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      Katharinas Erschrecken war nicht gespielt, und spätestens in diesem Moment wußte Dr. Daniel, daß die Schweigepflichtentbindungserklärung von ihr höchstens unwissentlich unterschrieben worden sein konnte.

      »Norbert hat Sie angezeigt? Aber… warum denn?«

      »Sie wissen wirklich nichts davon?«

      Katharina schüttelte den Kopf. »Weshalb sollte Norbert Sie anzeigen? Herr Doktor, das muß ein Irrtum sein.«

      Dr. Daniel seufzte, dann setzte er sich auf die Bettkante. »Leider nicht. An dieser Stelle muß ich mich gleich entschuldigen, Ka-tharina. Ich dachte, das alles wäre mit Ihrem Einverständnis, zumindest aber mit Ihrem Wissen geschehen.« Er erzählte, welchen Vorwurf Nobert der Polizei gegenüber geäußert hatte. Katharina war entsetzt, und sie versicherte, daß sie niemals etwas unterschrieben hatte, was bedeutete, daß Norbert zu allem Überfluß auch noch ihre Unterschrift gefälscht haben mußte.

      Was der gewiefte Journalist sonst noch alles in die Wege geleitet hatte, erfuhr Dr. Daniel allerdings erst viel später. Ein reißerisch aufgemachter Artikel, der tatsächlich die Titelseite einnahm, äußerte bereits den dringenden Verdacht, Dr. Daniel habe eine illegale Abtreibung vorgenommen. In allen Einzelheiten, aber natürlich unter völliger Verdrehung der Tatsachen, schilderte Norbert, daß Katharina aufgrund einer Kopfverletzung ins Krankenhaus gekommen war. Hier habe Dr. Daniel dann aus unerfindlichen Gründen eine Abtreibung vorgenommen und nachher zu seinem Schutz behauptet, der Fetus wäre bereits vorher tot gewesen.

      Der Artikel schlug nicht nur in Steinhausen hohe Wellen. Unter dem Druck der Presse war die Staatsanwaltschaft gezwungen, Anklage zu erheben, obwohl die Aussagen von Dr. Daniel und Dr. Metzler, vor allem aber die Erklärung von Katharina Bertram, sie habe schon Tage zuvor keine Kindsbewegungen mehr gefühlt, das kaum rechtfertigten. Allerdings war Dr. Daniel sogar froh, daß es zum Prozeß kam, denn nur so konnte sein Name in aller Öffentlichkeit wieder reingewaschen werden. Anfangs sah es jedoch so aus, als würde das genaue Gegenteil eintreten.

      »Das Gutachten der Gerichtsmedizin bestätigt, daß der Fetus zum Zeitpunkt der eingeleiteten Geburt noch am Leben war«, führte der Staatsanwalt aus. »Damit ist der Tatbestand der illegalen Abtreibung erfüllt und Dr. Daniel im Sinne der Anklage für schuldig zu befinden.«

      Dr. Daniel war wie vor den Kopf gestoßen.

      »Das ist unmöglich!« erklärte er. »Der Fetus war tot. Wolfgang, du warst dabei, du hast es auch gesehen.«

      Dr. Metzler nickte. Ihm war es unbegreiflich, wie die Gerichtsmedizin zu einem solchen Schluß kommen konnte, doch durch das Gutachten verloren nun alle Aussagen an Gewicht. Nicht einmal die Tatsache, daß Norbert Krämer die erste Schweigepflichts-entbindungserklärung von Katharina gefälscht hatte, fiel noch sonderlich ins Gewicht. Ausschlaggebend war allein, was der Gerichtsmediziner aufgrund einer Obduktion des Fetus herausgefunden hatte.

      Das Urteil war nur noch eine Formsache. Dr. Daniel wurde die Approbation entzogen, außerdem wurde er zu einer nicht unerheblichen Geldstrafe verurteilt.

      *

      Der Prozeß um Dr. Daniel warf seine Schatten über ganz Steinhausen, vor allem natürlich über seine Familie. Der Teil der Praxis, wo Dr. Daniel gearbeitet hatte, wurde geschlossen, und er trat von seinem Posten als Klinikdirektor zurück. Dabei war ihm noch immer schleierhaft, wie es zu einer so fatalen Wendung in diesem Prozeß überhaupt hatte kommen können.

      Auch Stefan und Darinka waren vom Verlauf der Dinge so betroffen, daß sie ihre eigenen Probleme in den Hintergrund stellten. Von der Operation und dem nachfolgenden anaphylaktischen Schock, der aufgrund der Antibiotika-Infusion eingetreten war, hatte sich Darinka gut erholt, aber was sie jetzt mit Stefan verband, war ein seltsam schwebendes Verhältnis. Die dringend nötige Aussprache hatte noch nicht stattgefunden – die beiden waren nicht wirklich getrennt, aber auch nicht richtig zusammen.

      Dann ging Dr. Daniel in Berufung. Seine Familie und das Klinikpersonal standen geschlossen hinter ihm. Der Fall wurde ein zweites Mal aufgerollt und brachte Dr. Daniel erneut in die Schlagzeilen. Es wurde eifrig darüber spekuliert, wie die Angelegenheit diesmal ausgehen würde.

