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unnatürlich als die vorangegangene Blässe. Morales wollte etwas sagen – er schaffte es nicht, denn von einem krampfhaften Würgen geschüttelt, übergab er sich.

      „Was hat er?“ fragte Barbara überrascht.

      Jorge Zapata zuckte mit den Schultern. Als er sich Morales wieder zuwandte, erschrak er. Der Decksmann hatte sich erneut verfärbt. Ein unnatürliches Gelb überzog seine Haut und ließ die Wangenknochen kantig aus dem sonst aufgequollenen Gesicht hervorstehen.

      „Sieht nach Fischvergiftung aus“, sagte Zapata.

      „Unsinn.“ Der Segelmacher winkte heftig ab. „Wir haben seit Tagen keinen Fisch gegessen.“

      „Mario ist krank, sieh ihn dir an. Hoffentlich ist das nicht der Ausbruch einer Seuche, die uns alle erwischt.“

      Zapata wollte einen Schritt beiseite treten, aber völlig unerwartet schossen Morales’ Hände vor und die Finger verkrampften sich in Jorges Hemd und um seinen Gürtel. Der Kranke entwickelte ungeahnte Kräfte, er zog Zapata einfach zu sich herunter.

      „Du mußt mir helfen!“ raunte er.

      Im letzten Moment fing Jorge sich an der Koje ab, sonst wäre er neben Morales auf die Decken gefallen.

      Ohne darauf zu achten, fuhr Mario drängend fort: „Ich brauche Rum, Jorge. Das Wasser widert mich an.“

      „Wir haben nicht ein Fäßchen mehr an Bord.“

      „Ich weiß.“ Morales unterbrach sich gequält und rang nach Luft. Fahrig wischte er sich den Schweiß von der Stirn. „Du mußt mir eben welchen besorgen.“

      „Das ist unmöglich.“ Jorge Zapata wollte sich erheben, aber der Kranke ließ ihn nicht los.

      „Tu mir den Gefallen“, verlangte Morales.

      „Der Kapitän läßt mich auspeitschen, wenn er mich erwischt.“

      Abgesehen davon, daß die gelbe Gesichtsfarbe blieb, ließ allein schon der Gedanke an den Rum den Kranken sichtlich wieder aufleben. Sein Blick wanderte zu Juan Barbara hinüber.

      „Du wirst an Deck gebraucht, ich kriege hier schon alles klar.“

      Obwohl der Segelmacher verstand, daß Morales ihn nur loshaben wollte, drehte er auf dem Absatz um und verschwand.

      Mario versuchte ein Grinsen. Sein Gesicht verzerrte sich zur Fratze.

      „Ein Fäßchen Rum“, sagte er noch einmal eindringlich. „Mehr verlange ich nicht von dir. Das ist bestimmt ein akzeptables Angebot.“

      „Akzeptabel?“ Jorge Zapata verstand tatsächlich nicht, auf was der Kranke hinauswollte.

      „Eine Hand wäscht die andere. So ist das unter guten Freunden. Oder siehst du das anders?“

      „Der Capitán hat angeordnet, sämtlichen Rum …“

      „Scheiß drauf!“ Morales winkte heftig ab. „Eine Galeone ohne Rumvorräte ist ein halbes Totenschiff. Ich bin zu schwach, um allein zu einem der anderen Schiffe zu pullen …“

      „Du redest im Fieber“, unterbrach ihn Zapata. „Ich werde dir jedenfalls nicht helfen und dabei die Peitsche riskieren.“

      „Der Capitán hat auch das Rauchen verboten“, sagte Morales scharf. „Ich verstehe ohnehin nicht, wie ein vernünftig denkender Mensch den Qualm von brennendem Tabak in sich hineinschlucken kann.“

      „Na und?“ Zapata gab sich arglos.

      „Was meinst du“, fragte Morales lauernd, „wie viele Männer rauchen heimlich in der Vorpiek? Ich kenne einen.“

      Jorge Zapatas Miene erstarrte zu Eis. Aber sein Gegenüber war noch nicht am Ende angelangt.

      Erstaunlich munter fuhr er fort, und es war die Aussicht, endlich wieder Rum zu erhalten, die ihn neue Kräfte gewinnen ließ: „Der Capitán dürfte höchst erfreut sein, zu erfahren, daß du deine Pfeife noch längst nicht der See übergeben und daß du erst vor wenigen Stunden einen abscheulichen Tabakgeruch in der Achterpiek hinterlassen hast.“

      Diesmal war es Zapata, der sich verfärbte. Er riß sich endlich los und griff nach dem Dolch hinter seinem Gürtel. Morales lachte überheblich.

