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ihn alleine auf die Wiese hinauszustellen, doch der kleine Wilde war nicht zu halten gewesen, hatte den Boden im halsbrecherischen Galopp unter seinen Hufen gepflügt und unentwegt nach seiner Stute geschrien. Ich hatte Angst um seine Sehnen und Gelenke, und Tom um seine Weide. Seit Nines Abreise war Pepino nicht mehr auf die Koppel gekommen.

      „Die Koppelsaison ist für dieses Jahr beendet“, sagte ich zu dem Dicken. „Nächstes Jahr finden wir dir ein anderes nettes Mädel.“ Doch jedes Mal, wenn ich unter der Stange hindurch zu ihm auf den Paddock kroch, drehte er mir das Hinterteil zu. Er machte mich für seinen traurigen Zustand verantwortlich, das war mir klar. Wahrscheinlich wollte er gar kein anderes Mädel, er vermisste seine Nine.

      „Iris hat angerufen“, sagte Gerson, als ich aus dem Stall zurückkam. „Sie war ganz aufgeregt.“

      „Ist was mit Nine?“

      „Keine Ahnung, du sollst sie zurückrufen.“ Ich war durchgefroren und sehnte mich nach einer heißen Dusche. Doch zuerst musste ich wissen, was mit Nine los war. Ich schälte mich aus meiner Reithose, wusch mir schnell Gesicht und Hände, zog mir den Bademantel über und griff zum Telefon. Es klingelte nur zwei Mal, dann hatte ich Iris in der Leitung. Gerson deutete auf das Lautsprecherzeichen des Telefons, weil er mithören wollte.

      „Ich habe einen Hengst gefunden! Ein kleiner Haken ist dabei, er soll im Januar in Glovelier gekört werden. Er ist der Favorit und wird garantiert alle Preise absahnen. Er gehört Monsieur Poliglott, meinem Kollegen. Ich habe Nine schon mal angemeldet.“

      „Wunderbar! Schickst du mir ein Bild von ihm? Wie heißt er eigentlich?“

      „Du brauchst nur deinen PC anzuwerfen, dann siehst du ihn!“

      Nach meiner Kündigung an der Uni hatte ich mir zu Hause im Gästezimmer ein Büro eingerichtet, mit allem, was ich für meinen Job bei Massimos „Reisen der anderen Art“ brauchte: Einen PC mit Drucker, Fax und Telefon. Seit kurzem hatte Gerson mir sogar Skype installiert. Wenn er unterwegs war, und das kam ziemlich oft vor, konnten wir kostengünstig über den Computer miteinander sprechen und uns auch mal zuwinken.

      Gerson stand schon an meinem Schreibtisch und fuhr den PC hoch.

      „Da, schau dir ihn an: Paletti, der Hengst für alle Fälle. Der sollte unserer Nine gefallen!“

      Iris hatte uns einen Zeitungsartikel gescannt, in welchem die Hengstanwärter für die diesjährige Körung in Glovelier vorgestellt wurden. Paletti wurde darin über die Maßen gelobt. Von seiner Ehrlichkeit war die Rede und von seinem großen Kämpferherzen. Mit 158 cm Stockmaß war er deutlich kleiner als Nine und stämmiger ohne plump zu wirken. Er hatte eine dichte, helle Mähne, die aussah wie ein Büschel Schilfgras, ein lausbübisches, freundliches Gesicht, er wirkte keck und sportlich. So wie er aussah, würde Paletti die Prüfung, von der abhing, ob er als Zuchthengst in das Register aufgenommen werden würde, mit Bravour bestehen.

      Ich begann zu rechnen. Die Körung fand traditionell am zweiten Januarwochenende statt. Je nach ihrer Rosse konnten wir Nine dann irgendwann im Februar oder März decken lassen. „Vielleicht dauert es auch länger“, sagte Iris.

      „Warum?“

      „Wenn unser kleiner Liebling so gut abschneidet, wie wir hoffen, dann darf er den Stationstest machen.“

      „Was heißt das?“

      „Er bleibt noch 40 Tage in Glovelier. In dieser Zeit wird er angeritten und eingefahren.“

      „Dauert das alles nicht viel zu lang? Könnten wir nicht vorher ...?“

      „Wie stellst du dir das vor? Wir haben uns doch für den Natursprung entschieden? Das heißt, dass der Hengst selbst in Aktion treten muss, aber das geht nicht, weil er die 40 Tage stationär in Glovelier verbringen muss. Soll ich deine Nine etwa heimlich in seine Box schmuggeln?“ Iris lachte. „Unmöglich! Die Schweizer würden so was glatt als Angriff auf die Reinheit der Zucht ansehen. Nein, jetzt mal im Ernst, ich habe eine Idee.“

      Gespannt wartete ich, dass Iris mir ihren Plan mitteilen würde, doch sie sprach nicht weiter.

