Скачать книгу

Daniel ließ sich neben dem Prinzen im Gras nieder.

      »Meine Frau und mein Töchterchen sind heute zum Stadtbummel nach München gefahren«, erzählte er. »Normalerweise lasse ich mir keine Gelegenheit entgehen, um mit Manon und unserer kleinen Tessa etwas zu unternehmen, aber an einem langen Samstag von Kaufhaus zu Kaufhaus pilgern – das ist nichts für mich.« Er stützte sich mit einer Hand auf dem feuchten Boden ab. »Da wollte ich die Gelegenheit zu einer kleinen Tour wahrnehmen. Eigentlich hätte es mich ja mal wieder auf den Kreuzberg gezogen, aber dafür war die Zeit dann doch ein wenig zu kurz.« Er lächelte. »Jetzt bin ich froh, daß ich hier heraufgegangen bin.«

      Prinz Klaus betrachtete den Arzt eine Weile, dann senkte er den Kopf.

      »Was soll ich nur tun?« fragte er leise.

      Dr. Daniel war erstaunt. Nie hätte er damit gerechnet, daß er so einfach zum Ziel gelangen würde, aber wahrscheinlich war der junge Prinz inzwischen verzweifelt, daß er in diesem Augenblick mit jedem über sein Problem gesprochen hätte.

      »Das fragen Sie ausgerechnet mich?« entgegnete Dr. Daniel trotzdem.

      Langsam hob der Prinz den Kopf wieder, dann nickte er. »Ja, Herr Doktor.« Ein verlegenes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Sarina hat mir so viel von Ihnen erzählt – anfangs übrigens gegen meinen Willen –, daß ich das Gefühl habe, Sie seit Ewigkeiten zu kennen. Und…« Er blickte wieder zu Boden. »Ich habe Vertrauen zu Ihnen. Ich weiß nicht, warum, schließlich sehe ich Sie heute erst zum zweiten Mal, aber… wie Sie vorhin gesprochen haben… über Ihre Frau und Ihre kleine Tochter… ich kann Sie mir so gut als Vater vorstellen, und ich wünschte… ich wünschte…« Er schwieg, doch Dr. Daniel ahnte, woran er einen Augenblick lang gedacht hatte.

      »Mein Vater war auch zu Hause immer der Fürst«, fuhr Prinz Klaus dann auch schon fort. »Ich kann mich nicht erinnern, daß er mit Thilo und mir jemals etwas unternommen hätte – jedenfalls nichts, woran wir Spaß gehabt hätten.« Nachdenklich blickte er auf seine Hände. »Spaß… Freude… das waren immer Fremdworte auf Schloß Hohenstein. Es gab nur die Pflicht und die vielen Gesetze, die mein Vater, Großvater oder sonst jemand aus der alten Ahnenreihe aufgestellt hatte. Wurde ein Gesetz gebrochen, gab es harte Strafen.« Er seufzte. »Manchmal habe ich versucht, mich gegen die Härte meines Vaters aufzulehnen, doch das Ergebnis waren nur weitere Strafen. Irgendwann habe ich mich mit der Kälte, die auf Schloß Hohenstein herrschte, dann abgefunden, aber als Thilo eine Ehe eingehen mußte, die nur schiefgehen konnte, habe ich mir geschworen, daß ich niemals ohne Liebe heiraten würde.«

      »Und jetzt sind Sie im Begriff, genau das zu tun«, entgegnete Dr. Daniel. »Vier Menschen sollen unglücklich werden, nur weil irgendein Fürst von Hohenstein vor Jahrzehnten dieses seltsame Gesetz ins Leben gerufen hat.«

      Prinz Klaus schüttelte den Kopf. »Sarina wird mich nicht heiraten. Sie hat bereits prophezeit, daß sie notfalls vor dem Standesbeamten ›nein‹ sagen wird.«

      Prüfend sah Dr. Daniel ihn an. »Darauf wollen Sie es wirklich ankommen lassen? Klaus… ich darf Sie doch Klaus nennen, oder?« Er lächelte. »Immerhin könnten Sie mein Sohn sein.«

      Der Prinz nickte. »Natürlich können Sie mich Klaus nennen. Ich habe den Prinzen manchmal bis obenhin satt.«

      »Nein, Klaus, nicht den Prinzen«, entgegnete Dr. Daniel ruhig, »sondern die eisige Kälte auf Schloß Hohenstein.« Er legte eine Hand auf Klaus’ Arm. »Vielleicht liegt es in Ihrer Hand, das zu ändern. Bringen Sie Licht und Wärme nach Schloß Hohenstein. Gehen Sie den Weg, den Ihr Herz Ihnen vorschreibt.«

      Prinz Klaus seufzte und fuhr sich mit beiden Händen durch das dichte dunkle Haar.

