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– feinstes Büttenpapier, die Schriftzüge in Stahlstich in klaren Buchstaben, alles sehr gediegen, sehr schlicht ohne Schnörkel.

      Sie blickte zu einem in der Nähe stehenden Papierkorb, ging auf ihn zu, um die Visitenkarte zu entsorgen. Kurz davor überlegte sie es sich anders, warum wusste sie selber nicht.

      Vielleicht, weil er sie so dringend gebeten hatte, seine Visitenkarte nicht wegzuwerfen?

      Dieser Gregor Olsen war wirklich ein ausnehmend sympathischer Mensch. Weitere Gedanken musste sie sich allerdings nicht mehr machen, denn wieder öffnete sich die Tür, und weitere Menschen strömten heraus, und diesmal war Linde dabei. Sie hatte Amalia und Frederic auf dem Arm, ihr Gepäck wurde von einem uniformierten Mann geschoben, vermutlich jemand vom Zoll, der sich ihrer erbarmt hatte. Allein hätte sie es unmöglich geschafft, die Kinder und das viele Gepäck, einschließlich der Kindersitze, herauszufahren.

      *

      Mit wenigen Schritten war Bettina bei ihr, sie wollte Linde die kleine Amalia abnehmen, doch die fing an zu weinen. Sie hatte vergessen, dass Bettina jemand war, der es gut mit ihr meinte und auf deren Armen sie immer glücklich und zufrieden gewesen war.

      Mit Frederic ging es ihr nicht anders.

      Hilflos zuckte Bettina die Achseln.

      »Dann nehme ich eben das Gepäck«, sagte sie enttäuscht.

      »Schaffen Sie das?«, erkundigte sich der junge Mann, »oder soll ich den Wagen bis zu Ihrem Auto schieben?«

      »Danke, das ist sehr freundlich, aber das schaffe ich schon. Ich stehe gleich auf dem Kurzparker-Platz.«

      »Au backe, das wird teuer, die Maschine hatte erhebliche Verspätung.«

      »Ich weiß«, lachte Bettina, »aber das ist jetzt nicht mehr zu ändern.« Sie übernahm den Wagen, »danke für Ihre Mühe«, sagte sie.

      Auch Linde wandte sich an den jungen Mann.

      »Ja, danke, das war wirklich sehr freundlich von Ihnen, allein hätte ich es nicht geschafft.«

      »Das habe ich gern gemacht, gute Heimfahrt wünsche ich Ihnen noch.«

      Er winkte ihnen zu und lief zurück in den Sicherheitsbereich.

      Amalie schrie inzwischen wie am Spieß, Frederic stimmte mit ein.

      Während Linde damit beschäftigt war, schob Bettina den schwerbeladenen Wagen durch die Menschen, die sich hier überall tummelten, um jemanden abzuholen.

      Sie warf Linde einen verstohlenen Blick zu. Sie sah sehr schlecht aus, war blass und hatte ganz erheblich abgenommen. Sie trug wieder etwas, was sie sich in Portugal gekauft hatte, doch während die Sachen, die sie von früheren Reisen mitgebracht hatte, fröhlich und farbenfroh gewesen waren, wirkte das, was sie jetzt anhatte, trist und stand Linde überhaupt nicht. Jetzt sah sie aus wie eine portugiesische Witwe, zumindest stellte Bettina sich das so vor.

      Am Auto angekommen, installierte Bettina zuerst einmal die Kindersitze auf der Rückbank, damit Linde die Kleinen ablegen konnte. Sie holte aus ihrer Handtasche Schnuller, schob sie den beiden in den Mund, während Bettina die Koffer und Reisetasche in den Kofferraum hievte.

      Als sie sich auf den Fahrersitz setzte, war hinten Stille. Die Kleinen hatten sich an ihren Schnullern festgesaugt.

      Zuerst musste Bettina sich auf den Verkehr konzentrieren, doch als sie die Autobahn erreicht hatten, sagte sie, und das meinte sie auch wirklich: »Ich bin so froh, dass du wieder da bist, Linde, du hast mir so sehr gefehlt.«

      »Du hast mir auch gefehlt, Bettina, und danke, dass du mich abgeholt hast.«

      »Das ist doch selbstverständlich.«

      Bettina hoffte, dass Linde nun anfangen würde von Portugal zu erzählen, da jedoch hatte sie sich ganz gewaltig geirrt. Eine ganze Weile starrte Linde vor sich hin, die Zwillinge waren mittlerweile eingeschlafen. Das war schon faszinierend, dass viele Babys sofort einschliefen, wenn sie im Auto gefahren wurden. Bettina konnte sich sehr gut daran erinnern, dass das bei ihrer Nichte Merit, die ein ziemlich quengeliges Baby gewesen war, auch das Allheilmittel gewesen war. Wenn gar nichts mehr fruchtete, hatte Holger sie ins Auto gepackt, war mit ihr einmal um den Block gefahren, und schon hatte sie geschlafen.

