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beiden Männer schauten sich an.

      „Wie bitte? Überbringerin? Woher hat dein Bote aus dem Land der kalten Nächte die Pakete? Hat er dir das gesagt?“, wollte Hendrik wissen.

      „Nein!“, murmelte Ole. „Sei still, ich muss nachdenken – Überbringerin?“, fragte er sich auch.

      Nach einer Weile gespenstischen Schweigens, selbst von den Pferden war kein Laut zu hören, fragte Ole nochmals: „Kannst du feststellen, welches Sperma von dem Zuchthengst stammt?“

      „Nein, wie denn? Ich bräuchte Vergleichsmaterial und im Übrigen habe ich in meiner Praxis gar nicht die Möglichkeit für solche Untersuchungen.“

      Wieder herrschte Schweigen.

      „Welche Möglichkeit haben wir?“ Ole schaute zu Hen­drik.

      „Russisch Roulette wäre eine davon“, meinte der. „Mit viel Glück hast du beim ersten Mal einen Treffer.“

      „Quatsch. Woher weiß ich, dass es ein Treffer ist. Außerdem dauert mir das alles viel zu lange. Ich brauche die Fohlen aus dieser Besamung, sonst kann ich einpacken.“

      „Drei Mädels, dreimal Sperma. Mit einer wirst du dann Erfolg haben“, schlug der Tierarzt weiter vor und zeigte auf die Boxen.

      „Ich muss aber drei gute Fohlen haben, und zwar schnellstens. Die sind schon an die Araber verkauft.“

      „Was? Du hast die Fohlen schon …? Spinnst du? Wie kannst du so was machen, ohne zu wissen, ob …“ Als er Oles Gesicht sah, brach er kopfschüttelnd ab.

      „Und nicht nur das“, fuhr der fort. „Was glaubst du denn, wem die drei Prachtstuten in den Boxen dahinten gehören? Die beiden Scheichs haben sie hier deponiert, damit auch sie das Sperma des Wunderhengstes bekommen. Ich allein, für meine eigenen, hätte das gar nicht bezahlen können.“

      „Also wirklich, dann kann ich dir auch nicht helfen.“

      Im Stall war es nun still, bis Ole meinte: „Ich muss wissen, woher der Russe die Pakete hat. Wer hat ihm die übergeben oder wem hat er sie abgenommen? Einer Frau, wie es scheint, denn von einer Überbringerin ist in dem Schreiben die Rede. Die müssen wir finden.“

      „Zu schnell geschossen, würde ich mal sagen!“, kam es lakonisch von Hendrik Schuster, der nun seine Tasche packte und das Schloss mit einem lauten Knacken zuschnappen ließ.

      „Halte endlich dein gottverdammtes Maul! Nimm den Scheiß mit und friere ihn ein. Stelle die Kiste so in den Tiefkühler, wie sie ist“, fauchte ihn Ole an. Er donnerte wütend mit der Faust an die Pferdebox. Saskia antwortete mit einem erschrockenen Schnauben. Er beruhigte sie mit sanftem Klopfen gegen den Hals und erklärte: „Ich hoffe, vom Russen ist noch was übrig und Peer hat ihn nicht schon komplett an die Schweine verfüttert. Vielleicht finde ich bei ihm einen Hinweis auf die Frau, der er die Kiste abgenommen hat. Die muss ich finden. Sie muss mir den Code nennen, egal wie, sonst bin ich am Ende.“

      Aus seinem ruhmvollen Aufstieg würde sonst nichts werden und seine Arbeit, sein Einsatz wären umsonst, wusste er. Von den Pensionspferden, die im angrenzenden Stall untergebracht waren, konnte er nicht leben. Die Besitzer zahlten zwar gut und Helfer, die sich ohne Bezahlung um die Pferde kümmerten, Boxen und Stall ausmisteten, Pferde striegelten und was sonst noch zu tun war, gab es genug. Vor allem junge Mädchen rissen sich darum, die Pferde zu umsorgen. Außerdem mussten die Besitzer trotz des Einstellgeldes Stunden auf dem Gestüt abarbeiteten, und das waren in der Hauptsache die Töchter der Besitzer. Mädchen und Pferde eben! Aber all das reichte nicht aus. Außerdem kamen sie jetzt zur Corona-Zeit nur noch selten.

      Ole musste eine Lösung finden.

      „Zieh ab!“, fauchte er Hendrik an.

