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Andrews schlug das Fockfall ab und behielt es in der Hand. Roger Brighton und Will Thorne erschienen und schleppten ein zusammengepacktes Segel zum Vormast. Sie nahmen es auseinander – mächtig viel Tuch – und Will Thorne hob eine brettchenverstärkte Spitze an, deren Dreieck mit einem Gatchen, einem Loch, versehen war.

      „Hier bitte das Fall anschlagen, Gary“, sagte er.

      „Palstek?“ fragte Gary.

      „Ich bitte darum.“ Will Thorne war immer ein höflicher Mensch. Im Moment war er ein bißchen aufgeregt. „Aber noch nicht vorheißen.“

      „Alles klar, Will. Das Tuch ist nicht so dick wie das der Fock, eh?“

      „Stimmt, es ist leichter.“

      Inzwischen hatte Roger Brighton zwei Ecken aus dem Segelwust gefischt, die ebenfalls mit Brettchen verstärkt waren und Gatchen hatten.

      „Das sind die Halsen“, erklärte er Hasard, der aufmerksam dabeistand und beobachtete.

      „Für eine Luv- und eine Leeschot?“ fragte er.

      „Genau, Sir.“ Roger schlug die beiden Schoten an und beorderte je zwei Männer, die sie übernehmen sollten.

      „Jetzt kommt der große Moment …“, begann er.

      Carberry unterbrach grinsend: „… wo der Elefant ins Wasser rennt!“

      „Falsch!“ tadelte Roger Brighton und grinste ebenfalls und geradezu jungenhaft. „Jetzt kommt der große Moment, wo ‚El Tigre‘ schneller rennt!“ Er drehte sich zu Gary um. „Heiß vor – die Tüte!“

      Gary Andrews holte das Fockfall durch, und der Kopf des neuen Segels, seine obere Ecke, stieg nach oben, der Wind stieß hinein, beulte das Segel, und es zeigte sich, daß es dreieckig geschnitten war. Aber es hatte einen tiefen Bauch und sah aus wie die eine Hälfte einer Blase oder eines Tropfens: oben spitz und nach den Seiten sich verbreiternd bis hin zu den beiden unteren Ecken, den Halsen, an denen die Schoten angeschlagen waren.

      Die standen jetzt stark unter Zug. Die Blase geigte hin und her wie ein Drachen und mußte mit den Schoten gezügelt werden. Aber dann stand sie Backbord voraus und etwas vom Vormast entfernt – und da zog die Schebecke wie ein Rennpferd los.

      Der Bug zischte durch die See, auf beiden Seiten stoben Gischtfahnen davon.

      „Wir laufen mehr Fahrt als sonst!“ brüllte Dan O’Flynn vom Achterdeck her. „Schätze siebzehn bis achtzehn Knoten!“

      „Du meine Fresse!“ murmelte der Profos erschüttert. „Da zieht’s dir glatt die Hose aus, und die Perücke fliegt davon!“

      Die Kerle jubelten und brüllten und schrien, hauten sich gegenseitig auf die Schultern und hüpften herum wie auf einem Kirmesfest.

      Es war tatsächlich sagenhaft.

      Die Schebecke hatte ihre Marschgeschwindigkeit bei diesem Wind und den üblichen Segeln um mehr als die Hälfte erhöht. Sie lag auch mehr über und mit dem Bug etwas tiefer, weil die Blase da vorn wie verrückt zog.

      Hasard bemerkte es und beorderte die Mannen, die nicht an dem neuen Segel gebraucht wurden, nach achtern und nach Luv.

      Zuerst war er sprachlos gewesen und hatte dieses Ding, das Will Thorne aus mehreren Bahnen Segeltuch in waagerechten Streifen zusammengenäht hatte, mißtrauisch angestarrt, als es begann, sich aufzublähen und nach unten zu verbreitern.

      Mein Gott, hatte er gedacht, was haben die da bloß ausgeheckt! Ein Segel mit einem derart verrückten Schnitt hatte er noch nie gesehen. Er hatte schon Befehl geben wollen, diesen Unsinn abzubrechen, da hatte sich das Segel wie eine Blase aufgebläht, und die Schebecke war mit einem Ruck angesprungen, ja, wie ein Pferd, dem die Peitsche gegeben worden ist.

      Und jetzt raste sie – um im Bild zu bleiben – im gestreckten Galopp über die See. Dieses blasenförmige Segel zog den Dreimaster mit unheimlicher Kraft vorwärts.

      Will Thorne hatte ein glückliches Lächeln auf dem verwitterten Gesicht, Roger Brighton grinste bis zu den Ohrläppchen.

