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familiaris des ganzen Schlosses.

      Als die beiden über den Hungerplan, einen hügeligen Anger zwischen der Stadt und den sogenannten Weinbergen, hinwegritten, sagte der Stiftshauptmann, der ihn auf seine ausdrückliche Bitte du nannte: »Sieh mal, Florencius, wie auf dem Brocken der Schnee im Sonnenscheine glänzt!

      »Und hier unten im Lande sprießen fröhlich die Saaten, und Sträucher und Hecken fangen an sich zu belauben,« erwiderte der Stiftshauptmann. »Aber wir werden bald Regen bekommen.«

      »Woher hast du diese Wissenschaft?« frug Herr Willekin.

      »Ei Herr, wißt Ihr denn nicht, daß sich unsere Dekanissin, Fräulein Gertrud von Meinersen, auf das Wetter versteht wie der älteste Schäfer? Sie hält sich einen Laubfrosch, für den sie im ganzen Schlossen herum Fliegen fängt und auf den sie sich mit ihren Weissagungen verläßt.«

      »Trifft es denn auch ein, was sie weissagt?«

      »Nicht immer,« lachte Florencius, »und dann kriegt der Laubfrosch zur Strafe, daß er gelogen hat, zwei Fliegen weniger.«

      »Du lieber Gott!« sagte Herr Willekin. »Wo hat sie denn den Laubfrosch her?«

      »Wo soll sie ihn her haben! Ich habe ihn fangen müssen, als der vorige seine letzte Fliege gefressen hatte; es war eine giftige, – sagt die Scholastika.«

      »Sagt die Scholastika, so! Die ist wohl die Lustigste im ganzen Kapitel?« frug Herr Willekin.

      »Das ist schwer zu sagen, Herr Stiftshauptmann,« antwortete Florencius und fuhr nach einer kurzen Überlegung fort: »Ich glaube, die Custodin und die Sangmeisterin übertreffen sie noch. Wenn die beiden ihre blonden Köpfe zusammenstecken, so läuft es in der Regel auf einen merklichen Possen hinaus, über den es ein paar Tage lang zu lachen gibt. Am liebsten hängen sie einer der beiden Ältesten, der Pröpstin und der Dekanissin, eine Schelle an.«

      »Florencius!« drohte der Stiftshauptmann, »wem hängt man Schellen an?!«

      »Verzeiht, Herr!« lachte der Jünger, »aber ich muß ja oft genug helfen; sie lassen mir keine Ruhe, und wenn Gräfin Luitgard von Stolberg nicht wäre, die immer zu schlichten und zu sühnen sucht, was die jüngeren Fräulein in ihrem Übermut gefehlt haben, so ging es manchmal arg zu.«

      »Und die Domina?«

      »Die Domina? nun, Herr, – Ihr wißt wohl, die freut sich, wenn die Pröpstin sich ärgert, und Gräfin Adelheid von Hallermund lacht auch lieber, als daß sie weint. Neulich haben es unsere lieben Jüngsten aber doch einmal zu toll getrieben, so daß sie es büßen mußten.«

      Auf einen ermunternden Blick des Stiftshauptmann erzählte Florencius: »Wie Euch bekannt, ist die Dekanissin eine Meisterin im Sticken schwerer Wandteppiche mit Figuren aus der Geschichte der Heiligen, eine Liebhaberei von ihr, mit deren aufgezwungener Erlernung sie den jüngeren Damen manche qualvolle Stunde bereitet. Nun hatte sie kürzlich wieder einen solchen Teppich in Arbeit, auf dem die heilige Apollonia, die viel angerufene, von der Dekanissin besonders verehrte Helferin bei Zahnschmerzen, in Pflegung ihres gnadenreichen Amtes dargestellt war. Da schmiedete unser durchtriebenes Vierblatt einen mutwilligen Plan und brachte ihn, sorglich vorbereitet, zur Ausführung. Die Cameraria, Gräfin Agnes von Schrapelau, und die Scholastika, Fräulein Hedwig von Hakeborn, mußten die Dekanissin beim Fliegenfangen in einem entlegenen Teile des Schlosses möglichst lange festhalten; unterdessen schlichen sich die Kustodin und die Sangmeisterin in das Zimmer des Fräulein Gertrud von Meinersen und stickten der heiligen Apollonia mit flüchtigen, groben Stichen eine schneckenartig gewundene Haarflechte an die Schläfe, wie sie die Dekanissin selber trägt, versahen auch die Heilige mit einer so langen Nase und einem so eckigen Kinn, daß ihr Bild mit den Zügen der Dekanissin eine überraschende Ähnlichkeit erhielt. Die also Abkonterfeite erhob einen fürchterlichen Lärm über die Untat. Auch die stets nachsichtige Thesauraria stellte sich diesmal auf die Seite der Beleidigten und setzte mit dieser und der Pröpstin trotz Fürbitte der Gräfin Adelheid die Bestrafung der Schuldigen durch. Die beiden überführten Missetäterinnen Mechtild von Klettenberg und Sophia von Hohenbuch mußten am anderen Morgen auf vierundzwanzig Stunden in das dunkle Bußkämmerlein unterhalb der Krypta wandern, zu ihrem Glück beide zusammen, damit sie sich gegenseitig trösten konnten. An dem Nachmittage aber kam der Erbmarschall des Stiftes Herr Gerhard von Ditfurt zum Besuch, vermißte die beiden Blonden und erfuhr die Geschichte. Erst lachte er aus vollem Halse zum großen Verdruß der beiden alten Kat–«

