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und weitere andere Häuser auch, um ein Gefühl zu bekommen, wo ich leben möchte. Ich war mit Martin überall, und es hat uns überall gut gefallen, und an all den Orten hängen diese wundervollen Erinnerungen …«, ihre Stimme hatte einen verträumten Klang angenommen, sie war für einen Augenblick überwältigt von dem, was sie mit Martin erlebt hatte.

      Bettina sagte deswegen nichts, erst nach einer ganzen Weile begann sie zu reden: »Du sprichst so, als wolltest du dein Leben lang allein bleiben. Du bist eine attraktive Frau, und es wird ganz bestimmt irgendwann einen Mann an deiner Seite geben.«

      Linde nickte.

      »Kann sein, aber ich glaube, das war es für mich. Manchen Frauen ist nur ein einziges großes Glück im Leben beschieden, und zu diesen Frauen scheine ich zu gehören, denn deswegen hatte Christian auch keine wirkliche Chance. Tief in meinem Inneren habe ich ihn immer mit meinem Martin verglichen, und gegen den hat einfach niemand eine Chance.«

      »So denkst du im Augenblick, aber Leben verändert sich ständig, Ansichten und Einsichten tun es auch. Und was heute wichtig und richtig für dich ist, ist morgen schon Schnee von gestern. Martin wird niemand ersetzen, aber einen Platz neben ihm wird irgendwann ganz bestimmt ein anderer Mann einnehmen. Mein Bruder Christian ist halt zu früh in dein Leben getreten, da war die Zeit noch nicht reif. Und du kennst doch den Satz – die Dinge geschehen, wenn die Zeit reif ist.«

      Linde winkte ab.

      »Du weißt, was ich von solchen Sprüchen halte …, nichts. Jetzt mal andersrum gefragt, angenommen einmal, Thomas würde ein Schicksal wie Martin erleiden, irgendein wahnsinniger Geisterfahrer würde in selbstmörderischer Absicht in ihn hineinrasen, oder bei einem Gewitter würde der Blitz in ihn einschlagen, bei einem Sturm ein Baum auf ihn fallen oder er würde an einer unheilbaren Krankheit sterben … Egal, was auch immer … Kannst du dir das Leben an der Seite eines anderen Mannes vorstellen?«

      Für einen Augenblick hatte Bettina sich die Ohren zugehalten.

      »Sag so was nicht«, rief sie mit bebender Stimme, »ich will das nicht hören.«

      »Mein Gott, Bettina, reg dich ab. Es ist rein hypothetisch gesprochen, es kann immer was passieren.«

      Bettina wollte daran aber nicht denken.

      »Bei dir hat es Anzeichen für ein Unglück gegeben«, sagte sie, »der schwarze Vogel, der sich bei deiner Hochzeit auf dich stürzte, die Roma, die dir nicht aus der Hand lesen wollte und …«

      »Hör auf damit, Bettina, ob Anzeichen oder keine, in jedem Leben kann unvorhergesehen etwas passieren, auch wenn vorher alles Friede, Freude, Eierkuchen war, auch wenn es keine schwarzen Vögel gab …, und du musst dich jetzt auch in nichts hineinsteigern. Es ist nichts passiert, und aller Wahrscheinlichkeit wird es das auch nicht. Es geht doch jetzt nur darum, ob du dir vorstellen kannst, nach Thomas noch einen Mann zu lieben.«

      Bettina schüttelte den Kopf.

      »Nein, das kann ich nicht«, sie beruhigte sich allmählich wieder. Sie hatte wirklich geradezu hysterisch reagiert. »Und du hast recht, nach einer großen Liebe ist es nicht einfach, sich einem anderen Mann zuzuwenden.« Sie hatte sagen wollen, Ersatz zu finden, aber das hatte sie gelassen, denn das war töricht. In emotionaler Hinsicht war niemand zu ersetzen, wie in einem Schachspiel, wo man an die Stelle eines Turms ein Pferd setzte oder beliebig andere Steine austauschte.

      Vreni kam an den Tisch, die Kellnerin, die zusammen mit ihrem Mann während Lindes Abwesenheit die Chefrolle im Gasthof übernehmen sollte.

      »Entschuldigung, Frau Gruber. Das Busunternehmen Schmitz will eine Änderung vornehmen, zum Frühstück wollen sie morgen mit sechzig Leuten kommen, mittags sollen es dann hundertzwanzig Personen sein, also vierzig mehr. Schaffen wir das noch? Der Herr Schmitz wartet auf den Rückruf. Ich hab’ schon mal mit der Küche gesprochen, aber die sind reinweg hysterisch geworden und haben gesagt, dass es nicht geht.«

      Lachend erhob Linde sich.