      »Ich hätte den Mut gehabt, meine Verlobung mit Juliane offiziell bekanntzugeben«, erklärte er. »Mein Vater wäre schockiert und vielleicht auch wütend gewesen, aber er hätte es akzeptiert, weil es in unserer Familie Gesetz ist. Doch jetzt sieht alles anders aus. Die Verlobung rückgängig zu machen, würde bedeuten…« Er schüttelte den Kopf. »Ein derartiger Skandal in unserem Fürstenhaus würde meinen Vater unsagbar zornig machen.« Er blickte wieder zu Boden. »Wahrscheinlich halten Sie mich für feige, aber… ich fürchte den Zorn meines Vaters.«

      »Nein, Klaus, ich halte Sie nicht für feige«, entgegnete Dr. Daniel. »Sie haben vermutlich allen Grund, den Zorn Ihres Vaters zu fürchten. Allerdings sollten Sie sich vor Augen halten, daß Sarina diesen Skandal an Ihrem Hochzeitstag unweigerlich heraufbeschwören wird.«

      Aufmerksam sah Prinz Klaus ihn an. »Was denken Sie, Herr Doktor, wird Sarina den Mut dazu wirklich aufbringen?«

      Dr. Daniel nickte ohne zu zögern. »Mit Sicherheit. Und wissen Sie, warum?« Er wartete die Antwort des Prinzen gar nicht ab, sondern fuhr fort: »Weil sie liebt, und das mit der ganzen Kraft ihres Herzens.« Er schwieg einen Moment. »Als die Verlobung zwischen Ihnen und Sarina bekanntgegeben wurde, hat sie resigniert. Sie wäre bereit gewesen, sich in ihr Schicksal zu fügen, doch dann trat ein junger Mann in ihr Leben. Erst zu diesem Zeitpunkt hat sie den Kampf gegen Sie und Ihren Vater aufgenommen.«

      »Dann wird es also in jedem Fall einen Skandal geben«, befürchtete Prinz Klaus.

      »Nein«, entgegnete Dr. Daniel. »Geben Sie zusammen mit Sarina eine offizielle Erklärung ab. Sagen Sie, Ihre Gefühle zueinander hätten sich geändert… es wäre eine tiefe Freundschaft, aber keine Liebe. Seien Sie einfach ehrlich, Klaus, und ich bin sicher, niemand wird aus der gelösten Verlobung einen Skandal machen.«

      »Mein Vater schon«, murmelte Prinz Klaus. »Vor allem, wenn ich ihm als Ersatz für eine Komtesse ein einfaches Mädchen ins Schloß bringe.«

      »Ein Mädchen, das Ihr Kind unter dem Herzen trägt«, fügte Dr. Daniel hinzu. »Es ist eine Prinzessin oder ein Prinz von Hohenstein. Denken Sie darüber nach, Klaus, ob dieses Kind es nicht verdient hat, dort geboren zu werden, wo es rechtmäßig hingehört. Vor allen Dingen sollten Sie diesem Kind aber beweisen, daß Sie ihm ein guter Vater sein werden.«

      Prinz Klaus schwieg. Er konnte sich jetzt nicht dazu äußern. Zu schwerwiegend war die Entscheidung – nicht nur für sein weiteres Leben, sondern auch für die Zukunft von Schloß Hohenstein. War das ungeschriebene Gesetz einmal gebrochen, dann würde es nie wieder seine Macht entfalten können. Es mochte vielleicht ein Segen sein, denn dann würde niemand mehr zu einer Ehe gezwungen werden können. Andererseits war die Gefahr groß, daß das Fürstengeschlecht derer von Hohenstein mit den Jahren an Ansehen verlieren würde, denn wer sollte sich in Zukunft noch an sein Wort gebunden fühlen?

      Der Prinz fröstelte plötzlich, denn die Feuchtigkeit der Almwiese war mittlerweile bis auf seine Haut gedrungen. Doch sie allein war nicht der Grund. Die Last, die auf seinen Schultern lag, wog im Moment noch schwerer.

      »Denken Sie in Ruhe darüber nach«, riet Dr. Daniel ihm. »Und fragen Sie Ihr Herz, denn was das Herz Ihnen rät, kann niemals schlecht sein.«

      *

      Der Prinz bezahlte seinen Ausflug mit einer schweren Erkältung, begleitet von hohem Fieber. Letzteres gab den Ausschlag dafür, daß Prinz Klaus in die Waldsee-Klinik gebracht wurde, denn der Leibarzt derer von Hohenstein schaffte es mit keinem noch so starken Medikament, das Fieber zu senken.

      Als der Prinz die Waldsee-Klinik erreichte, war sein Zustand bereits so bedenklich, daß er sofort auf die Intensivstation gelegt werden mußte. Über einen speziellen Temperaturfühler konnte das Fieber dort rund um die Uhr überwacht werden.

      Dr. Daniel, der von Sarina unverzüglich über die Krankheit des Prinzen informiert worden war, kam mindestens zweimal täglich zur Intensivstation, um sich nach Klaus’ Zustand zu erkundigen.

      Vor Juliane hatte man die Krankheit vorerst noch geheimgehalten. Ihre Situation war durch die Schwangerschaft und die Tatsache, daß die Verlobung zwischen Klaus und Sarina noch immer bestand, ohnehin schwierig genug. Unter diesen Umständen wollte man ihr die Sorge um den kranken Prinzen wenigstens ersparen.

      »Wie geht’s ihm?« wollte Dr. Daniel wissen.

      Der Chefarzt

Скачать книгу