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auch meine Vermutung sagen, aber wir Ärzte sind da sehr eigen, wir stellen unsere Diagnosen lieber selbst … Sag mal, wie ist das denn überhaupt passiert? Hast du eine Stufe übersehen?«

      Bettina erzählte es ihr.

      »Und durch meine eigene Schusseligkeit habe ich mich um eine wunderschöne Reise gebracht«, schloss sie ihren Bericht.

      »Das ist wirklich ärgerlich«, sagte Yvonne, »aber wer weiß, wofür das gut ist.«

      Bettina richtete sich ein wenig auf.

      »Wie meinst du das?«, erkundigte sie sich alarmiert.

      Yvonne wusste im ersten Moment überhaupt nicht, was Bettina wollte.

      »Wie meine ich … was?«, erkundigte sie sich deswegen.

      »Na, mit der Bemerkung, wer weiß, wofür es gut ist.«

      Yvonne begann zu lachen.

      »Ach so, das …, das hat überhaupt keine Bedeutung, es ist so dahergesagt, wie man es manchmal eben so macht … Leg doch nicht gleich jedes Wort auf die Goldwaa­ge … Weißt du was, ich geb dir jetzt eine Tablette gegen deine Schmerzen und dann noch eine halbe, die dich ein wenig wieder runterholt. Du bist ja vollkommen durch den Wind.«

      Das musste gerade Yvonne sagen, dachte Bettina, die war doch richtig mimosenhaft und hörte gleich die Flöhe husten.

      »Ich frage mich mal, was du in meiner Situation gewesen wärst, hättest dich auf London, auf ein gesellschaftliches Ereignis gefreut, und dann wäre dir so was passiert.«

      »Vermutlich wäre ich durchgeknallt«, gab Yvonne zu. »So was ist aber auch zu ärgerlich … Mich wundert’s nur, dass Thomas allein fliegt oder schon geflogen ist.«

      Leni mischte sich ein.

      »Das wollte er nicht, aber wir haben ihn mit vereinten Kräften beschwatzt es zu tun. Sag mal ehrlich, was soll er denn hier? Bettinas Händchen halten? Dazu hat er ein ganzes, langes Leben lang hinreichend Zeit.«

      »Stimmt. Und besser ist es im Grunde genommen auch, wenn man anfangs allein ist und seine Wunden lecken kann. Im übrigen hast du Leni, die wird sich hingebungsvoll um dich kümmern und dir den Hintern nachtragen.«

      Bettina blickte Yvonne an.

      Hatte aus deren Worten so etwas wie Neid geklungen?

      Yvonne wusste, wie gut Leni und Bettina sich verstanden, dass sie ein geradezu herzliches Verhältnis zueinander hatten. Doch das konnte Yvonne auch haben, jederzeit. Leni wartete nur darauf, ihrer Tochter all ihre aufgespeicherte Liebe schenken zu dürfen.

      Aber ob das einmal kommen würde?

      An Leni lag es nicht, doch Yvonne war in dieser Beziehung unheimlich stur. Obschon sie wusste, dass Leni seinerzeit überhaupt keine andere Wahl gehabt hatte, dass sie gezwungen gewesen war, ihr geliebtes neugeborenes Kind zur Adoption freizugeben, akzeptierte sie zwar ihre Mutter. Aber sie liebte sie nicht, was Leni fast das Herz brach.

      Wenn Yvonne von ihren Eltern sprach, dann von den Wiedemanns, und dann war ihre Stimme auch stets voller Liebe.

      Diese Bemerkung jetzt war also reichlich unpassend.

      »Ich lasse mir von Leni den Hintern gern nachtragen, weil ich nämlich weiß, dass sie das gern tut.«

      »Klar, weil sie mich mag … Für dich würde sie es im übrigen auch tun, Yvonne. Noch mehr als für mich, weil du ihre Tochter bist.«

      Das war wohl schon wieder zuviel gewesen, Yvonne stand auf.

      »So, jetzt nimmst du brav deine Tablette, und dann gib mir mal dein Telefon, und ein Telefonbuch dazu, damit ich meinen Kollegen anrufen kann, ich habe seine Telefonnummer nämlich nicht im Kopf.«

      Leni holte stumm ein Glas Wasser, dann ging sie hinaus, um das Telefonbuch zu holen, was für sie kein Problem war, sie kannte dieses Haus hier wie ihre Westentasche.

      Bettina schluckte brav ihre Pille.

