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auf den sie sich so sehr gefreut hatte, nichts werden würde.

      Das war ein zusätzlicher Grund zu weinen.

      Sie war so sehr mit sich, ihrem Schmerz beschäftigt, dass sie für einen Augenblick Thomas vergessen hatte.

      Erst als das Auto unmittelbar vor ihr hielt, er ausstieg, sich erkundigte: »Tini, wo bleibst …«

      Alle weiteren Worte blieben ihm im Hals stecken, denn er hatte gesehen, dass da etwas geschehen war.

      Mit wenigen Schritten war er bei ihr.

      »Tini, Liebes, um Gottes willen, was ist denn geschehen?« Seine Stimme klang besorgt.

      »Ich …, ich …«, sie konnte vor lauter Schluchzen erst einmal nicht sprechen, statt dessen deutete sie mit ihrer rechten Hand auf ihren lädierten Fuß.

      »Du liebe Güte«, rief er bestürzt, »wie ist das denn passiert?«

      »Einfach so«, schluchzte sie.

      Er half ihr wieder auf die Beine, was ihr, weil es wirklich höllisch weh tat, einen weiteren Schmerzensschrei entlockte. Auftreten konnte sie nicht, das machte ein erster Versuch klar.

      »Wir müssen hierbleiben«, bestimmte er, »und du musst sofort zu einem Arzt. Hoffentlich hast du dir nichts gebrochen. Dein Knöchel ist ja gigantisch angeschwollen.«

      Hierbleiben?

      Ja, sie würde nicht fliegen können, das stand fest, aber Tom musste doch deswegen nicht dabei bleiben. Er konnte eh nichts für sie tun. Und zum Arzt fahren konnten sie Leni, Arno oder Toni oder wer auch immer.

      »Du musst fliegen«, sagte sie, »Nancy freut sich doch schon so, da sollte wenigstens einer von uns bei diesem großen Augenblick dabei sein.«

      »Nein«, wehrte er sofort ab, »das kommt überhaupt nicht infrage. Ich hätte doch keine ruhige Minute.«

      Sie hatten nicht bemerkt, dass Leni über den Hof gekommen war, um im Haus wieder Ordnung zu schaffen. »Hallo, ihr Zwei«, sagte sie munter, »warum seid ihr denn noch immer hier? Ihr hättet doch längst weg sein müssen … Flugzeuge warten nicht.«

      Bettina deutete nur auf ihren linken Fuß. Es bedurfte keiner Worte.

      Leni sah das Malheur auch direkt.

      Sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen und jammerte: »O Gott, o Gott, o Gott …, was hast du denn angestellt, Bettina? Du bist doch sonst nicht so tolpatschig.«

      »Nein, bin ich nicht, aber geschehen ist geschehen, und es ist nichts mehr daran zu ändern.«

      »Wir lassen als erstes Yvonne kommen, schließlich hat sie ein ganz normales Medizinstudium abgeschlossen, ehe sie sich als Kinderärztin weitergebildet hat. Und die wird uns sagen, was zu tun ist. Vorher mache ich dir auf jeden Fall erst mal kalte Umschläge, das kann in keinem Fall schaden, und du«, wandte sie sich an Thomas, »mach dich endlich auf die Socken. Du musst nicht hierbleiben, um Bettinas Händchen zu halten. Du störst uns nur.«

      »Ich rufe Nancy an und sag ihr, was passiert ist, sie wird Verständnis dafür haben. Leni, du glaubst doch wohl nicht, dass ich meine Tini in einer solchen Situation allein lasse.«

      »Sie ist nicht allein«, sagte Leni resolut. »Wenn es dich beruhigt, dann hole ich sie zu uns rüber, oder aber ich schlafe die eine Nacht bei euch im Haus … Du siehst, es geht ohne dich.«

      Sie hatten mittlerweile Bettina ins Haus zurückkomplimentiert, was unglaublich schmerzhaft war. Aber tapfer unterdrückte Bettina einen Ausruf des Schmerzes, denn dann würde Thomas wirklich nicht fahren. Und es war doch wirklich töricht, dass er hierblieb. Er konnte ihr den Schmerz nicht nehmen und sie auch nicht heilen. Und es ging ja wirklich nur um eine Nacht, die er weg sein würde.