      »Tut mir leid, Bettina, dass ich unseren Plausch abbrechen muss. Ich muss mit den Jungens in der Küche mal Tacheles reden, die nehmen sich immer zu wichtig, dabei schaffen sie es hinterher doch, wenn man ihnen wie einem kranken Pferd gut zuredet und sie und ihre Fähigkeiten lobt.«

      »Das kann die Frau Gruber wirklich«, sagte Vreni voller Bewunderung, »sie dahin zu bringen, dass sie ihr aus der Hand fressen. Aber sie ist halt die Chefin, während ich nur eine Bedienung bin, also ihresgleichen, nein, was rede ich da, eine Bedienung ist auf jeden Fall weniger als ein Koch, die rennt sich ja bloß die Hacken ab und hat abends lahme Arme, während Köche zu den Kreativen zählen.«

      Linde klopfte ihrer besten Kraft auf die Schulter.

      »Nicht mehr lange, Vreni, da werden Sie dir auch aus der Hand fressen, nämlich dann, wenn sich das Blatt gewendet hat und du die Chefin sein wirst.«

      Vreni nickte.

      »Auf der einen Seite freue ich mich darauf, auf der anderen habe ich aber auch einen ganz gehörigen Bammel davor.«

      »Sie schaffen das schon«, meinte Bettina, dann umarmte sie ihre Freundin. »Wir sehen uns dann heute Abend«, sagte sie, ehe sie den Gasthof verließ.

      Lindes letzte Worte verfolgten sie so sehr, dass sie wusste, dass sie ihren Seelenfrieden erst nach einem kleinen Abstecher in der Kapelle wiederfinden würde.

      Sie musste unbedingt ein paar Kerzen anzünden und darum bitten, dass ein solches Unglück, wie es Martin widerfahren war, oder etwas Ähnliches ihr und Thomas niemals widerfahren würde.

      Ein paar Kerzen?

      Nein, sie würde ein ganzes Meer von Kerzen anzünden als Symbol dafür, dass ihr Weg mit Thomas immer voller Licht sein möge.

      Allmählich beruhigte sie sich, und als sie ihren Wagen auf dem Parkplatz unterhalb der Kapelle abstellte, war sie wieder ganz ruhig.

      Sie eilte den Hügel hinauf, entlang an dem gurgelnden Bach, warf oben einen Blick auf die verschwenderisch blühenden Hortensienbüsche, ehe sie das schwere Eichenportal aufstieß und in die Kapelle ging, die Fahrenbach-Kapelle, denn einer ihrer Vorfahren hatte sie erbaut, zum Wohle seiner Familie und zum Wohle aller Fahrenbacher.

      Zum Glück war niemand da, aber es waren Menschen hier gewesen, um zu beten, still zu verweilen. Es brannten mehrere Kerzen. Als Bettina in das Fach griff, fand sie nur noch fünf Kerzen. Aber das machte nichts. Sie alle anzünden zu wollen, war vielleicht ein wenig übertrieben gewesen, denn wenn Nachschub da war, da lagen mindestens fünfzig Kerzen im Fach.

      Bettina beschloss, gleich Arno Bescheid zu sagen, der stets dafür sorgte, dass immer genügend Kerzen da waren. Früher hatten die Dorfbewohner hier und da Kerzen mitgebracht, aber nun kamen immer mehr Fremde, und die Idee eines Feriengastes, eine Spendenbox anzubringen, hatte sich in jeder Hinsicht bezahlt gemacht. Die Kerzen wurden nun von diesem Geld gekauft, aber die Leute trauten sich jetzt auch Kerzen anzuzünden, was vorher nicht der Fall gewesen war, da hatten sie ein Problem damit gehabt, einfach eine Kerze wegzunehmen.

      Dann nahm sie die letzten Kerzen in die Hand, steckte sie auf den extra dafür vorgesehenen Metallkasten und zündete sie an. Danach setzte sie sich auf die Bank in der ersten Reihe und schloß die Augen.

      Lieber Gott, betete sie, bitte lass Thomas und mich ein langes, langes Leben glücklich sein.

      Frieden breitete sich in ihr aus, und auch das letzte Zipfelchen Angst verflog.

      Sie schaute in die ruhig abbrennenden Flammen und verlor sich in Träume, in Träume, die in wenigen Tagen Realiät sein würden, wenn sie und ihr Tom gemeinsam vor dem schlichten Altar stehen würden, um den Segen für ein glückliches Zusammenleben als Mann und Frau zu bekommen.

      Wie sehr hatte sie sich danach gesehnt, und nun würde es endlich so weit sein.

      Als Vermählte grüßen Thomas Sibelius und Bettina Sibelius, geborene Fahrenbach, stand auf den Büttenkarten in edlem Stahlstich.

      Tränen des Glücks rollten über ihr Gesicht, aber die hielt sie nicht auf.

      *

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