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überlegte einen Moment.

      »Ja, ich kann mich an das Gedicht erinnern. Jan hat es dir doch mal in diesem hübschen Silberrahmen geschenkt, richtig?«

      »Richtig«, bestätigte Bettina, »und ich werde es für dich auch rahmen lassen. Mir hat es damals in einer schweren Zeit sehr viel Kraft gegeben, und auch dich wird es daran erinnern, dass du an nichts wie an einer Heimat hängen sollst, auch nicht an Martins Bild. Das hat sich wirklich schon ein wenig verflüchtigt, weil ihr keinen Alltag mehr miteinander habt. Aber die Erinnerungen, die Liebe zu ihm, das alles wird immer bleiben.«

      Eines der Babys begann zu knötern. Rasch startete Bettina wieder und fuhr los, und gleich war es auch wieder still im Fond des Wagens.

      Linde starrte stur geradeaus, und Bettina war sich nicht sicher, ob sie all ihre Worte überhaupt wahrgenommen hatte. Welches Chaos musste im Inneren ihrer sonst so coolen Freundin herrschen.

      Hing es auch ein wenig mit Chris­tian zusammen?

      Bettina wusste, dass ihr Halbbruder Linde liebte, und er hatte ganz sicher auch eine Bedeutung in deren Leben, sonst hätte sie nicht zugelassen, dass Christian bei der Geburt der Zwillinge dabei sein durfte, das hatte gewiss nichts damit zu tun, dass er Arzt war.

      Vielleicht war es verfrüht, über so etwas jetzt nachzudenken. Vielleicht war es ja auch nur Wunschdenken ihrerseits, und sie interpretierte da etwas hinein, was es gar nicht gab.

      Aber schön wäre es doch. Sie fand, dass Linde und Christian sehr gut zusammenpassten. Es wäre so schön, wenn er sich als Arzt in Fahrenbach niederließe. Sie mochte Christian gern, der so spät erst in ihr Leben getreten war als außer­eheliches Kind ihrer Mutter, der stolzen Carla. Sie mochte Christian lieber als ihre leiblichen Geschwis­ter, weil er herzlich war. Nun, das war Jörg auch gewesen, aber der …

      Sie war froh, dass Linde etwas sagte und ihre Gedanken durchbrach.

      »Dann muss ich mich also nicht schlecht fühlen, Bettina?«, wollte sie wissen.

      »Nein, Linde, das musst du wirklich nicht.«

      Bettina bog von der Autobahn ab, befuhr die Landstraße, die in Richtung Heimat führte, und bald schon hatten sie das Ortsschild von Fahrenbach erreicht.

      Linde atmete auf.

      »Ich bin froh, wieder daheim zu sein«, rief sie, und jetzt lag so etwas wie Glück in ihrer Stimme, »daheim ist es doch am allerschöns­ten.«

      Dem konnte Bettina nur beipflichten. Und sie war auch der Meinung, dass man seine Probleme zu Hause, in der vertrauten Umgebung, lösen sollte. Wohin man auch ging, sein Gepäck nahm man immer mit. Linde war das aller beste Beispiel dafür. Die Reise nach Portugal hatte ihr nichts gebracht, nichts, was sie nicht auch in Fahrenbach hätte lösen können. Aber das waren Erfahrungen, die wohl jeder für sich selbst machen musste.

      Bettina fuhr ins Dorf hinein, über den Marktplatz, auf dem behäbig und imposant, flankiert von diesen Jahrhunderte alten prächtigen Linden, der Gasthof lag. Diese imposanten Bäume hatten nicht nur ihm den Namen gegeben, sondern, zu deren Leidwesen, auch Linde, die ihren Eltern diese Phantasielosigkeit wohl nie verzeihen würde.

      »Angekommen«, rief Bettina und hielt am Seiteneingang des Gasthofs, über den man in die privaten Räume gelangte.

      »Wie sehr habe ich das alles hier vermisst«, rief Linde und klickte den Sicherheitsgurt auf. »Gleich morgen mache ich mich wieder an die Arbeit, die hat mir nämlich ganz schön gefehlt. Nichtstun ist nichts für mich.«

      Linde war wieder angekommen, dachte Bettina und atmete erleichtert auf, das war ein gutes Zeichen. Auch sie befreite sich von ihrem Sicherheitsgurt und stieg aus.

      Hoffentlich wachten Amalia und Frederic jetzt nicht gleich wieder auf und begannen zu weinen. Sie warf einen Blick nach hinten. Es sah gut aus, die Kleinen schienen tief und fest zu schlafen. Das bedeutete, das sie in Ruhe auspacken und das Gepäck nach oben bringen konnten.

