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überzeugen Sie sich selbst davon, daß das andere Schiff schneller als die ‚El León‘ ist“, knurrte der Erste Offizier. „Und hören Sie auf zu saufen“, setzte er hinzu, als er sah, daß der Capitán wieder aus der Flasche trinken wollte.

      Plötzlich reagierte de Freitas erstaunlich schnell. Er trank nicht, sondern schleuderte die Flasche nach seinem Ersten Offizier. Und sie traf, und zwar voll. Sie zerplatzte am Kopf des Ersten, und der sackte am Schott zusammen. Es war nicht festzustellen, ob das, was über sein Gesicht lief, Blut oder Rotwein war.

      Den Capitán interessierte das auch gar nicht. Über den Ersten weg stürmte er aus der Kammer und aufs Achterdeck.

      Was er sah, ernüchterte ihn.

      „Spektiv!“ brüllte er, und das Teniente-Jüngelchen reichte ihm hastig eins.

      Unaufhaltsam rauschte das fremde Schiff in Lee von Backbord achtern heran – gezogen von einem riesigen, ballonartigen Segel am Vormast, das sich prall wölbte.

      Dem Capitán blieb der Mund offenstehen.

      Er riß ihn noch weiter auf, als an der Besangaffelrute die spanische Flagge niedergeholt, eine andere angesteckt und vorgeheißt wurde. Sie entfaltete sich: eine schwarze Flagge mit zwei gekreuzten goldenen Säbeln darin.

      Eine Piratenflagge?

      Und jetzt entdeckte der Capitán auf dem Achterdeck des anderen Schiffes den Riesen mit den wildflatternden schwarzen Haaren.

      Capitán Julio de Vilches!

      Der grüßte lässig und rief einen Befehl.

      Die Geschützpforten rasselten hoch, sechs Culverinen rumpelten auf ihren Lafetten vor, sechs Rohre bleckten ihre Mäuler gegen die Backbordseite der „El León“.

      Gleich mußte es blitzen und krachen!

      Mit einem entsetzten Laut duckte sich der Capitán hinter das Schanzkleid, ja, er warf sich hin und hielt die Hände über den Kopf. Das sehen und sich gleichfalls hinwerfen, war die sofortige Reaktion des Teniente-Jünglings, das den „Feind“ hatte stellen und vernichten wollen. Im Nu lag alles auf dem Achterdeck flach.

      Auf der Schebecke „El Tigre“, ertönte ein brüllendes Gelächter.

      Und kein Schuß fiel!

      Majestätisch zog die schlanke Schebecke in Lee an der Kriegskaravelle vorbei. Nicht einmal Verwirbelungszone und Abdeckung durch die „El León“ verlangsamten ihre Geschwindigkeit. Den Kerlen auf der Kriegskaravelle Seiner Majestät, die sich nicht in Deckung geworfen hatten, gingen fast die Augen über.

      Das fremde Schiff glitt an ihnen vorbei wie ein rassiges Pferd der Araber an einem müden Klepper, der einen schwerbeladenen Karren hinter sich herzieht. Das heißt, ihre Karavelle wurde zu einer Schnecke degradiert.

      Einige schlugen das Zeichen des Kreuzes, weil sie glaubten, das ginge nicht mit rechten Dingen zu. Denn sie waren erfahrene Seeleute, und sie wußten auch, wie schnell die Schiffe der nordafrikanischen Piraten waren. Nur grenzte das hier an Teufelsspuk.

      Und sie sahen das fremde Segel am Vormast, das sie nicht einzuordnen vermochten. Das war gleichfalls Teufelswerk.

      Und der Capitán, der bis zur Halskrause voll mit Rotwein war?

      Der glaubte, sich in einem Alptraum zu befinden!

      Wann fiel die tödliche Breitseite? Jetzt? Ja, jetzt mußte sie krachen. Und sie krachte!

      Nein, sie krachte nicht!

      Was war das?

      Gelächter! Oder wieherten Pferde? Schlachtrösser?

      Der Capitán würgte. Und dann erbrach er sich. Der ehrenwerte Kommandant einer Kriegskaravelle der stolzen spanischen Majestät kotzte auf die Planken des erlauchten Achterdecks wie ein mieser Kutscher, der sich den Magen mit billigem Fusel vollgepumpt hat.

      Die Legende vom „Eisenfresser“ sackte in sich zusammen wie eine zerstochene Schweinsblase.

