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Schäfer.“ Carsten war genervt. Die Doppelbelastung als „Oberchef und Ermittler“, wie er sich sarkastisch selbst nannte, machte ihm zu schaffen, vor allem, weil Tomke eben nicht da war. Auch seine Familie litt unter dieser Mehrbelastung. Marie und Felix, die beiden Kinder, ließen ihn das deutlich merken. Michaela, seine Frau, beschwerte sich nur leise, verstand sie sein Problem doch nur zu gut.

      „Ganz so einfach ist es nicht!“, erklärte Jan und holte ihn aus seinen Gedanken zurück. „Und für deinen Stress bin ich nicht verantwortlich. Was glaubst du denn, warum ich dich anrufe? Ich sagte: ‚Blutspuren im Fahrzeug‘ und nicht: am Fahrzeug. Außerdem ist kein anderer da. Also, mach hinne, Boss! Oder hast du keinen Samstagsdienst? Hajo habe ich schon informiert, der kommt direkt hin.“

      Er kann in mehreren Sätzen sprechen, welch Wunder, schoss es Carsten durch den Kopf, meinte dann aber:

      „Okay, okay, ich komme runter, kannst mir dann ja genau auseinanderklamüsern, was da passiert ist und wo.“

      „Hä?“, kam es von Jan, doch Carsten hatte schon aufgelegt.

      Er griff erneut zum Telefon, um Tomke zu informieren, ließ allerdings den Hörer mit einem Seufzer wieder sinken. „Scheiß-Automatismus!“, murmelte er und setzte nach: „Ach, Tomke!“ Sie fehlte ihm hier auf dem Kommissariat schon sehr.

      Carsten stand auf und zog seine Jacke von der Stuhllehne. Jan hatte ja recht, sie waren hier wirklich für alles zuständig.

      Mit wenigen Sprüngen nahm er die Treppe ins Untergeschoss, steckte den Kopf durch die Tür der Zentrale und wollte von Jan wissen, wo genau er denn nun eigentlich hinfahren müsse.

      Der hielt ihm einen vorbereiteten Zettel hin und meinte augenzwinkernd: „Verschwinde, Hajo ist sicher schon fast dort.“

      Carsten las die Adresse. „Das ist doch Richtung Esens, nein, Richtung Wiesmoor, oder? Na, das schafft Hajo nicht, der reist ja inzwischen aus Harlesiel an. Wer sichert den Ort des Geschehens?“, fragte er noch knapp.

      „Beert und Inka hab ich hingeschickt.“ Jan wandte sich wieder der Telefonanlage zu, die blinkte und schon wieder klingelte. Kurz bevor Carsten die Ausgangsschleuse der Polizeistation betrat, rief ihm Jan noch nach: „Schnutenpulli dabei?!“

      „Jow!“

      Treibjagd

      Samstagmorgen

      Die Landstraße war inzwischen gut belebt. Immer wieder rasten Fahrzeuge an ihm vorbei. „Berufsverkehr, trotz Samstag und Corona“, resignierte Simon. Keines der Fahrzeuge beachtete ihn oder hielt gar an.

      Nachdem der Mann den seltsamen Fund bei der Polizei gemeldet hatte, hörte er aus der Ferne einige Fahrzeuge auf sich zukommen, die nun ebenfalls am Seitenrand in der Nähe seines eigenen Wagens hielten.

      Na endlich, da ist Jo mit den anderen. Ganz kurz schien der erste Vorfall, vorne auf seiner Weide, vergessen. Noch immer hielt er sich an dem fremden Fahrzeug auf.

      „Bleiben Sie dort, aber fassen Sie nichts an“, hatte der Mensch von der Polizei ihn am Telefon angewiesen.

      Simon sog tief die Luft ein und wischte sich die Finger an der Hose ab. „Wie werde ich denn, einmal reicht!“

      „Was ist da los?“, rief ihm Jo aus einiger Entfernung zu, nachdem er aus dem Auto gestiegen war. Er zeigte auf den verwaisten Wagen.

      Simon ging auf Jo und die anderen zu und meinte: „Erzähl ich dir später. Die Polizei schlägt hier gleich auf, und …“

      „Ich denke, du wolltest keine Polizei dabeihaben, ich hab sie auch nicht angerufen. Was denn nu? Rin in die Tuffels, rut us de Tuffels?“

      „Nee, nee. Hat nix miteinander zu tun. Dort“, Simon zeigte auf den Wagen, „ist etwas passiert. Hab die Polizei informiert. Ich musste auch das mit dem Schaf melden, warum sonst bin ich früh am Morgen hier? Aber wie gesagt, erzähl ich dir später. Geht ihr auf die Suche nach dem Biest und knallt es ab. Macht schnell, bevor die Polizei kommt, sonst gibt es Schwierigkeiten.“ Er klopfte seinem Freund auf die Schulter. Der wandte sich kopfschüttelnd ab. Jo Freitag war es nicht wohl bei dem Gedanken, die Wölfe einfach abzuschießen. Sicher, auch ihm wurden schon Schafe gerissen, aber er suchte nach einer anderen Lösung.

