Скачать книгу

Schade, ich hätte mich gern noch ein bißchen mit Ihnen unterhalten.«

      Mario zögerte, dann sprach er aus, was er dachte. »Wenn Sie nichts dagegen haben… ich meine, ich könnte Sie ja mal besuchen, Frau Kortenhagen.«

      In Nicoles Gesicht ging wieder die Sonne auf. »Das wäre schön! Und bitte, sagen Sie doch einfach Nicole zu mir.« Sie schwieg kurz, dann bekräftigte sie noch einmal: »Ja, Mario, besuchen Sie mich. Ich liege in der Gynäkologie auf Zimmer 12.«

      »Ich komme ganz bestimmt«, versicherte Mario.

      *

      Karina Daniel saß in der ersten Reihe und verfolgte aufmerksam die Darbietungen der Karatekämpfer, die vor ihr auf der Bühne ihre Schaukämpfe austrugen. Normalerweise wäre sie zu diesem Wettkampf wohl gar nicht gegangen, doch Dr. Jeffrey Parker hatte sie eingeladen.

      »Meine Damen und Herren, ich darf um Ihre Aufmerksamkeit bitten.« Die Stimme des Vereinsvorsitzenden unterbrach Karinas Gedanken. »Wir kommen nun zum Höhepunkt der heutigen Wettkämpfe. Ich freue mich außerordentlich, daß ich Ihnen unseren besten Karatekämpfer präsentieren kann. Er ist nicht nur Aushilfstrainer unseres Clubs, sondern auch der amtierende Bayrische Meister. Er ist Träger des 4. Dan und sollte aufgrund dieses Ranges schon längst nicht mehr nur Aushilfstrainer des Clubs sein, doch aus beruflichen Gründen mußte er eine richtige Trainertätigkeit leider bisher ablehnen, denn er ist Arzt und dadurch sehr eingespannt. Meine Damen und Herren, begrüßen Sie mit mir – Dr. Jeffrey Parker!«

      Applaus brandete auf, als der junge Arzt auf die Bühne trat und sich nach asiatischer Manier verbeugte. Dann blickte er auf und direkt in Karinas Gesicht. Er lächelte und zwinkerte ihr freundschaftlich zu.

      »Dr. Parker wird den letzten Kampf dieses Wettbewerbs bestreiten«, fuhr der Vorsitzende fort, dann lächelte er. »Mal sehen, ob sein Gegner eine Chance gegen ihn hat.«

      Die hatte er nicht. Dr. Parkers Schnelligkeit und sein herausragendes Können ließen nicht zu, daß sein Gegner ihn ernsthaft gefährden konnte.

      Gespannt verfolgte Karina den Kampf und mußte dabei unwillkürlich an die Nacht denken, in der sie Dr. Jeffrey Parker kennengelernt hatte. Damals hatte sie noch in Freiburg studiert und war auf dem Heimweg von sechs Halbstarken überfallen worden, doch bevor diese Burschen ihr wirklich hatten Gewalt antun können, war Dr. Parker zufällig dazugestoßen und hatte die Kerle mit ein paar gezielten Schlägen in die Flucht getrieben.

      Für ihn und Karina war das der Beginn einer tiefen Freundschaft gewesen, und Dr. Parker hatte der jungen Medizinstudentin eine wirksame Selbstverteidigung beigebracht, die Karina bis jetzt glücklicherweise aber noch nie hatte anwenden müssen. Im Gegenzug hatte sie dem jungen Anästhesisten, der nach dem tragischen Tod seiner Verlobten seine Heimat in den Vereinigten Staaten verlassen hatte, die Stellung in der Waldsee-Klinik verschafft, und hier fühlte sich Dr. Parker nun zum ersten Mal seit langem wieder richtig wohl.

      Der aufbrausende Applaus riß Karina in die Wirklichkeit zurück. Dr. Parker hatte den Schaukampf glatt nach Punkten gewonnen.

      Karina erhob sich mit den anderen Zuschauern, doch sie strebte nicht dem Ausgang zu, sondern ging nach hinten zu den Garderoben.

      »Bin gleich soweit!« rief Dr. Parker ihr zu, ehe er in dem Flur verschwand, der zu den Duschkabinen führte. Es dauerte dann auch tatsächlich nicht lange, bis er zurückkam, und jetzt hätte ihm niemand mehr den erstklassigen Karatekämpfer angesehen, denn in Jeans und Pulli sah er aus wie jeder andere attraktive Mann… vielleicht nur ein bißchen besser.

      Das dunkelblonde Haar, das ihm gerade bis zum Nacken reichte, war noch ein wenig feucht, ebenso der gepflegte kurzgeschnittene Vollbart. Tiefblaue Augen dominierten in dem markanten Gesicht, und sein Lächeln zeugte von Güte und Herzenswärme.

      »Wenn du mit diesen feuchten Haaren hinausgehst, holst du dir noch den Tod«, prophezeite Karina.