      „Kutscher!“ donnerte Hasard über die Kuhl. „Ein Fäßchen Rum für Will und Roger! Sofort! Wenn ich darum bitten darf!“

      Er wandte sich den beiden zu, haute ihnen auf die Schultern und sagte begeistert: „Ihr verdammten Satansbraten! Wie seid ihr nur auf diese Wahnsinnsidee verfallen?“

      Will Thorne sagte gar nichts und senkte nur den Kopf, aber Roger Brighton platzte heraus: „Das war Wills Idee, Sir. Er zeigte mir eines Tages ein paar Skizzen von dem Ding, erklärte mir, was das sein sollte, und fragte mich, was ich davon hielte. Ich nannte ihn einen Spinner, aber er ließ nicht locker, und dann fing ich an, nachzudenken und sagte mir: Warum eigentlich nicht? Probieren geht über Studieren. Versuchen wir’s doch mal. Dann haben wir einen Schnitt angefertigt und lange herumgefummelt, um den Bauch in das Ding zu kriegen – na bitte, hat doch geklappt!“

      „Und wie!“ Hasard lachte den alten Segelmacher an. „Los, Will, heraus mit der Sprache! Wie bist du darauf gekommen?“

      „Ganz einfach, Sir“, sagte Will Thorne, „im Grunde habe ich nur das Prinzip des Blindesegels übernommen, das mir aber wegen der Blinderah zu unhandlich erschien. Ich brütete lange an einer Lösung. Du kennst die Sonnenschirme der feinen Ladies, Sir?“

      „Ja.“ Hasard nickte verdutzt.

      „Als wir zuletzt in London waren“, fuhr Will Thorne fort, „sah ich eine solche Lady auf dem Deich mit so einem Schirm spazierengehen. Ein Schirm ist kreisförmig und kann in vier Viertel geteilt werden. Unser Segel ist in etwa einem solchen Viertel nachgebildet. Die Idee dazu kam mir, als die Lady auf dem Deich gewissermaßen mit dem Schirm vor den Wind ging. Da fuhr eine Bö hinein, und der Schirm segelte davon. Merkwürdigerweise sah ich die Schirmkrücke plötzlich als Mast – als unseren Vormast und an ihm das dreieckige Schirmsegment, das ich mir als Form eines Segels vorstellte. Das war die Idee. Mit Roger konnte ich sie verwirklichen. Er hatte zusätzlich die Idee, den Luv- oder Leehals – besser den Leehals – mit einer Spiere auszuspreizen und zu stützen, was dem Segel möglicherweise einen noch besseren Stand gibt. Dürfen wir das noch ausprobieren?“

      „Natürlich.“

      Die beiden Kerle hatten wirklich an alles gedacht – und es auch zur Hand. Roger Brighton rückte mit einer Spiere an, die länger und etwas dicker als ein Bootshaken war. An dem einen Ende hatte sie auch eine metallene Spitze, nur der Haken war abgesägt. Das andere Ende war mit einer ebenfalls metallenen Gabel versehen, der vergrößerten Ausgabe einer Dolle oder Rudergabel.

      Roger schwenkte die Spiere nach Lee, schob die Spitze in das dortige Halsgatchen und stemmte das Gabelende an den Fockmast – die Gabel umfaßte ihn zur Hälfte. Jetzt konnte das Segel, wie Roger gleich darauf demonstrierte, hin und her geschiftet werden – etwas mehr nach vorn oder mehr seitlich. Tatsächlich stand es jetzt noch besser. Man brauchte es nur mit der Luvschot zu trimmen.

      „Phantastisch“, murmelte Hasard, „einfach phantastisch.“

      „So phantastisch nun auch wieder nicht“, schränkte Will Thorne bescheiden ein. „Bedenke bitte, Sir, daß wir dieses Segel nur raumschots oder vor dem Wind benutzen können. Und wenn wir noch mehr Wind haben, müssen wir den Vormast vorsichtshalber noch zusätzlich mit Preventern abstagen. Du siehst jetzt schon, daß er einen leichten Fall nach vorn hat. Zum Glück halten Pfahlmasten einiges aus. Ich habe übrigens berechnet, daß das neue Segel dreiviertel mehr Segelfläche hat als die Fock.“

      „Es ist und bleibt phantastisch“, beharrte Hasard, „und das ohne jegliche Einschränkung. Ich gestehe, als ich das Ding sah, hielt ich euch beide für ziemlich verrückt. Da fehlte mir wohl offenbar die Vorstellungskraft.“

      „Wenn ich in der Segelkammer sitze und nähe, habe ich Zeit, nachzudenken, Sir“, sagte Will Thorne still. „Ich kann mich konzentrieren, niemand stört mich. Du hast einen Traum, aus dem eine Idee wird. Und dann brauchst du die Idee nur zu verwirklichen. So einfach ist das.“

      Hasard

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