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er:

      »Und als du von Bologna heimkehrtest, was tatest du da?«

      Eike zögerte auch jetzt mit der Antwort und sagte dann etwas verlegen:

      »Ich, ich lernte zuhause fleißig weiter und gab mir, viel im Lande umherreitend, alle Mühe, mich mit den alten sächsischen Gewohnheitsrechten bekannt zu machen, immer im Hinblick auf den mir von ferne winkenden Schöffenstuhl.«

      »Nun, Schöffe bist du ja geworden, soviel ich weiß,« sprach der Graf. »Wie stehst du denn in der Heerschildordnung? Hast du nicht irgendwo die Schwertleite erhalten?«

      »O ja. Um den mir angeborenen Schild auch durch eine Waffentat in Panzer und Sturmhut zu erwerben, nahm ich als Knappe Kriegsdienst beim Fürsten Heinrich von Anhalt und kämpfte unter ihm und für ihn in seiner blutigen Fehde gegen die aufrührerischen Lehnsleute im Hasgau, nach deren endlicher Besiegung er mich zum Ritter schlug. Ich dachte, er würde mich nun zu seinem Kanzler oder Justitiarius machen, aber daraus wurde nichts, nur als Schöffen hat er mich nach meines Vaters Tode mit Brief und Siegel bestallt.«

      Graf Hoyer hob den Becher, trank seinem schöffenbaren jungen Freunde zu und sagte:

      »Heil dir, Ritter Eike von Repgow! Aber jetzt erkläre mir: was hat es zu bedeuten, dass du hier einsam und allein aus zwei Bechern trinkst?«

      Über Eikes Gesicht flog ein Schatten, und mit schwerem Ton kam es von seinen Lippen:

      »Ich trinke hier mit einem Abgeschiedenen, einem Toten.«

      »Was?!« rief der Graf, »gibst du dir hier ein Stelldichein mit einem Zechbruder aus jener Welt? Den möcht’ ich sehen, Eike! Kannst du ihn nicht beschwören, dass er erscheint? Mich gelüstet’s, einmal mit einem ritterlichen Spukgespenst nicht die Klingen, aber die Becher zu kreuzen.«

      »Er würde meiner Beschwörung nicht Folge leisten,« erwiderte Eike. »In die Wirklichkeit kehrt er niemals wieder, nur in meiner Einbildung sitzt er dort an der Stelle, wo Ihr jetzt sitzt und wo ich früher manche Stunde fröhlich mit ihm becherte.«

      »Heraus mit der Geschichte! ich werde nicht lachen und spotten.«

      »Gut, so höret! Kurz nach meiner Ankunft in Bologna lernte ich dort einen Altersgenossen kennen, der gleich mir dem Studium der Rechte an der hohen Schule oblag und mit dem ich bald innige Freundschaft schloss. Er hieß Hinrik Warendorp, entstammte einem alten Geschlecht der nunmehr freien Reichsstadt Lübeck und war der Sohn eines hochangesehenen Rats- und Handelsherren. Wir trieben unser Fach fortan gemeinsam, verließen nach dreijährigem Aufenthalt die Hochschule auch an demselben Tage und zogen zusammen nach Deutschland zurück bis hierher, zum Gasthaus am Scheidewege. Dann trennten sich unsere Pfade; er ritt nordwärts zur Trave, ich ostwärts zur Elbe, nachdem wir ausgemacht hatten, uns jedes Jahr zur Apfelblütezeit hier zu treffen und ein paar Tage lang unsere köstlichen Erinnerungen zu pflegen.

      Dreimal glückte das, dann blieb er aus. Auf einer Fahrt nach Wisby war sein Schiff in einen furchtbaren Sturm geraten. Eine gewaltige Sturzsee hatte ihn über Bord gerissen, und unrettbar war er in den tobenden Wellen versunken. Und diese Botschaft erhielt ich hier an diesem Tische, an dem ich, nichts ahnend, seiner Ankunft harrte.«

      Der Erzähler hielt inne, um erst seines Schmerzes Herr zu werden, ehe er weiter sprechen konnte:

      »Nun komme ich alljährlich einmal allein her zum Gedächtnis meines lieben Trautgesellen, sehe ihn hier leibhaftig vor mir, rede mit ihm, stoße mit meinem Becher an den seinigen, als schwänge seine Hand ihn mir zu, und trinke aus beiden.«

      Graf Hoyer von Falkenstein saß regungslos still. Dann sagte er:

      »Jetzt stoße ich mit dir an zu Ehren des Toten, dem du eine so treue Freundschaft bewahrst. Deine Erzählung hat mich gepackt,« fuhr er nach dem Trunke fort, »und auch ich habe eine Kunde, die dich nicht unberührt lassen wird. Du feierst hier das Angedenken eines, der deinem Herzen nahe stand, aber ganz Germanien hat jetzt einen Größeren zu betrauern.«

      »Wen?« fragte Eike schnell, »doch nicht etwa Kaiser Friedrich den Hohenstaufen?«

      »Nein, — Herrn Walter von der Vogelweide.«

      »Walter von der Vogelweide ist tot?« rief Eike in jähem Schrecken aus und griff sich an die Stirn, als könnt’ er’s nicht fassen.

