsdienst übernommen.

      Erinnerungen an die zurückliegenden Monate nahmen von ihm Besitz.

      Eine schwierige Zeit lag hinter Carsten und seinem Kollegen Hajo Mertens. Nicht nur, dass diese verdammte Pandemie seit einiger Zeit für Chaos sorgte, nein, es waren Monate, in denen er und Hajo hier auch noch ohne die Kollegin Tomke Evers hatten auskommen müssen, denn …

      Doch dann wurden seine Gedanken vom Klingeln des Telefons unterbrochen.

      „Was gibt’s?“, brummte er in den Hörer.

      „Een doodes Schaf …!“, antwortete Jan, der Diensthabende von der Zentrale. Solche knappen Informationen der ostfriesischen Kollegen nervten ihn auch heute noch manchmal, wenngleich er deren Art inzwischen kennen sollte. Schließlich lebte der gebürtige Hesse nun schon einige Jahre in Ostfriesland. Doch dann sprach Jan weiter: „…

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