      Da war ein zernarbter und mehrfach gezüchtigter Decksmann auf der „El León“, einer, der fast schon zuviel Pulverdampf gerochen, das Pfeifen der Kugeln gehört und das Blitzen von Klingen gesehen und überstanden hatte.

      Und der spuckte verächtlich über Bord.

      Dabei dachte er an die Peitschennarben auf seinem Rücken, an die Neunschwänzige, die über seinen Rücken getanzt war – auf Befehl eben dieses Kommandanten, der sich jetzt die Seele aus dem verdammten Leib kotzte.

      „Damit du weißt, was Disziplin bedeutet!“ hatte dieser Kommandant gebrüllt. Gebrüllt? Nein, gegeifert hatte er das!

      Disziplin? Was war das?

      War dieser kotzende Kommandant diszipliniert?

      O nein! Der warf sich beim Anblick einer drohenden Breitseite schon auf die Planken – bevor der erste Schuß gefallen war. Und dann erbrach er sich. Und vermutlich schiß er sich auch noch in die Kürbishosen.

      Da hob der narbige Decksmann den Kopf und lachte den Himmel an. Er zerbarst vor Lachen. Und es schallte über die See und klang wie Teufelsgelächter.

      Die Männer auf der „El León“ erschauerten.

      Sie erschauerten noch mehr. Denn der Decksmann brüllte: „Ist das Ihre Disziplin, Señor Capitán? Oder was ist das? Haben Sie etwa Angst? Der Feind hat doch noch gar nicht geschossen! Er hat Ihnen nur seine Breitseite gezeigt! Ein Pirat! Na und? Und wann machen Sie gefechtsklar? Oder wollen Sie kneifen? Das konnte ich auch nicht, als Sie mir Ihre sogenannte Disziplin mit der neunschwänzigen Katze einbleuen ließen und grinsend zuschauten!“ Der Decksmann keuchte, und es schüttelte ihn vor erbitterter Wut. Und er reckte die Faust hoch und brüllte: „Verrecken sollen Sie, Sie dreckiger Schinder!“

      Es war der Profos auf der „El León“, der den Decksmann erschoß. Er schoß ihm aus nächster Nähe den Kopf mit der Ladung eines Tromblons ab.

      Der Decksmann war nur der erste Tote.

      Der Erste Offizier taumelte aufs Achterdeck, und es war doch Blut, das ihm aus einer gräßlichen Kopfwunde über das Gesicht lief. Er sah den Gegner und das schwarze Tuch an der Besangaffel.

      Und er rief mit gellender Stimme: „Alle Mann auf Gefechtsstation. Klarschiff zum Gefecht! Beeilung, Männer!“

      Erst da erwachte die Besatzung der „El León“ wieder zum Leben. Wie erstarrt war sie gewesen. Und dann der vom Schuß geköpfte Decksmann!

      Das war nicht der Beginn zu einem siegreichen Gefecht. O nein, das war das Präludium zu Untergang und Tod.

      Der nächste Tote war der Erste Offizier.

      Taumelnd richtete sich der Kommandant auf, und das Erbrochene hing ihm zum Teil noch in der Halskrause. Er begriff vor allem nicht, daß ihn der Gegner geschont hatte, daß er sich in ritterlicher Form als Feind zu erkennen gegeben hatte: mit dem Niederholen der spanischen und mit dem Vorheißen der schwarzen Flagge, mit dem Ausrennen der Stücke und mit dem Zurückhalten der Feuereröffnung, weil der Gegner noch nicht gefechtsbereit war.

      Nein, das drang alles nicht bis in den versoffenen Kopf des Capitáns vor. Er registrierte nur, daß der Erste Offizier das Kommando an sich gerissen hatte, daß von ihm der Befehl zum Klarschiff zum Gefecht gegeben worden war.

      Aber diesen Befehl hatte er, der Kommandant, zu geben, nicht dieser billige Erste, der noch nicht mal von Adel war und seine Ernennung zum Offizier nur der Fürsprache irgendwelcher Narren zu verdanken hatte. Allenfalls zum Bootsmann war dieser Kerl geeignet. Zu mehr nicht. Und jetzt maßte er sich den Befehl über die „El León“ an – dieser Emporkömmling!

      „Geben Sie mir Ihre Pistole!“ zischte er den Dritten Offizier an, der sich gerade aufgerappelt hatte und ihn kindisch anglotzte.

      „Jawohl“, hauchte das Jüngelchen erschreckt.

      Es hatte überhaupt keinen Durchblick mehr. Und alles war so

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