      »Danke, Yvonne, danke für alles«, sagte sie. Sie konnte nicht Schicksal spielen und auch nichts erzwingen, wenngleich sie natürlich am liebsten Mutter und Tochter in Liebe vereint sähe.

      Yvonne winkte ab, griff nach dem Telefonbuch, das Leni ihr vor die Nase gelegt hatte.

      »Gern getan«, antwortete sie nur knapp, dann wählte sie die Nummer ihres Kollegen und schilderte ihm, was sie bei Bettina vermutete.

      Keine fünf Minuten später war das Telefonat beendet, und Bettina hatte für sofort einen Termin.

      Wenigstens etwas Positives. Sie ging ungern zu Ärzten, weil sie es hasste, Ewigkeiten in überfüllten Wartezimmern zu sitzen. Das blieb ihr nun, dank Yvonne, zum Glück erspart.

      »Arno und ich werden dich fahren«, sagte Leni. »Ich hole ihn rasch.«

      »Und ich fahr wieder nach Hause. Für mich gibt es nichts mehr hier zu tun. Bettina, ich kann dir nur anraten, dich an die Anweisungen meines Kollegen zu halten. Was dein Fuß jetzt braucht ist Ruhe, Ruhe und abermals Ruhe, verstanden?«

      Bettina nickte. Klar würde sie sich an jede Anweisung halten, sie wollte schließlich an ihrem Hochzeitstag wenigstens wieder ein wenig laufen können, auch wenn es im Augenblick nicht danach aussah.

      »Ruf mich an und sag mir, was die Untersuchung gebracht hat«, sagte Yvonne, und das versprach Bettina sofort zu tun. Sie bedankte sich noch einmal bei Yvonne, dann war sie allein. Allein mit ihren Gedanken, die sich allesamt nur um einen einzigen Punkt drehten.

      Warum war ihr das passiert?

      Sie wusste keine Antwort darauf, sie merkte aber, dass sie, je mehr sie sich da hineinvertiefte, den Tränen schon wieder verdächtig nahe war. Und wozu sollte die Heulerei gut sein? Zu überhaupt nichts.

      Sie hangelte nach dem Telefon, dann wählte sie Thomas’ Handy­nummer. Vergebens, er hatte sein Handy abgeschaltet und saß wahrscheinlich bereits im Flieger, der ihn nach London bringen würde, ihn allein, der Platz an seiner Seite würde leer bleiben.

      Jetzt schossen ihr doch wieder die Tränen in die Augen, die sie allerdings rasch wegwischte, als Leni mit Arno ins Zimmer kam.

      »Kind, Kind, was machst du bloß für Sachen?«, brummelte er und strich ihr liebevoll übers Haar. »Musst du denn immer gleich hier schreien, wenn was Unangenehmes passiert?«

      »Mann, mach sie nicht verrückt«, tadelte Leni ihren Mann, »es ist halt wie es ist, und es hätte auch Thomas passieren können oder dir oder mir. Jedem anderen auch. Jetzt müssen wir das Beste aus der Situation machen. Am besten holst du dein Auto bis vor die Haustür und dann buxieren wir Bettina hinein.«

      Er nickte und ging wieder hinaus, um den Wunsch seiner Frau zu erfüllen.

      »Und wir zwei versuchen jetzt zusammen bis zur Haustür zu kommen«, schlug Leni resolut vor. »Du legst einen Arm um meine Schulter und hüpfst wie ein kleines Häschen neben mir her.«

      Diese Worte belustigten Bettina ein wenig.

      »Kleines Häschen ist gut, ich denke, dass ich bereits eine ausgewachsene Häsin bin. Aber klar, wir können es so versuchen, zu dritt kämen wir ohnehin nicht durch die Tür.«

      Bettina stützte sich am Tisch ab, dann tat sie wie geheißen, und langsam bewegten sie sich vorwärts.

      Es war mühsam, und obschon sie den verletzten Fuß hoch hielt, verspürte sie in ihm einen Schmerz, was vermutlich an der Erschütterung lag, die beim Hüpfen durch ihren Körper ging.

      Verflixt!

      Es war so unnötig!

      Warum hatte sie denn nicht aufgepasst?

      Sie musste mit diesen Selbstvorwürfen aufhören, die überhaupt nichts brachten, sondern sie nur quälten.

      Was geschehen war, war geschehen, und Leni hatte recht, sie mussten jetzt das Beste daraus machen.

      Das

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