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Schar zu eliminieren. Jawohl, eliminieren, hatte er gesagt.

      Es war eine schöne Waffe und kostbar ziseliert.

      Vom Verkaufserlös dieser Waffe hätte eine Tagelöhnerfamilie mit acht Kindern glücklich und satt ein Jahr lang leben können. Alles hat eben seinen Preis – das Leben von Wanzen genauso wie eine mit Silber ausgelegte Tötungsmaschine. Das hängt alles nur von den Maßstäben ab. Der Wert der Pistole war viel höher als der „Wert“ der Wanzen, sprich Tagelöhnerfamilie.

      Der Capitán riß die Pistole brutal an sich, spannte den Hahn, und dann schoß er. Und gleich darauf noch einmal. Und dann warf er die Pistole schnell dem Jüngelchen wieder zu, das dämlich genug war, es aufzufangen und in den Gürtel zu schieben.

      Im Rücken des Ersten Offiziers, der an der Balustrade am Abschluß des Achterdecks gestanden hatte, waren plötzlich zwei ausgefranste, verbrannte Löcher. Der Erste Offizier bäumte sich auf, verharrte sekundenlang auf den Zehenspitzen – und kippte dann nach vorn über die Balustrade auf die Kuhl hinunter. Dort schlug sein Körper dumpf auf.

      An Bord der Kriegskaravelle „El León“ ging das Grauen um.

      Das Jüngelchen – das hatte es immerhin inzwischen gelernt – stürzte ans Leeschanzkleid und erbrach sich.

      Dann ermannte es sich, fuhr herum und kreischte: „Das war Mord!“

      „Halt’s Maul, du Säugling!“ beschied der Kommandant. „Außerdem werde ich bezeugen, daß du geschossen hast, klar? Es ist deine Waffe. Sie steckt in deinem Gurt – ha-ha-ha-ha!“ Das Lachen klang noch schauriger als zuvor bei dem Decksmann.

      Das Jüngelchen wurde weiß wie Quark.

      Das war nicht das Leben, von dem es geträumt hatte, das wilde tolle Leben mit Sieg und Ruhm, mit schmetternden Fanfaren und knatternden Flaggen, mit Lorbeer und Orden, mit errötenden Frauen vor stolzen Helden! Das war Schlamm und Dreck, Erbrochenes und Blut, ein zerfetzter Kopf und ein durchschossener Rücken, Haß und Gemeinheit, List und Tücke!

      Von einer Sekunde zur anderen wurde das Jüngelchen zum Mann. Und das Blut schoß zurück in das weiße Gesicht, das plötzlich hart erschien. Die Rechte fuhr zum Degengriff und riß die Blankwaffe heraus.

      „Los! Wehren Sie sich, Sie Lump!“ zischte der Teniente. „Sie haben den Ersten Offizier hinterrücks erschossen – mit meiner Waffe! Aber ich habe noch eine! Diese hier!“ Und der Degen zuckte hoch, funkelnd in der Abendsonne – und blutig von ihr gefärbt.

      Bei Capitán de Freitas wechselte die Gesichtsfarbe in schleimiges Grau, und er wich zurück.

      In diesem Moment brüllte der Ausguck aus dem Vormars: „Gegner hat weit voraus gewendet und ist auf Gegenkurs gegangen! Steuert in Luv auf uns zu!“

      Der Capitán schluckte. Dann fuhr er den Teniente an: „Gehen Sie auf Ihre Gefechtsstation bei den Batterien! Das ist ein Befehl! Wir sprechen uns später noch!“

      Der Teniente zögerte einen Moment, stieß darauf den Degen in die Scheide zurück und verließ das Achterdeck mit versteinertem Gesicht.

      Der Capitán atmete auf und befahl einem Läufer, ihm seine Waffen aus der Kammer zu bringen – Wehrgehänge und Pistolen. Der Läufer sauste ab.

       9.

      Von allen diesen Vorgängen kriegten Hasard und seine Mannen nichts mit – bis auf die Tatsache, daß sich der sehr ehrenwerte Kommandant der „El León“ angesichts der drohenden Steuerbordbreitseite schleunigst in Deckung geworfen hatte, ebenso die anderen Señores auf dem Achterdeck.

      Das hatte sehr lustig ausgesehen – und so gar nicht kriegerisch. Klar, die Arwenacks gingen auch in Deckung, wenn Vorsicht der bessere Teil der Tapferkeit war. Mit Vorsicht lebte man länger.

      Aber daß spanische Offiziere die Planken küßten, hatten die Arwenacks noch nicht erlebt. Nein, die stolzen, blaublütigen Caballeros boten dem Feind die Brust dar, allerdings eine gepanzerte, und schauten ihm kühn ins Auge. Und so standen sie auch, wenn es blitzte und krachte und die Kugeln flogen. So war das bei der Armee und bei der Marine.