      »Tom, Leni hat recht, du kannst nichts für mich tun, aber wenn du nach London fliegst, kannst du mir wenigstens hinterher berichten, wie die Veranstaltung gelaufen ist, was das für ein Forschungsauftrag ist, der Nancy ins Südchinesische Meer führt, und vor allem, wer ihr den Preis überreicht, vielleicht doch die Königin.«

      Thomas zögerte noch immer. Ihm war anzusehen, dass er seine große Liebe nicht allein lassen wollte. Aber Leni und Bettina redeten immer weiter auf ihn ein, dass er schließlich nachgab. Schon allein, um seinen inneren Frieden wieder zu gewinnen. Und es stimmte ja auch, was sie sagten, tun konnte er nichts, und morgen würde er eh wieder zu Hause sein. Was auch stimmte – Nancy wäre schon enttäuscht, wenn nicht wenigstens einer käme um bei der Preisverleihung dabei zu sein, durch die ihr schwarz auf weiß bestätigt wurde, dass sie weltweit zu den besten Meeresbiologen gehörte.

      Er und Nancy waren als Studenten kurz miteinander verheiratet gewesen, eine Ehe, die nicht aus Liebe, sondern aus rein rationalen Erwägungen geschlossen worden war. Sie waren vorher Freunde geblieben, gute Freunde.

      Ja, es würde Nancy schon etwas bedeuten, einen guten Freund dabei zu haben.

      »Tom, mein Liebling, bitte flieg nach London«, drang Bettinas Stimme in seine Gedanken.

      Er hörte Leni sagen: »Thomas, es wäre Schwachsinn, wenn du jetzt nicht fliegen würdest. Du kannst hier für Bettina nichts tun, wirklich nicht.«

      Er gab sich einen Ruck.

      »Also gut, dann flieg ich, wenn auch ungern. Aber ich sehe schon, dass ich gegen euch ohnehin nichts ausrichten kann. Eine Bitte habe ich … Haltet mich ununterbrochen auf dem Laufenden.«

      Das versprachen die beiden Frauen.

      »Leni, kommst du mit raus, damit ich dir Bettinas Reisetasche geben kann? Die muss ich ja wohl nicht mit nach London nehmen.«

      Er wandte sich Bettina zu.

      »Ihr zwei habt mich überredet …, allein macht es keinen Spaß. Ich hatte mich so auf diesen Kurztrip mit dir gefreut. Versprich mir, dass du wirklich zum Arzt gehen wirst.«

      Sie nickte und versuchte krampfhaft ihre Tränen zurückzuhalten. Sie fühlte sich auf einmal so elend, verlassen. Am liebsten hätte sie ihn doch gebeten, bei ihr zu bleiben, nicht zu fliegen, aber das wäre ganz schön egoistisch gewesen. Warum nur hatte sie nicht aufgepasst, warum war sie so schusselig gewesen? Das alles wäre nicht passiert, wenn sie ihre Gedanken beisammen gehabt und Nancys Geschenk eingepackt hätte.

      »Tom, das Geschenk für Nancy«, rief sie. »Es liegt in der Diele auf der Kommode …, bitte nimm es mit.«

      »Am liebsten würde ich es hierlassen«, brummelte er, »denn nur deswegen ist das alles passiert.«

      Als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte, fuhr er fort: »Ist schon okay, ich nehme es mit.«

      Dann beugte er sich zu ihr herunter, nahm sie zärtlich in die Arme, küsste sie sanft. »Ich liebe dich«, flüsterte er ihr ins Ohr, ehe er sich wieder aufrichtete, ihr über das Haar strich, sie anschaute.

      Ihm war anzusehen, dass er nicht die geringste Lust hatte sie allein zu lassen.

      Erst als Bettina sagte: »Du musst los, mein Schatz, sonst verpasst du den Flieger wirklich«, wandte er sich seufzend ab und verließ den Raum.

      Bettina hörte, wie er sich noch mit Leni unterhielt, die die Reisetasche in Empfang genommen hatte.

      Als der Motor aufheulte und sie sicher sein konnte, dass Thomas nicht mehr zurückkommen würde, brach sie weinend zusammen.

      Wie sehr hatte sie sich auf die Reise gefreut, auf Nancy, auf das festliche Bankett, auch auf London, obschon sie von der Stadt nicht viel gesehen hätte.

      Warum war ihr das ausgerechnet jetzt passiert?

      Sie konnte sich nicht erinnern, schon einmal einen solch unsinnigen Unfall gehabt zu haben.

      Bettina versuchte ihren geschwollen Fuß zu bewegen, doch das ließ sie sofort sein, weil wieder ein unerträglicher Schmerz sie durchzuckte.

      *

      Als Leni hereinkam und das Häufchen Elend vor sich sah, war sie mit wenigen

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