      Dr. Daniel beantragte eine zweite gerichtsmedizinische Untersuchung, doch der Antrag wurde abgelehnt. So schnell gab Dr. Daniel aber nicht auf. Er berief sich auf seine Aussage, daß der Fetus zum Zeitpunkt der Ultraschalluntersuchung kein Lebenszeichen mehr aufgewiesen hatte und bekräftigte dies durch Dr. Metzlers eigene Feststellung, der bei der Untersuchung ja ebenfalls da gewesen war. Darüber hinaus gab Dr. Scheibler nach Entbindung der Schweigepflicht eine Stellungnahme ab, die bezeugte, daß bei Katharina Bert-ram während des Eingriffs eine massive Blutgerinnungsstörung eingetreten war, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch den toten Fötus ausgelöst worden war.

      Nach eingehener Beratung entschlossen sich die Richter der Berufungskammer, dem Antrag auf ein weiteres gerichtsmedizinisches Gutachten doch stattzugeben, da die Aussagen von nunmehr drei anerkannt guten Medizinern nicht einfach ignoriert werden konnten.

      Erneut mußte sich die Gerichtsmedizin mit dem toten Fetus beschäftigen, und nun zeigte sich plötzlich ein völlig anderes Ergebnis. Das Gutachten untermauerte Dr. Daniels und Dr. Metzlers Aussagen. Der beauftragte Gerichtsmediziner ging in seinen Ausführungen sogar so weit, daß der Fetus schon mindestens zehn, ja vermutlich zwölf Tage vor dem streitgegenständlichen Eingriff tot gewesen sein mußte. Abschließend fügte er hinzu, daß das Leben der schwangeren Patientin durch den toten Fetus in höchstem Grad gefährdet gewesen sein müsse. Eine andere Entscheidung, als die von Dr. Daniel getroffene, hätte es in diesem Fall also gar nicht geben können.

      Daraufhin wurde das Urteil der ersten Instanz aufgehoben und Dr. Daniel vom Schuldvorwurf der illegalen Abtreibung freigesprochen. Parallel dazu wurde untersucht, weshalb das erste Gutachten so völlig anders ausgefallen war, und als das Ergebnis feststand, wurde gegen Norbert Krämer ein Verfahren eingeleitet. Er hatte Dr. Daniel in seinen Artikeln nämlich nicht nur schwer verleumdet, sondern darüber hinaus noch einen Arzt des gerichtsmedizinischen Instituts bestochen, damit ein falsches Gutachten zu den Akten gelangte. Auch der Gerichtsmediziner wurde belangt, und beide mußten sehr empfindliche Strafen hinnehmen. In der Folge zog das Urteil sowohl für Norbert als auch für den bestochenen Arzt eine fristlose Kündigung nach sich.

      Einen Tag nach der Urteilsverkündung kam Katharina Bertram zu Dr. Daniel, der auch seine Tätigkeit als Klinikdirektor wiederaufgenommen hatte, in die Praxis.

      »Ich bin so froh, daß nun doch noch alles gut ausgegangen ist«, erklärte sie, als sie ihm in seinem Sprechzimmer gegenübersaß. »Ich habe keine Sekunde daran geglaubt, daß Ihnen ein Fehler unterlaufen sein könnte.«

      »Danke, Katharina, das tut mir sehr gut«, erwiderte Dr. Daniel. Inzwischen konnte er schon wieder lächeln, aber man sah ihm noch sehr deutlich an, wie sehr der lange Prozeß an seinen Nerven gezehrt hatte. Er wechselte spontan das Thema. »Sie sehen glücklich aus, Katharina.«

      Sie nickte mit einem strahlenden Lächeln. »Das bin ich auch, Herr Doktor. Andy und ich werden heiraten.«

      »Andy«, wiederholte Dr. Daniel. »Ich nehme an, das ist Herr Korda.«

      »Ja«, gestand Katharina, und das selige Glänzen in ihren Augen ließ ihr ganzes Gesicht von innen heraus leuchten. »Es war bei uns beiden Liebe auf den ersten Blick, und wir sind so sicher, daß wir zusammenbleiben wollen…« Sie zuckte die Schultern. »Wozu mit der Hochzeit also noch länger warten? Andy sagt, entweder man weiß es sofort oder nie.«

      »Damit hat er wohl nicht ganz unrecht«, stimmte Dr. Daniel zu und dachte dabei an seine eigene Ehe mit Manon. Als sich ihre Freundschaft in Liebe gewandelt hatte, da hatte er auch sehr schnell gewußt, daß sie die Frau war, mit der er nach seinem jahrelangen Witwerdasein eine zweite Ehe eingehen wollte.

      »Wir spielen auch mit dem Gedanken an ein Kind«, gab Ka-tharina zu und riß Dr. Daniel damit in die Wirklichkeit zurück. »Allerdings gestehe ich, daß ich vor einer neuen Schwangerschaft schreckliche Angst habe.«

      »Das ist verständlich«, meinte Dr. Daniel. »Sie

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