      »In vergangener Woche ist er aus dieser Zeitlichkeit geschieden, und im Kreuzgang des Neumünsters zu Würzburg haben sie ihn begraben.«

      »O mein Gott! mein Gott! Und ich Narr, ich blöder Tor habe Jahr auf Jahr die Fahrt zu ihm verschoben, den ich aufsuchen wollte, um mir bei ihm Mut und Rat für ein großes Werk zu holen. Und nun ist es zu spät, nun ist sein weiser, weithin tönender Liedermund, der dem Kaiser und dem Papste die Wahrheit sagte und an dem unser ganzes Volk mit freudiger Bewunderung hing, auf ewig verstummt. — Ich kannte ihn, Graf Hoyer, und er war mir hold und gewogen, der ritterliche Minnesänger.«

      »Du hast ihn gekannt?«

      »Ja freilich! Er war mondelang in Meißen der hoch willkommene Gast des Markgrafen Dietrich, während ich dort nicht mehr Edelknabe, sondern schon Knappe war. Ich habe sein Antlitz geschaut mit den strahlenden Augen, habe seine Stimme gehört, und meine Hand hat oft in der seinen gelegen. Und wie hab’ ich ihm gelauscht, wenn er von Wien berichtete und dem Herzog Leopoldus gloriosus oder von dem glänzenden Hofe des Landgrafen Hermann von Thüringen und dem großen Sängerkrieg auf der Wartburg!«

      »Ich könnte dich darum beneiden, Eike, dass du diesen gottbegnadeten Mann gekannt hast,« sagte der Graf.

      Mittlerweile war die Dämmerung immer stärker geworden, in der die vielen Tausende von weißen Blüten an den Fruchtbäumen noch hell schimmerten wie kleine, in die Kronen gehängte Lämpchen. Am Himmelszelt blinkten schon einzelne Sterne, zu denen sich allmählich mehr und mehr gesellten. Ein Knecht des Gasthauses steckte in die Ringe der im Garten aufgestellten Pfähle lange brennende Kienspäne, die im nächsten Umkreise eine spärliche Beleuchtung spendeten. An den Biertafeln war es stiller geworden, denn einer nach dem andern der vorher so lauten Gäste hatte sich sacht davongeschlichen zu dem Strohlager, das ihnen für mehrere gemeinsam in den Schuppen bereitet war.

      Eike blickte zu den Sternen empor und sprach:

      »Es ist klarer Himmel, wir werden morgen einen guten Tag haben zu unserer Weiterreise.«

      »Wie sagtest du?« fragte der Graf mit einem halb unterdrückten Gähnen.

      »Es war nur eine Bemerkung über das Wetter,« erwiderte Eike. »Ihr seid müde, Herr Graf; wollt Ihr nicht zur Ruhe gehen? Ich trinke den Krug hier noch aus.«

      »Hast recht, Eike; ich bin müde,« musste der Graf zugeben. »Es ist gestern spät geworden bei dem Taufschmause. Der Halberstädter Domherr Konrad von Alvensleben fand, als wir Männer unter uns waren, bis tief in die Nacht hinein kein Ende mit seinen lustigen Geschichten und Schwänken. Nur eines möchte ich noch wissen, ehe ich schlafen gehe. Du erwähntest vorhin ein großes Werk, über das du Walter von der Vogelweide hättest um Rat bitten wollen. Was planst du denn für ein Werk?«

      »Herr Graf, heute nichts mehr davon!« entgegnete Eike. »Wir sehen uns wohl morgen noch, bevor wir voneinander scheiden.«

      »Doch, sag’ es mir! Sonst grübele ich darüber und schlafe trotz aller Müdigkeit nicht ein.«

      »Nun denn, — ich plane ein neues, einheitliches Gesetzbuch für ganz Sachsenland.«

      »Eike! Eike! Ein einheitliches Gesetzbuch für ganz Sachsenland?! Wie meinst du denn das?«

      »Morgen, Herr Graf, will ich Euch Rede stehen.«

      Damit lehnte Eike jede weitere Auskunft heut’ Abend entschieden ab. Sie erhoben sich beide und schüttelten sich die Hände zur guten Nacht. Der Graf begab sich in das Haus und murmelte vor sich hin:

      »Ein Gesetzbuch für ganz Sachsenland! Ein verwegener Gedanke!«

      Eike von Repgow saß wieder allein am Tische unter dem blühenden Apfelbaum und trank den Krug langsam aus.

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