      „Wolltest du mir nicht etwas sagen?“

      „Ach, das hat Zeit, Plan B – vielleicht brauchen wir ihn gar nicht.“

      Nach der Besamung würde die Zeit des Wartens beginnen. Würde Nine aufnehmen? Wenn alles gut ginge, blieben von da an noch elf Monate, bis das Fohlen auf die Welt käme. In den ersten Monaten blieb das Kleine bei Nine und sie musste es säugen. Diese Zeit des Fohlens bei Fuß würde bestimmt noch einmal ein halbes Jahr dauern. Alles in allem würde Nine gut zwei Jahre wegbleiben. Ich schluckte.

      „Okay, wenn du meinst, dass dein Nachbar – wie heißt er doch?“, sagte ich stockend.

      „Poliglott“, rief Gerson, der sich an meinem Drucker zu schaffen machte.

      „Also, wenn Monsieur Poliglott mitmacht, dann bin ich mit allem einverstanden.“

      Ich drückte auf die rote Taste und legte den Apparat in die Basisstation, um endlich unter die Dusche zu verschwinden.

      „Halt, stopp! Einen Augenblick noch.“ Gerson wedelte mit einem Blatt Papier durch die Luft. „Muss noch eine Sekunde trocknen.“ Ich tippelte ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Beim Reiten hatte ich geschwitzt und im Bademantel war es mir kalt geworden. Doch Gerson gab mir kein Pardon. Fotos waren sein Ressort mit allem, was dazu gehörte. „Da ist er: Dein Hengst für alle Fälle!“

      Es war eine zauberhafte Aufnahme. Paletti trabte mit wehender Mähne auf mich zu, schaute mich aufgeweckt an und rief: „Alles Paletti, oder was?“

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      Ich musste immer öfter für Luis einspringen. Sein Verkaufsstall florierte, mit Sportpferden sei eine Menge Geld zu machen, sagte Tom. Er hatte mir verraten, dass Luis auch noch mit einer Vereinsgründung beschäftigt wäre, es ginge dabei auch um Pferde, doch Tom wusste nichts Genaues. Er sprach mit großem Respekt von Luis, er war glücklich, einen so reichen und erfolgreichen Mann als Einsteller zu haben. Und dass es dazu gekommen war, hatte Tom auch ein bisschen mir zu verdanken.

      Ich ritt Fango gerne, besonders, wenn Luis mir dabei zuschaute. Die Bekanntschaft mit ihm entschädigte mich dafür, dass meine alten Freundinnen und Freunde Liberty, Roberto und Carmen nicht mehr auf dem Leierhof waren. Ich hatte mich immer danach gesehnt, einmal einen Mann kennenzulernen, der meine Pferdeleidenschaft teilte und mit dem ich mich übers Reiten austauschen konnte. In unseren Gesprächen standen immer die Pferde im Mittelpunkt und ich freute mich besonders, wenn er sich nach Nine erkundigte:

      „Geht es ihr gut? Gibt's was Neues?“

      Ich zuckte die Achseln. „Iris hat einen Hengst ausgesucht, aber wir müssen die Körung abwarten.“

      „Soll er in Glovelier gekört werden?“

      „Du kennst dich gut aus – ich habe zum ersten Mal von diesem Ort gehört, und du tust so, als ob es sich um die Körung im Landesgestüt Marbach handelt.“

      „.Ich habe gute Geschäftsfreunde, die mich auf dem Laufenden halten“, sagte Luis. „Was hast du gesagt – wie heißt der Hengst?“

      Hatte ich Luis seinen Namen wirklich schon verraten? Wenn ja, musste ich mich verplappert haben, denn ich hatte Iris versprochen, absolutes Stillschweigen über unsere Pläne zu bewahren. Aber warum eigentlich?

      Ich fand nichts dabei, doch vorsichtshalber bat ich ihn:

      „Du sagst ihn niemandem weiter, versprochen? Paletti heißt er.“

      „Der diesjährige Favorit? Soll ein ordentlicher Kracher sein. Iris versteht etwas von ihrem Job! Er hat null Prozent Fremdblut.“

      Luis brachte mich zum Staunen.

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