      Irgendwann hatte Hasard einmal gesagt, Dummheit müsse bestraft werden. Das traf den Kern. Es war nichts weiter als töricht, sich als Zielscheibe anzubieten. Im Kampf Mann gegen Mann konnte noch genug Tapferkeit gezeigt werden, aber im Artillerieduell war das unangebracht. Da hatte man geradezu die Pflicht, zu überleben, um für das Nahgefecht und den Enterkampf bereit zu sein.

      Weit voraus vor der „El León“ ließ Hasard in den Wind gehen, den „Spitzbusen“, einholen und wieder die Lateinerfock setzen. Im Gefecht mit den vielen möglichen Wende- und Halsemanövern war das neue Segel eher hinderlich. Will Thorne und Roger Brighton hatten dieses Wundersegel geschaffen, um der Schebecke auf Raumschotskursen und vor dem Wind mehr Schnelligkeit zu verleihen. Das war gelungen. Und damit hatten die Arwenacks wieder eine Geheimwaffe, die entscheidend sein konnte, wenn Schnelligkeit gefordert wurde – wie in diesem Fall bei der Jagd auf die „El León“.

      Ohne das neue Segel – das ging Hasard durch den Kopf – hätten sie die Kriegskaravelle nicht mehr bei Tageslicht erreichen können. Und eine Suche bei Nacht barg immer Unwägbarkeiten. Der Capitán brauchte nur aus irgendeinem Grund den Kurs zu ändern, und schon wäre die Schebecke ins Leere gestoßen.

      Daß sie die Kriegskaravelle stellen konnten, hatten sie einzig und allein dem „Spitzbusen“ zu verdanken – und damit Will Thorne und Roger Brighton, den beiden Experten für Segel und Rigg.

      Die Schebecke war gefechtsklar – sie war es schon gewesen, als Hasard den Befehl gegeben hatte, die Flagge des Bundes der Korsaren zu setzen und die Kanonen auszurennen.

      Bewußt hatte er auf den Vorteil verzichtet, der nicht gefechtsbereiten Kriegskaravelle beim Vorbeisegeln eine volle Breitseite zu verpassen, bei der die Fetzen geflogen wären. Ben Brighton hatte ihn schief, wenn nicht vorwurfsvoll angeschaut. Auch Fairneß war Dummheit, weil sie den Arwenacks Schaden bringen konnte. Aber Hasard konnte nicht aus seiner Haut.

      Darum verfügte die Schebecke über zwei hervorragende Bogenschützen und das chinesische Raketenarsenal sowie die teuflischen Flaschenbomben. Alles war einsatzbereit.

      Sie segelten westwärts gegen die untergehende Sonne, die grell blendete. Hasard dachte nicht daran, diesen Nachteil in Kauf zu nehmen. Er ließ Pete Ballie eine Parabel steuern – in Luv des Gegners und außerhalb der Schußentfernung.

      So passierten sie die Kriegskaravelle, die stur auf Ostkurs blieb. Offenbar hoffte Capitán de Freitas, nach Cadiz durchbrechen zu können. Das war eine Vermutung Don Juans, der gesagt hatte, es gäbe für die Avisos eine Order der Admiralität, nur Aufklärung zu fahren und Gefechtsberührungen zu vermeiden. Meldungen über den Gegner seien wichtiger als das Risiko, in einem Gefecht beschädigt oder gar vernichtet zu werden. Immerhin waren jetzt die Kanonen auf der „El León“ ausgerannt.

      In Luv des Kielwassers der Kriegskaravelle ließ Hasard halsen und ging wieder auf Verfolgerkurs. Auch jetzt stellte sich heraus, daß die Schebecke schneller als die „El León“ war.

      Wäre Hasard auf der Kriegskaravelle gewesen, hätte er hören können, wie der Schnauzbart fluchte. Denn dessen anmaßende Vorstellung von der Schnelligkeit seines Schiffes erwies sich als Hirngespinst. Leider erlebte dies der Erste Offizier nicht mehr.

      Dieser Capitán de Freitas wurde nervös. Viel zu früh ließ er aus den Heck-Drehbassen das Feuer auf den Verfolger eröffnen, vermutlich in der Hoffnung, ihn abzuschrecken. Auch das war ein Hirngespinst. Die „El Tigre“ blieb auf Kurs. Die Schüsse zauberten lediglich hübsche Fontänen weit vor ihr aus dem Wasser.

      Und unaufhörlich schmolz die Entfernung zwischen den beiden Schiffen zusammen.

      „Shane, Batuti!“ rief Hasard nach vorn, wo die beiden Bogenschützen standen. „Nehmt Pulverpfeile! Und dann auf die Kerle an den Heck-Drehbassen!“

      Die beiden Riesen zeigten klar, und Sekunden später

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