      „Ach, noch was!“, rief Simon ihm nach, „passt auf, wenn ihr schießt, es kann sein, dass sich jemand im Wald verlaufen hat.“

      Jo murmelte etwas, das Simon nicht verstand, aber das war auch egal. Er hoffte, dass die Polizei bald eintreffen würde, damit er sich um seine Arbeit und das ausgeweidete Schaf kümmern konnte.

      Samenraub

      Samstag, ganz früher Morgen

      Als Jana zu sich kam, war es stockfinster um sie herum. Stockfinster und kalt. Benommen und unbeweglich lag sie eingeschnürt in einem engen Raum, aber wo?

      Ihr Schädel brummte, der ganze Körper schmerzte. „Was ist … Wo bin ich?“ Die junge Frau wurde sich erst jetzt der Enge ihrer Behausung wirklich bewusst und reagierte panisch. Sie bekam kaum Luft, konnte nur durch die Nase atmen, über ihrem Mund klebte etwas. Jana würgte. Wenn sie sich jetzt erbrach, ahnte sie, wäre das ihr Tod. Ein jämmerlicher Erstickungstod. Sie versuchte sich zu bewegen, aber das erwies sich als fast unmöglich. Lediglich ihren Kopf konnte sie etwas anheben, doch das war nicht gut. Schnell legte sie ihn wieder ab, zu stark schmerzten Schädel und Nacken. Verdammt, verdammt, was soll das? Jana, fast gelähmt vor Angst, wand sich nun hin und her, rieb ihr Gesicht über den Boden und versuchte, das Klebeband vom Mund zu schieben. Inzwischen konnte sie klarer denken, war voll bei Bewusstsein. Nun bemerkte die junge Frau auch, dass ihre Hände auf dem Rücken gefesselt und ihre Beine um die Knöchel herum ebenfalls zusammengebunden waren. Sie fühlte die Beengtheit, fühlte unter sich den harten, kalten Untergrund und wenn sie den schmerzenden Kopf anhob, stieß der an etwas Metallenes. „Aua!“ Was konnte das nur sein? Wo hielt man sie gefangen und warum? Jana schossen Tränen in die Augen und gleichzeitig die Erkenntnis, dass in der Nacht etwas Schreckliches passiert sein musste.

      Wie in einzelnen Puzzleteilen kam die Erinnerung nun zurück. Langsam, Stück für Stück.

      Sie erinnerte sich an die Fahrt auf der Autobahn, den seltsamen alten Schlager im Autoradio, der sie geängstigt hatte und aus dem irgendwie Wahrheit geworden war. Wieder nahm der Ohrwurm Besitz von ihr.

      ♫ Rada rada radadadada, rada rada radadadada ♫

      … trommelte es in ihrem Hirn.

      Sie versuchte, die Melodie beiseitezuschieben und die Nacht zurückzuholen: dieses Auto, dicht hinter ihr. Lange, über etliche Kilometer.

      Danach, so fiel ihr ein, war sie von der Autobahn auf das platte Land abgefahren und …

      Und dann? Die Erinnerung verschwand. Janas Kopf schmerzte, Tränen liefen ihr über das Gesicht. Wollte man sie entführen oder gar töten? Aber warum? Sosehr sie sich auch anstrengte, ihr Gedächtnis ließ sie im Stich.

      Jana versuchte zu schreien, aber es kamen nur dumpfe Töne unter dem Klebeband hervor.

      Plötzlich hielt sie inne. Da war etwas, draußen, außerhalb ihres dunklen Gefängnisses. Ein kratzendes Geräusch nahm sie wahr und … ein Heulen, ein Jaulen. Erneut tauchten kurze Erinnerungsblitze an die Nacht in ihr auf, verschwanden aber sofort wieder. Jana fröstelte. Wer war da draußen? Konnte sie es wagen, sich bemerkbar zu machen? Entschlossen hob sie ihre Knie, um gegen die Decke über sich zu klopfen, versuchte erneut zu rufen. Doch als Antwort erhielt sie nur ein weiteres Heulen. Kam das vom Wind?

      Entmutigt sackte sie in sich zusammen und schluchzte stumm. Irgendwann musste sie eingeschlafen sein. Minuten – oder waren es Stunden? – später kam sie wieder zu sich. Alles war wie gehabt und Realität, kein böser Traum. Jana überlegte, was sie tun könne, aber viel war es nicht, die Situation schien aussichtslos. Noch immer zermarterte sie sich den Kopf, was … und dann traf sie die Erkenntnis wie ein Blitz.

      Die Koffer, durchfuhr es sie. „Man hat mich überfallen wegen der Koffer, die ich bei mir hatte und in Wiesmoor abgeben sollte.“

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