      *

      Bettina wollte gerade nach oben gehen, als quietschende Bremsen sie umkehren, durch die Diele rasen und die Haustür aufreißen ließen.

      Direkt vor ihrem Haus stand ein schnittiger Sportwagen, und man musste kein Wahrsager sein, um zu wissen, wer diese Dreistigkeit besaß und sein Auto nicht wie alle anderen Menschen auf dem dafür vorgesehenen großen Parkplatz abstellte.

      Es war ihre Schwester Grit!

      Nur Grit und Frieder fuhren mit ihren Autos auf den Hof.

      Was wollte Grit hier? Sie hatte ihren Besuch nicht angekündigt, und sie hatten auch schon länger nicht miteinander telefoniert, zum letzten Mal, als sie angerufen hatte und völlig aufgelöst war, weil ihr Galan sie verlassen hatte, um bei einer noch reicheren Frau unterzuschlüpfen.

      Aber wie auch immer, Bettina freute sich über den Besuch ihrer Schwester und vergaß darüber auch, dass es ungehörig war, bis vor die Haustür zu brettern.

      Grit stieg aus dem Auto, und Bettina lief auf sie zu. Doch kurz bevor sie ihre Schwester erreicht hatte, hielt sie inne. Grit sah fürchterlich aus. Sie war noch dünner geworden, und nun musste man sich wirklich fragen, ob sie nicht magersüchtig war oder Bulemie hatte. Das war keine gesunde Schlankheit. Sie war sorgsam geschminkt und frisiert, doch ihr Gesicht wirkte leer, fremd, künstlich. Grit sah unglücklich aus, und das konnte man nicht mit Botox wegspritzen.

      Bettina gab sich einen Ruck und lief weiter.

      »Grit, welch freudige Überraschung«, rief sie, »warum hast du denn nichts von deinem Besuch gesagt, stell dir mal vor, ich wäre nicht zu Hause gewesen. Das hätte mich schon geärgert.«

      Sie umarmte Grit, die wirklich nicht mehr als ein Knochengerüst war, das von teuren Kleidern zusammengehalten wurde.

      Grit beugte ihren Kopf vor, damit Bettina ihr die obligatorischen Küsschen auf die Wangen hauchen konnte. Aber daran dachte Bettina nicht.

      Sie war nicht auf einem Schicki-Micki-Empfang, wo sich die Bussi-Gesellschaft auf diese Weise begrüßte. Vor ihr stand ihre Schwes­ter, die sie Ewigkeiten nicht gesehen hatte. Sie presste ihr Gesicht an das ihrer Schwester, gab ihr einen liebevollen Kuss auf eine Wange und murmelte, überwältigt von dieser Überraschung: »Wie schön, dass du da bist. Wie lange wirst du bleiben? Hoffentlich hast du dir diesmal etwas Zeit genommen.«

      Grit schob ihre Schwester beiseite, fast wie ein lästiges Insekt, zupfte an der Jacke ihres gewiss sündhaft teuren Kostüms.

      »Wir können einen Kaffee zusammen trinken, und dann muss ich schon wieder weg.«

      »Weg? Wohin? Aber komm doch erst mal ins Haus.«

      Seufzend folgte Grit ihr, ihre Schuhe mit schwindelerregend hohen Absätzen klapperten auf den Steinstufen.

      Bettina fragte sich unwillkürlich, wie man auf so etwas überhaupt gehen konnte, wie es möglich war, sich da hineinzuzwingen.

      Sie führte Grit ins Wohnzimmer, die sich gelangweilt umsah.

      »Spießig wie immer, wenn du schon in diesem alten Schuppen hier wohnst, willst du es nicht wenigstens von innen ein bisschen moderner gestalten? Es ist ja gruselig, inmitten dieser alten Klamotten muss man ja depressiv werden.«

      Bettina beschloss, diese Bemerkung zu ignorieren, wenngleich es ihr in ihrem Inneren schon weh tat.

      »Ich bin glücklich inmitten all dieser Sachen, und vor mir waren es auch schon Generationen von Fahrenbachs. Aber jeder so, wie er mag. In der kalten Pracht deines Hauses würde ich frieren. Aber bitte, Grit, lass uns deswegen nicht streiten. Ich bin so froh, dich hier zu haben, sag, warum kannst und willst du nicht bleiben?«

      »Zum einen, weil es mir auf dem Fahrenbach-Hof noch nie gefallen hat, schon damals nicht, als wir zwangsweise mit Papa in den Ferien herkommen mussten. Für so ein Leben muss man geboren sein, so wie du. Aber du bist ja auch eine Fahrenbach, während ich glücklicherweise auf Mama komme.«

      Welch ein Glück sollte es sein, einer Frau zu gleichen, die egoistisch war,

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