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      Jetzt konnte Bettina nichts mehr sagen.

      Das, was sie da gehört hatte, war so ungeheuerlich, dass es ihr die Sprache verschlagen hatte.

      Diesmal war es Grit, die sich erkundigte: »Bettina …, bist du noch in der Leitung?«

      Die riss sich zusammen.

      »Klar, es hat mich nur sprachlos gemacht. Was bist du eigentlich, Grit? Seine Leibeigene? Merkst du nicht, wie unwürdig er dich behandelt? Du, solche Erniedrigungen machen was mit dir, die rauben dir das letzte bisschen von Selbstwertgefühl, das du noch hast. Herrgott noch mal, du kannst dich doch behaupten, kannst deine Forderungen durchsetzen. Denk doch bloß mal daran, was du mit deinem Exmann gemacht hast, obwohl du die Schuldige warst, obwohl du ihn verlassen hast, hast du ihn ausgenommen wie eine Weihnachtsgans, ihm sogar sein Elternhaus genommen, und bei diesem Habenichts, den du unterhalten musst, der dich wie ein Blutegel aussaugt, bei diesem Typen bist du wie ein kleines eingeschüchtertes Mäuschen. Grit, werde wach, was muss denn noch passieren, damit du endlich zur Besinnung kommst? Muss er dich schlagen? Körperlich auf dir herumtrampeln? Seelisch tut er das längst … Ich sage es dir noch einmal. Bitte, mach’ Schluss mit ihm, tue es um deiner selbst willen, wegen deiner Würde.«

      »Ach, Bettina, das verstehst du nicht.«

      »Nein, Grit, da hast du recht, ich verstehe es nicht, und ich will es auch nicht verstehen. Ich habe es dir schon mal gesagt. Am liebsten würde ich diesen Schmarotzer abknallen, aber er ist nicht einmal die Kugel wert, und wegen eines solchen Typen will ich auch nicht im Knast landen. Aber weißt du was, wohin du kommst, wenn du das weiter mit dir machen lässt? Ich sage es dir, du landest in der Irrenanstalt, weil er dich um den Verstand bringt, und dann brauchst du nicht einmal ihn, der dich von deinen herrlichen Kindern abbringt, das machst du dann ganz allein. Willst du das?«

      Wieder Stille, dann ein zögerliches: »Bettina, ich möchte das Gespräch jetzt beenden …, sorry, dass ich dich mitten in der Nacht angerufen habe.«

      Sie hatte nicht einfach aufgelegt, das war doch schon mal ein Fortschritt, und deswegen sagte Bettina mit sanfter Stimme: »Du kannst mich jederzeit anrufen, Grit. Ich bin deine Schwester, und ich …, ich habe dich sehr lieb und möchte, ganz besonders, weil ich es selbst auch bin, dass du glücklich wirst … Geh jetzt ins Bett und versuche zu schlafen, morgen ist ein neuer Tag, und da sieht schon alles anders aus. Und wenn du mich brauchst, ich bin immer für dich da.«

      »Danke, Bettina, das weiß ich … Du bist die Beste von uns allen, und du hast dein Glück auch verdient … Gute Nacht.«

      Sie wartete Bettinas Antwort nicht mehr ab, sondern legte auf, doch das war okay.

      Bettina war innerlich viel zu aufgewühlt, um jetzt wieder ins Bett zu gehen. Sie würde ohnehin nicht schlafen können.

      Sie ging in die Bibliothek und kuschelte sich mit hochgezogenen Beinen in ihren Lieblingssessel.

      Arme, arme Grit, dachte sie, die war von diesem Mann wie von einem Dämon besessen. Nur weil mit ihm das Laken bebte ließ sie sich alles gefallen? Irgendwo gab es doch Grenzen, selbst wenn dieser Robertino eine Granate im Bett war, konnte das nicht alles andere aufwiegen. Grit war ihm in jeder Hinsicht überlegen und ließ sich dennoch behandeln wie ein Hündchen an der Leine.

      Was sollte sie bloß machen?

      Am liebsten hätte sie mit Holger geredet, Grits Exmann, der Grit besser kannte als jeder andere, er war lange Jahre mit ihr verheiratet gewesen, und sie hatten zwei wunderbare Kinder miteinander. Holger hatte sehr darunter gelitten, von seiner Frau zuerst betrogen und hernach verlassen zu werden. Aber halt, das stimmte so auch nicht mehr. Holger kannte die Grit von früher, die heutige Grit konnte er nicht mehr verstehen. Außerdem war er neu verheiratet, war mit seiner Irina glücklich. Und durfte sie mit ihm über Grit reden? Wäre das nicht ein Verrat an ihrer Schwester?

      Holger war ein wunderbarer Mann, den sie mochte, und mit dem sie sich auch während der ganzen Scheidungsaffäre gut verstanden hatte. Aber jetzt gehörte er nicht mehr zur Familie, und sie hatten früher schon mal über Grit und ihren Lover gesprochen, damals, als sie noch nicht einmal geschieden gewesen waren, und da war Holger auch nur ratlos gewesen.