      „Das tust du nicht, Jorge, du bist kein Mörder – eher schon ein Brandstifter. Aber keine Sorge, kein Sterbenswort geht über meine Lippen, sofern du mir den Rum besorgst.“

      Zapata kniff die Brauen zusammen. Nachdenklich musterte er den Mann, der jetzt die Hände hinter dem Kopf verschränkte und zu den Deckenbalken hinauf starrte.

      „Warum hast du mich nicht verraten?“ fragte er.

      „Wenn die Glut sich ausgebreitet hätte, wären wir abgesoffen“, sagte Morales. „Ich weiß das. Aber wir sind doch Freunde. Und Freunde helfen einander.“

       2.

      Das gute Wetter und der handige Wind schienen tatsächlich anzuhalten, obwohl die dichte Wolkendecke eher eine Verschlechterung erwarten ließ. Wahrscheinlich regnete es über dem Festland.

      Die Sonne stand inzwischen tief über dem westlichen Horizont. Zu sehen war sie nicht, wohl aber färbte sie die Wolken mit einem düsteren, bis in den Zenit reichenden Rot.

      Die Schebecke segelte an Steuerbord der Schatzschiffe. Wie Hunde eine Schafherde, so hielt Philip Hasard Killigrew mit der „Wappen von Kolberg“ und der „Isabella“ die spanischen Galeonen zusammen. Besonders nach Einbruch der Dunkelheit galt es, die Augen offenzuhalten. Der Verlust der „Nobleza“ hatte diesbezüglich Zeichen gesetzt.

      Mit prall geblähten Lateinersegeln glitt der schlanke Mittelmeerdreimaster majestätisch an den plumperen Schatzschiffen vorbei.

      „Sollten uns wirklich einige Tage der Ruhe gegönnt sein?“ fragte Don Juan de Alcazar zögernd. Er stand neben Hasard auf dem Achterdeck und genoß den Anblick der Schiffe. Einst waren der Seewolf und er erbitterte Gegner gewesen, doch das lag lange zurück und mutete unwirklich an.

      Die „Nuestra Señora de lagrimas“ lag querab. Als Folge ihres großen Tiefgangs gischtete die Bugsee bis zur Galionsfigur hoch. Bei stürmischerem Wetter schlugen die Brecher sogar auf die Back über.

      „Ich habe mir auf diesem Törn abgewöhnt, den Tag vor Mitternacht zu loben“, erwiderte Hasard auf Don Juans Frage. Er dachte an die Zwischenfälle mit der „Nobleza“ und dem Sklavenschiff „Aguila“, an den Schwelbrand auf der „Respeto“ und die dadurch angelockte Kriegskaravelle „El León“.

      „Alles hätte noch viel schlimmer ausfallen können“, sagte der Spanier. „Daran denkst du im Moment. Oder sollte ich mich irren?“

      Stumm schüttelte der Seewolf den Kopf. Voraus segelten die „Honestidad“ und die „Respeto“ in exakter Kiellinie. Das Rot des Himmels schien selbst ihre Segel zu färben.

      Zum erstenmal seit Stunden riß die Wolkendecke auf. Irrlichternd huschten Sonnenstrahlen über den Atlantik. Aber nur vorübergehend, denn gleich darauf lichtete sich der Dunst über der Kimm endgültig.

      Das Tagesgestirn erschien als aufgeblähter Glutball, dessen unteres Drittel schon im Meer versunken war. Auf der Wasseroberfläche vermischten sich lila Farbtöne mit der bleiernen Schwärze der länger werdenden Schatten.

      Die Schebecke segelte an der „Honestidad“ vorbei. Vierhundert Yards voraus stampfte die „Respeto“ durch die Wellen.

      Hasard wollte sich gerade abwenden, als er ein flüchtiges Aufblitzen auf der Kampanje der Galeone bemerkte. Aber selbst ein Drehbassenschuß wäre deutlicher zu erkennen gewesen, davon abgesehen, daß sich bestimmt kein Spanier hinreißen ließ, auf die Schebecke zu feuern. Jedenfalls nicht auf die augenblickliche Distanz und nur mit einem einzigen Rohr.

      Hasard zog sein Spektiv auseinander und blickte hindurch.

      Neben

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