      Ach ja, Holger war ein wundervoller, geradezu aufopfernder Vater gewesen, als die Kinder noch klein gewesen waren. Aber das war er ja jetzt auch noch, denn sonst hätten Niels und Merit sich nicht dafür entschieden, bei ihrem Vater in Vancouver und seiner neuen Frau Irina zu leben anstatt bei ihrer leiblichen Mutter, die für nichts anderes Interesse gezeigt hatte als für ihren Lover, von dem sie nun verlassen worden war.

      »Alles ist anders geworden«, drang Lindes dumpfe Stimme plötzlich in ihre Gedanken hinein. Doch als habe sie bereits zu viel gesagt, verstummte sie auch wieder.

      Bettina wartete einen Moment.

      »Linde, was ist anders geworden?«, erkundigte sie sich schließlich behutsam.

      Es dauerte noch eine ganze Weile, ehe Linde wieder anfing zu sprechen.

      »Martin ist mir nicht mehr so nah … Sein Bild verflüchtigt sich irgendwie … Ich träume auch nicht mehr von ihm, und selbst als ich mit Christobal draußen auf dem Meer war …, da, wo ich ihn verstreut habe, konnte ich ihn nicht mehr so richtig erreichen.«

      Das quälte Linde? Was erwartete sie denn?

      »Linde, was erwartest du denn? Es ist eine normale Entwicklung und ein Zeichen dafür, dass du anfängst, dich wieder auf dein eigenes Leben zu besinnen. Der Spruch – die Zeit heilt alle Wunden – ist keine Banalität, sondern das wahre Leben. Das Leben geht weiter, und man muss es auch ohne den Partner leben, darf nicht an der Vergangenheit festhalten. Martin hätte das auch nicht gewollt. Die Zwillinge haben einen Anspruch darauf, eine Mutter zu haben, die mit ihnen im Hier und Jetzt lebt.«

      »Martin war aber meine große, meine einzige Liebe«, begehrte Linde auf.

      »Das kann er doch auch immer bleiben, tief in deinem Herzen. Aber das Leben geht weiter, und du darfst dich nicht auf einen Toten fixieren, auch wenn du ihn noch so sehr geliebt hast.«

      »So schnell …, es kann doch nicht so schnell verblassen.« Lindes Stimme klang ganz unglücklich.

      Vor ihnen war ein Rastplatz. Bettina bog kurz entschlossen ab, hielt ihr Auto an, dann wandte sie sich ihrer Freundin zu.

      »Es ist normal, Linde. Nach dem Tod meines Vaters, den ich ja auch sehr geliebt habe, wie du weißt, habe ich so getan, als sei er noch am Leben. Ich habe mit ihm geredet, mich bei allem, was immer ich auch tat, gefragt, ob es wohl in seinem Sinne sei. Ich rannte täglich zum Friedhof. Obwohl er nicht mehr da war, nahm er den meisten Platz in meinem Leben ein … Heute liebe ich meinen Vater noch immer, ich denke viel an ihn, besuche auch, nicht mehr so häufig, sein Grab, frage mich oftmals, was er zu diesem oder jenem sagen würde. Er ist tief in meinem Herzen verankert, und dort wird er auch immer bleiben.«

      Linde antwortete nicht sofort, dann wandte sie sich Bettina zu, mit einem so unglücklichen Gesichtsausdruck, dass Bettina sie am liebsten sofort tröstend in die Arme genommen hätte.

      »Er war dein Vater, aber Martin … Martin war mein Ehemann, der Vater meiner Kinder, meine große Liebe … Das … das ist doch wohl was anderes.«

      »Ob Vater, Ehemann, Bruder, Schwester oder Großmutter …, einen geliebten Menschen zu verlieren tut immer weh. Eine gesunde Entwicklung ist, wenn der Schmerz allmählich verblasst und die schöne Erinnerung, die Liebe im Herzen bleibt … alles andere ist krank, neurotisch, wenn man nicht loslassen kann. Das Leben beschert uns Höhen und Tiefen, wir müssen uns dem allen stellen. Denk doch mal an dieses wunderschöne Gedicht von Hermann Hesse, ›Stufen‹, darin heißt es doch auch, dass man bereit sein muss zum Abschied und Neubeginn, dass man an nichts festhalten soll, dass es immer weitergeht, dass man sich den Veränderungen des Lebens hingeben soll, warte mal«, Bettina überlegte kurz, nickte, »ja, zum Schluß heißt es: ›Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde uns neuen Räumen jung entgegensenden. Des

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