      Dr. Parker grinste. »Du bist ja so besorgt um mich. Aber keine Angst, ich habe nicht vor, mich dem Schneewind auszusetzen. Wir gehen nur durch die Halle in das kleine Clubrestaurant. Da kann man nämlich sehr gemütlich zusammensitzen.«

      Dr. Parker steuerte auf einen kleinen, hinter einem schmalen Paravent halb verborgenen Nischentisch zu, rückte Karina galant einen Stuhl zurecht und setzte sich dann ebenfalls.

      »Ich hoffe, daß wir hier einigermaßen in Ruhe gelassen werden«, meinte er. »Nach solchen Schaukämpfen werde ich gelegentlich regelrecht belagert.«

      »Kein Wunder«, urteilte Karina. »Du bist ja auch wirklich erstklassig.«

      Bescheiden winkte Dr. Parker ab. »Ach was, Karate ist nur mein Hobby, sonst nichts.«

      »Na, ich weiß nicht. Immerhin bist du Bayrischer Meister.« Sie lächelte. »Davon hattest du mir übrigens noch gar nichts erzählt.«

      »Weil es nicht wichtig ist«, entgegnete Dr. Parker schlicht. »Ich betreibe Karate als Ausgleichssport, und wenn ich ganz ehrlich bin – es gefällt mir gar nicht, daß ich in diesem Club mehr oder weniger dazu genötigt wurde, als Aushilfstrainer tätig zu sein.« Er zuckte die Schultern. »Aber als Träger des 4. Dan kommt man in einem so kleinen Verein wohl nicht darum herum. In meinem ehemaligen Verein in den Staaten war das nichts Besonderes.«

      »4. Dan… was ist das eigentlich?« wollte Karina wissen.

      »Das entspricht einer Art Rangliste«, erklärte Dr. Parker. »Zuerst macht man die verschiedenen Gürtelprüfungen. Gelb, Grün und so weiter. Der schwarze Gürtel ist der letzte, dann beginnt man mit dem 1. Dan, wobei die Anforderungen hier immer schwieriger werden.«

      »Das bedeutet, daß du mit diesem 4. Dan wirklich sehr gut sein mußtest«, meinte Karina.

      Dr. Parker lächelte. »In den Staaten war ein Vereinskamerad von mir Träger des 9. Dan. Das ist wirklich eine Leistung, aber um soweit zu kommen, muß man acht Stunden pro Tag trainieren, und diese Zeit hätte ich nicht.« Er lächelte. »Schließlich bin ich nebenberuflich auch noch Arzt.«

      Karina lachte. »Nebenberuflich ist gut. Soweit ich weiß, bist du mit Leib und Seele Arzt.«

      »Ja, und wir sprechen hier nur von mir«, entgegnete Dr. Parker. »Es ist schon seltsam. Da wohnen wir nun im selben Ort und bekommen uns doch fast nie zu Gesicht.«

      »Weil ich eine eifrige Studentin bin«, erklärte Karina, doch ihr Lächeln kam nun plötzlich nicht mehr von Herzen, was Dr. Parker sofort bemerkte.

      »Was ist los, Karina? Hast du Probleme beim Studium?«

      Sie versuchte seinem forschenden Blick auszuweichen. »Nicht direkt.«

      »Also indirekt.« Dr. Parker lächelte, dann legte er eine Hand auf die von Karina. »Na komm, erzähl. Oder hast du etwa kein Vertrauen mehr zu mir?«

      Karina seufzte. »Doch, Jeff, natürlich, aber… es ist wirklich nicht so wichtig.«

      »Bist du sicher?« Er schwieg einen Moment. »Immerhin sitzt du hier mit einem Arzt, der dir vielleicht einen Rat geben könnte. Oder traust du mir das nicht zu?«

      »Meine Güte, du bist aber hartnäckig«, stöhnte Karina. »Dabei… wenn ich mit dir spreche… du bist Anästhesist. Für dich ist das wahrscheinlich gar nichts Besonderes.«

      »Aha, es geht also um die Anästhesie«, stellte Dr. Parker fest. »Hör mal, Karina, das ist mein Fachgebiet. In keinem Bereich der Medizin könnte ich dir besser helfen als dabei.« Er schüttelte den Kopf. »Im übrigen solltest du mich inzwischen gut genug kennen, um zu wissen, daß ich kein Problem auf die leichte Schulter nehme – auch wenn es um etwas geht, was ich Tag für Tag mache und worin ich vielleicht keine Schwierigkeiten sehe. Das bedeutet aber noch lange nicht, daß jeder für die Anästhesie geboren sein muß.«

      Karina senkte den Kopf. »Ich bin es ganz bestimmt nicht.« Mit einer fahrigen Handbewegung strich sie ihr langes, goldblondes Haar zurück. »Ich sollte heute intubieren… selbstverständlich nur an einem Modell…« Sie schüttelte den Kopf. »Noch nie habe ich mich

Скачать книгу