      Der Tierarzt schnappte sich die Kiste mit der eigentlich so wertvollen Fracht, klemmte sie unter den Arm und riss sich die Maske vom Gesicht. In der anderen Hand trug er seine Arzttasche und verließ den Pferdestall. Nachdem er alles in seinem Wagen verstaut hatte, murmelte er: „Von wegen‚ die haben mich verarscht. Du bist doch der große Betrüger, nun hat es dich getroffen. Das geschieht dir so was von recht.“ Hendrik wusste genau, dass er gegen seinen ehemaligen Schulfreund nichts ausrichten konnte. Der hatte ihn in der Hand und das wohl für immer und ewig. Daran konnte er nichts ändern. Oder vielleicht doch? Sollte er vielleicht einen Schlussstrich ziehen? Auf jeden Fall würde er dabei Federn lassen, aber nicht nur er. Nachdenklich startete der Mann seinen Wagen und fuhr davon.

      Mit großen Schritten verließ nun auch Ole den Stall und ging über den dunklen Hof. Seinen Helfer und „Mädchen für alles“, Peer, vermutete er bei den Schweinen. Unterwegs bemerkte er, dass der Wagen des Russen noch immer mitten auf dem Hof stand, und hoffte, vielleicht darin einen Hinweis zu finden. Ole pfiff durch die Finger, kurz darauf öffnete sich in einiger Entfernung die Tür des Schweinestalles.

      „Ist gleich weg!“, berichtete Peer, ungefragt.

      „Wo sind seine Klamotten?“, wollte Ole wissen.

      „Hier, die verbrenne ich anschließend.“

      „Nein, gib sie her, ich muss sie untersuchen. Hast du ein Handy bei ihm gefunden?“

      „Nein!“, antwortete Peer nach einem kurzen Zögern. Das Handy wollte er selbst behalten; bei dem Hungerlohn, den er hier bekam, musste er ab und zu auch an sich denken. Es würde ihm bestimmt ein nettes Sümmchen bringen.

      „Bring mir alles ins Haus, was du noch von ihm hast und bescheiß mich bloß nicht.“

      Peer grunzte: „Ich doch nicht, Chef!“

      Die Armbanduhr und das Handy würde er ihm sicher nicht überlassen. Alles andere, was der Kerl bei sich hatte, sollte der Chef gerne haben.

      Im Wagen des Russen konnte Ole keinen Hinweis auf diese Frau finden. Handschuhfach und Seitentüren hatte er schon untersucht, morgen, bei Tageslicht, wollte er sich noch den Kofferraum vornehmen. Außer einem Zettel, auf dem der Mann sich ein Autokennzeichen notiert hatte, war ihm nichts wirklich Interessantes in die Hände gefallen. Sollte das ein Hinweis sein? Oder hatte dieser Zettel keine Bedeutung? Vorsichtshalber steckte er ihn ein.

      Es wunderte ihn sehr, dass der Kerl kein Handy bei sich gehabt hatte. Oder war es so gut versteckt? Unwahrscheinlich.

      Ole stieg in den Wagen, drehte den Zündschlüssel, der noch immer im Schloss steckte, und fuhr das Fahrzeug auf die Rückseite des Anwesens in eine der leer stehenden Scheunen. Nachdem er den Motor abgestellt hatte, öffnete er nochmals das Handschuhfach und durchsuchte es ganz genau. Aber er konnte kein Handy zu finden. Ob Peer etwa doch?

      Eine andere Möglichkeit sah er nicht. Der Russe war ganz sicher nicht ohne Handy unterwegs gewesen.

      Der Zettel mit dem Autokennzeichen fiel ihm ein. Nachher wollte er gleich nachforschen, was oder wer dahintersteckte. Jetzt war es dafür noch zu früh. Im Grunde war es ja für alles zu spät, überfiel ihn ein resignierender Gedanke. Einen Versuch wollte er allerdings noch unternehmen. Auf jeden Fall würde er noch mal seinen Mann bei der IMG kontaktieren. Ob der wohl etwas über die erwähnte Frau wusste? Vielleicht hatte diese ja was mit der IMG zu tun. Anders konnte es einfach nicht sein. Es schien ihm zwar ein gefährliches Unterfangen, aber er konnte nichts unversucht lassen.

      So eine verdammte, große Scheiße. Jetzt hatte er drei eigene und drei fremde rossige Stuten im Stall stehen und konnte sie nicht besamen.

      Oder doch? Wann würde es den Arabern auffallen, falls ihre Pferde Nachwuchs von Zossen bekämen? Was würden sie dann mit ihm tun? Das Risiko war groß, zu groß! Aber hatte er eine andere Möglichkeit?

      Ole wusste, dass er eine Lösung finden musste, und zwar schnell.

      Die Neue

      Samstagvormittag, im Kommissariat

      Ein eigenartiger Fall war das, zu dem sie gerufen worden waren. Ein verlassenes Auto, Blutspuren, tote Schafe …, Carsten wusste die Sache nicht einzuordnen.

      Als der Beamte das Gebäude des Kommissariats betrat,

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