      Nein!

      Sie konnte es drehen und wenden wie sie wollte. Grit musste da allein hindurch, das einzige was sie tun konnte, war, sie aufzufangen, wenn sie wieder mal am Ende war wie damals, als sie unglücklich, verzweifelt und total betrunken bei ihr gelandet war.

      Nur hoffentlich würde sie sich ein zweites Mal nicht wieder total betrinken.

      Der Schutzengel half einem nur ein Mal, ein zweites Mal nicht mehr, und was das für Folgen haben konnte, darüber wollte Bettina besser nicht nachdenken.

      Ihre Geschwister!

      Über ihren Bruder Frieder hatte sie sich hinweggesetzt, oder richtiger gesagt, sie hatte alles verdrängt. Die Verletzungen, die er ihr zugefügt hatte, waren einfach zu groß gewesen, und eines Tages hatte sie aufgegeben um seine Gunst zu kämpfen. Sie war nur froh, dass er nicht in den Bürgschaftsskandal verwickelt war, denn das hätte den breiten, beinahe unüberbrückbaren Graben zwischen ihnen noch mehr vergrößert.

      Welch ein Glück, dass es bei ihrem Bruder Jörg im Augenblick gut lief. Er und seine geschiedene Frau Doris hatten sich wieder zusammengerauft, sein Flugzeugabsturz, den er mit Miriam überlebt hatte, hatte ihn ein wenig geläutert. Bettina war glücklich darüber, dass er sein Erbe, das prachtvolle Weingut Chateau Dorleac nicht mehr verkaufen wollte, dass er von dem Gedanken, dass Besitz nur belaste, abgekommen war. Um Jörg und Doris musste sie sich keine Sorgen mehr machen, und sie freute sich wahnsinnig darauf, sie schon sehr bald wiederzusehen.

      Grit war das Sorgenkind. Sie würde auf jeden Fall alles daran setzen, dass sie bei der Hochzeit nicht nur eine Stippvisite machen würde. Sie hatte Jörg und Doris auch seit Ewigkeiten nicht gesehen, und wenn Doris und sie nicht die allerbesten Freundinnen waren, so verstanden sie sich doch recht gut, und zu Jörg hatte Grit ein gutes Verhältnis. Vielleicht konnte der ihr ja ins Gewissen reden.

      Frieder hatte sie auch eine Einladung geschickt, aber ob der kommen würde, das stand in den Sternen. Sie glaubte eher nicht und hatte sich in ihrem Inneren damit auch schon abgefunden. Das ersparte ihr eine Enttäuschung.

      Es war so schade, dass sie nach dem Tod ihres Vaters alle auseinandergedriftet waren. Er hatte halt alles zusammengehalten.

      Ach, ihr Vater. Wie glücklich wäre er über ihre Wahl, und was gäbe sie nicht darum, ihn und Christina, seine letzte große Liebe, bei ihrem schönsten Tag im Leben dabei zu haben. Aber ihr Vater und Christina waren tot und ruhten jetzt Seite an Seite im Familiengrab der Fahrenbachs. Wenn sie schon im Leben nicht vereint sein konnten, so doch wenigstens im Tod. Das war ein tröstlicher Gedanke.

      Bettina wollte gerade aufstehen, um sich etwas zu trinken zu holen, als Thomas in die Bibliothek kam.

      »Sag mal, Schatz, was machst du denn hier?«, wollte er wissen. »Weißt du nicht, wie spät es ist? Außerdem – du hast doch bereits tief und fest geschlafen, warum geisterst du jetzt hier herum?«

      »Weil Grit angerufen hat. Sie war vollkommen durch den Wind. Dieser grässliche Robertino setzt sie wieder unter Druck. Stell dir vor, er verlangt doch wahrhaftig von ihr, dass sie den Kontakt zu ihren Kindern abbricht. Und um das zu erreichen ist er einfach, auf ihre Kosten natürlich, in ein Hotel gezogen. Ist das nicht ein starkes Stück?«

      Er ging zu ihr, legte seinen Arm um sie.

      »Tut mir leid, mein Herz, aber dazu sage ich nichts mehr. Das mit deiner Schwester und diesem Italiener ist eine unendliche Geschichte. Du solltest dich da auch nicht so hineinsteigern, Grit ist stur, die macht ohnehin was sie will, und du hast den Katzenjammer. Du bist wirklich nicht auf der Welt, um die Hüterin deiner Schwester zu sein. Also, mein Liebling, vertreib all die trüben Gedanken und komm jetzt mit ins Bett.«

      Thomas hatte ja so recht, aber andererseits …

      »Tini, du kannst wirklich nichts für sie tun, zumindest nicht jetzt. Du kannst ihr ja nach der zweiten Bauchlandung

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