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auch deshalb, weil sie dann öfters auf den Fahrenbach-Hof kommen konnten, den sie sehr liebten, ganz besonders natürlich die Bewohner.

      So hätte für Holger eigentlich alles wunderbar sein können. Ein Superjob auf der Vorstandsetage, das Wohnproblem gelöst, wenn da nicht seine Frau Irina wäre, die schon jetzt vom Heimweh geplagt wurde. Dabei waren sie noch nicht einmal abgereist.

      Holger hatte viel Verständnis für seine Frau, und auch Bettina konnte sie verstehen. Irina war zwar in Kanada geboren worden, aber ihre Familie waren russische Emigranten, die schon von Hause aus sehr liebevoll und eng miteinander gewesen waren, etwas, was sich natürlich durch das Leben in der Fremde noch verstärkt hatte. Sie waren noch enger zusammengerückt, und diesen Hort der Geborgenheit musste Irina nun verlassen, um auch in eine fremde Welt einzutauchen. Natürlich liebte sie Holger über alles, auch Niels und Merit waren für sie ihre Kinder. Doch das Zusammenleben hatte sich bislang in einer ihr vertrauten Umgebung abgespielt.

      Bettina hoffte inständig, dass Holgers und Irinas Glück an äußeren Umständen nicht zerbrechen würde. Er hatte ja lange gezögert, ob er den Job annehmen, auf die Chefetage aufsteigen sollte. Aber Irina hatte ihm keine Steine in den Weg gelegt, und in Vancouver hätte er überhaupt keine Aufstiegschancen mehr gehabt, im Gegenteil, es war noch immer nicht klar, ob diese Auslandsfiliale nicht aufgelöst werden würde. Und dann hätte er überhaupt keinen Job mehr gehabt und sich einen suchen müssen. Das wäre weit unter seinem bisherigen Niveau gewesen, denn im Ausland wartete man nicht auf einen Deutschen, um mit genau dem eine Spitzenposition zu besetzen.

      Aber jetzt war es müßig, darüber weiterzureden oder nachzudenken. Der Stein war ins Rollen gekommen, und nun konnte man nur hoffen, dass sie es packen würden, ganz speziell natürlich die reizende Irina.

      Während des Telefonats hatte Bettina nicht an ihre Schwester gedacht, und Holger hatte auch nicht, was manchmal schon der Fall gewesen war, an seine Ex gedacht.

      Jetzt freuten sie sich alle erst mal auf die Hochzeit, und am aufgeregtesten war Merit, die ein tolles Prinzessinnenkleid bekommen hatte, von dem sie kaum erwarten konnte, es endlich anziehen zu dürfen. Sie war halt ein Mädchen, und die sollten alle gern Prinzessin sein. Nicht nur die Kleinen, dachte Bettina belustigt. Sie konnte es doch auch kaum erwarten, ihr Prinzessinnenkleid zu tragen.

      Die nächste Anruferin war Doris gewesen, die sofort angefangen hatte ohne Punkt und Komma zu reden, in erster Linie natürlich über das Kleid, das sie sich in einem chicen Laden in Bordeaux gekauft hatte. Also auch eine Prinzessin!

      »Weißt du, Bettina, was komisch ist?«, hatte sie ihr entgegengeschmettert. »Als ich mich in diesem Kleid sah, das wirklich ein Traum ist, wurde mir klar, dass mein Aussehen nur noch durch ein einziges anderes Kleid zu toppen ist, ein Brautkleid nämlich …, und deswegen habe ich beschlossen, Jörg nun doch ein zweites Mal zu heiraten.«

      So typisch Doris, die Entschlüsse fasste, sie wieder umwarf, impulsiv etwas tat, was sie hinterher bereute.

      »Und was sagt Jörg dazu?«, war Bettinas Frage gewesen, die sie lachend beantwortet hatte: »Der ist froh, dass er mich wieder sicherstellen kann, und das ist ja auch gut so, denn ich weiß eh, dass dein Bruder mein Schicksal ist. Wir können nicht immer miteinander, aber ohne einander können wir überhaupt nicht. Also, liebe Schwägerin, du kriegst mich zurück, auch wenn das für uns zwei nur eine Formsache ist. Wir hatten auch kein Problem miteinander, als Jörg und ich getrennt, geschieden waren, wir hatten es auch nicht, als ich drei Mal andere Männer heiraten wollte. Du lieber Himmel, was wäre ich unglücklich geworden. Zum Glück ist mein Prinz Jörg im rechten Moment wieder aufgetaucht und hat mich auf sein weißes Pferd gehoben und ist mit mir auf sein Schloss geritten.«

      Der Anruf von Doris war erfrischend und wohltuend gewesen. Kein Mensch war natürlich immer nur gut drauf, von Doris konnte man aber sagen, dass sie es meistens war. Sie hatte jetzt eine sehr pragmatische Einstellung zum Leben und nahm es so wie es kam.