      »Florencius!!«

      »– der beiden ehrwürdigen Fräulein Kunigunde und Gertrud, dann bat er um Gnade für die zwei Eingesperrten. Er brauchte nicht lange zu bitten; die Domina war froh, einen Anlaß zu waltender Milde zu haben. Die Kanonissin Gräfin Adelheid holte die mäßig Zerknirschten aus ihrem tiefen Verlies herauf, und nach einer Strafpredigt der gnädigen Frau, bei der das ganze Kapitel, die einen vor verbissenem Ärger, die anderen vor unterdrücktem Lachen, rot wurde, war die Sache für diesmal tot und abgetan. Soll mich nur wundern, was der nächste Schelmenstreich sein wird.«

      Jetzt mußte auch Herr Willekin lachen, und der Stiftsschreiber stimmte fröhlich ein.

      Unter so kurzweiligen Gesprächen ritten die beiden selbander durch die grünende Flur. Ihnen teils zur Linken, teils im Rücken dehnte sich der gewaltige, dunkelblaue Kamm des Gebirges in langer, sich immer höher hebender Linie von der weit sichtbaren Burg zu Ballenstedt bis zu dem schneebedeckten Gipfel des Brockens. Auf der Höhe des Liebfrauenberges haltend und die Rossen wendend, betrachteten sie mit Freuden das ihnen wohlbekannte, entzückende Bild.

      Im Lande vor ihn wechselten fruchtbare Ackerbreiten und Wiesen, durch welche die Bode und eilende Bäche an freundlichen Dörfern und umbuschten Mühlen blinkend vorüberzogen, mit klippengekrönten Hügeln und gewölbten Bergrücken ab, auf denen einsame Warten standen zum Auslug in die Runde. Die noch unvollendeten Domtürme von Halberstadt winkten aus der Ferne herüber, während die Stadt Quedlinburg hinter Bergen versteckt lag; nur das Schloß, aus dessen innerem Leben Florencius eine so ergötzliche Schilderung zum besten gegeben hatte, ragte darüber hinaus. Dahinter aber, halbwegs vor der breiten Schlucht des Bodetales, starrte das größte von den zackigen Riffen der Teufelsmauer, die mit den Gegensteinen bei Ballenstedt beginnend sich als ein oft unterbrochener, aber immer wieder auftauchender Klippenzaun meilenweit durch das Vorland des Harzes zieht und erst beim Regenstein endet, schwarz und ungeheuerlich empor. Fern im Osten schaute Burg Gersdorf aus der Ebene herauf, südlich, den Reitern gerade gegenüber, schimmerte die Lauenburg vom Bergwalde her, und im Westen drohte des Regensteins riesenhafter Felsblock, dem zur Rechten die auf spitzem Kegel trotzende Heimburg, wo Graf Bernhard von Regenstein hauste, und zur Linken der hochgelegene Sitz des Grafen von Blankenburg sich nachbarlich anschlossen.

      So umfaßte der Blick von hier aus ein beträchtliches Stück des herrlichen Harzgaues, ein mit aller Pracht wechselnder Farben und fesselnder Formen geschmücktes Gemälde, das zu den Füßen der Beschauer aufgerollt war und sich unter dem klaren Frühlingshimmel in seinem vollen Glanze zeigte. Ein leiser Wind mit kühlkräftigem Hauch strich über die freie Höhe und machte die Gräser und die Reiser der Bäume schaukeln und nicken. Über der Ferne schwebte ein matter Dunstschleier, und hoch im Blauen jubelten die Lerchen.

      Nachdem die beiden wieder eine Weile nebeneinander hergeritten waren, sagte Florencius: »Herr Stiftshauptmann, wenn ich mich nicht täusche, so kriegen wir es jetzt mit der bösen Sieben zu tun. Kommt da nicht der Ritter Bock auf seinem großen Schecken angetrottet?«

      »Du scheinst recht zu haben, Florencius,« erwiderte der Stiftshauptmann; »aber laß ihn doch kommen, Ritter Bock ist guten Freunden gegenüber ein höflicher Mann.«

      Aus dem Waldsaume des Steinholzes, das jetzt den ruhig Dahinziehenden zur Linken lag, waren drei Reiter hervorgebrochen, von denen zwei sofort abschwenkten mit der unverkennbaren Absicht, jenen nach vorwärts wie nach rückwärts den Weg abzuschneiden, während der dritte gerade auf sie losgetrabt kam.

      Dieser dritte bot eine abenteuerliche Erscheinung. Auf einem knochigen Schecken saß eine lange, hagere Gestalt in ritterlicher Wehr und Kleidung. Der Mann stak vom Scheitel bis zur Sohle im Kettenpanzer und trug darüber einen kurzen, gezattelten Waffenrock

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