      Vielleicht hatte Doris durch die Hölle gehen müssen, damals, als sie mit Jörg nach Frankreich gegangen war, um das Erbe anzutreten. Die anfängliche Euphorie war rasch verflogen gewesen, und während Jörg sein Ding gemacht hatte, nämlich Musikevents zu veranstalten, von denen er keine Ahnung gehabt und die ihn an den Rand des Ruins gebracht hatten, war Doris ständiger Begleiter der Alkohol geworden. Welch ein Glück, dass sie aus diesem Teufelskreis herausgefunden hatte und ihre Probleme jetzt anders löste.

      Ja, auf Jörg und Doris freute sie sich auch sehr. Schade, dass sie erst am Abend vor der Hochzeit anreisen würden, weil ein wichtiger Geschäftstermin sie an einem früheren Kommen hinderte. Dafür hatte Bettina vollstes Verständnis. Sie war selbst Geschäftsfrau und wusste, dass man manchmal sein Privatleben in den Hintergrund stellen musste.

      Dann hatte ihr Neffe Linus angerufen, Frieders Sohn. Wie bedauerlich, dass der nicht zur Hochzeit kommen konnte. Aber der lebte immer noch versteckt irgendwo im Ausland, Bettina vermutete in England, und er würde keinen Tag vor seinem achtzehnten Geburtstag zurück in die Heimat kommen. Er war noch immer voller Panik, seine Eltern könnten ihn finden. Dabei war Bettina sich nicht sicher, ob die überhaupt noch an ihren Sohn dachten. Mona, ihre Exschwägerin, ganz bestimmt nicht, deren Lebensinhalt waren Klamotten und in erster Linie Schönheitsoperationen. Wovor andere Leute sich fürchteten, nämlich wegen einer Krankheit operiert zu werden, schien Mona geradezu ein Vergnügen zu bereiten. Sie ließ andauernd etwas an sich machen und war bestimmt mittlerweile schon mehr als zweimal runderneuert. Operationen, die sie nicht schöner machten, sondern Bettina ein wenig an Frankensteins Gruselkabinett erinnerten.

      Also, Mona interessierte sich nicht die Bohne für ihr einziges Kind.

      Und Frieder?

      Bettina hatte keine Ahnung. Aber damals, als Linus mit Hilfe von Freunden ins Ausland geflohen war, hatte er sich unmenschlich seinem Sohn gegenüber verhalten. Anstatt sich um seine seelischen Nöte zu kümmern, ihn nach Hause zu holen, hatte er ihn von einem schrecklichen Internat in ein noch schrecklicheres gesteckt, weil auch ihm sein Kind lästig gewesen war. Frieder hatte zu diesem Zeitpunkt reicher Erbe gespielt, war mit seinem heißen Porsche durch die Gegend gebrettert und hatte sich eine jugendliche Gespielin zugelegt, so einen Monaverschnitt in jung.

      Bettina war glücklich darüber, dass Linus zu ihr den Kontakt hielt, auch wenn sie sich gewünscht hätte, öfters von ihm zu hören. Aber da war Linus einfach zu ängstlich. Er wusste, dass sein Vater Bettina den Kontakt zu seinem Sohn per Anwaltsbeschluss untersagt hatte und war wohl, was natürlich töricht war, der Meinung, sein Vater könne Bettina überwachen lassen und über sie an ihn herankommen, um ihn nach Deutschland zurückzuholen. Das war fast paranoid, aber Linus war jung, fantasievoll, da reimte man sich halt schon mal was zusammen.

      Bettina war stolz auf ihn, dass er tapfer sein Heimweh unterdrückte und bemüht war, einen ordentlichen Schulabschluss zu machen, das sollte ihm mal einer nachmachen. Dieser dumme Frieder, hatte einen so prachtvollen Sohn und war an ihm nicht interessiert. Oder jetzt doch? Nun, wenn das so war, dann war es auf jeden Fall zu spät. Für Linus war der Zug abgefahren. Er hatte mit seinen Eltern gebrochen, und die Kluft war zu tief, um noch mal überbrückt werden zu können.

      Zu ihr würde Linus kommen, und darauf freute sie sich schon jetzt. Vor allem konnte Frieder vor Wut kochen, sich die Haare raufen, was auch immer. Linus war dann volljährig und konnte über sein Leben selbst entscheiden, frei und ohne sich verstecken zu müssen.

      Die nächste Anruferin war eine alte Schulfreundin gewesen, die sie zu einem geplanten Klassentreffen einladen wollte. Es war schön gewesen, auch mit Ursel zu plaudern, die ihr einiges über alte Schulfreundinnen und Schulfreunde erzählen konnte, zu denen sie noch immer in Kontakt stand.

      Bettina trank etwas von ihrem Wasser und hatte das Glas gerade abgestellt, als das Telefon erneut klingelte. Diesmal war es Leni.

      »Dein Telefon ist ja doch in Ordnung«, sagte sie, »ich wollte schon den Stördienst anrufen, denn ich habe mir die Finger wundgekurbelt, und immer war besetzt. Was ist denn los bei dir? Musst du heute noch so viele Leute anrufen, um dich zu verabschieden? Du fliegst doch nur für knappe anderthalb Tage nach London.«

      Bettina lachte.

      »Liebe

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