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uff, uff!“ Der Indianerruf aus den Winnetou-Büchern meiner Kindheit war der einzige gute Kommentar, der mir zu dieser Meldung einfiel.

      „Und die schlechte Nachricht?“

      „Na ja, wirklich schlecht ist sie eigentlich auch nicht. Setze dich lieber: Paletti soll den 40-Tage Stationstest absolvieren.“

      „Und Nine?“

      „Was soll mit Nine sein, es geht ihr prächtig!“

      In diesem Augenblick hörte ich, wie die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. „Iris, entschuldige, ich muss Schluss machen, wir telefonieren morgen noch einmal.“ Kaum hatte ich das Gespräch beendet, stand Gerson in der Tür.

      „Hast du mit deinem Lover telefoniert, weil du gleich aufgelegt hast, als ich hereingekommen bin?“

      „Ach Gerson!“ Ich war viel zu glücklich, um ihm für seine dumme Stichelei böse zu sein.

      „Seit wann können Pferde telefonieren? Paletti ist als Sieger aus der Körung hervorgegangen!“

      „Na, dann ist ja wieder mal alles paletti“, schmunzelte Gerson. Sein Blick fiel auf den Esstisch.

      „Du hättest nicht aufräumen brauchen! Sandy musste schnell zum Zug, da habe ich ihr angeboten, sie hinzubringen.“

      Hatte ich richtig gehört – Sandy?

      „Meine Kollegin aus der Redaktion – wir planen eine Fototour, die muss gut vorbereitet werden.“

      „Und warum weiß ich nichts davon?“

      „Ach Vera, come on, ich habe dir doch neulich alles genau berichtet – dass wir nach Denver, Colorado fliegen – oder etwa nicht?“

      „Hast du nicht, aber das macht nichts. Von Denver ist es nicht weit nach Wyoming, da werde ich Liberty Bescheid sagen, die wird ein Auge auf dich haben!“

      Gerson ging zum Küchenschrank und nahm zwei Gläser heraus.

      „Wir haben noch zwei Flaschen Ulisses Lima. Es sind die letzten. Ich schlage vor, wir machen eine auf, und ich erzähle dir alles noch einmal ganz von vorn.“

      Seinen Ulisses Lima hütete Gerson wie einen Goldschatz. Wenn er freiwillig eine Flasche des kostbaren chilenischen Rotweins anbot, dann gab es entweder etwas zu feiern oder er hatte ein schlechtes Gewissen und wollte etwas wiedergutmachen. Und heute?

      „Ich möchte einfach mal wieder mit dir auf dem Sofa sitzen und Rotwein trinken“, sagte er lächelnd und daran wollte ich nicht zweifeln.

      „Wunderbar! Ich schneide mir einen Kanten Brot ab und nehme mir ein Stück Käse dazu.“

      Gerson sah mich zerknirscht an: „Oh, du Arme, du hast noch nichts zu Abend gegessen!“

      Er legte den Arm um meine Schulter und wir gingen ins Wohnzimmer. Gerson öffnete die Flasche mit einem satten Plopp, goss einen Finger breit Rotwein in sein Glas und hielt inne. „Moment! Fast hätte ich es vergessen! Ich habe dir etwas mitgebracht!“ Er sprang auf, ging hinaus und kam mit einem quadratischen Päckchen zurück. „Das ist für dich – with love from me to you!“ Er drückte mir ein Küsschen auf die Lippen, überreichte mir das Päckchen und widmete sich wieder dem Einschenken.

      Ein kleiner blauer viereckiger Umschlag, er fühlte sich hart an – eine CD, aber welche? Oldies von Simon and Garfunkel, Jazz aus dem vorigen Jahrhundert von Keith Jarett oder moderner Jazz – Helgoland von Jonas Westergaard? Cellostücke vom großen Johann Sebastian, oder die neue CD von Bob Dylan? Gersons Musikgeschmack war abseitig und er ließ nichts unversucht, mich auf seine Seite zu ziehen.

      „Mach es ruhig auf!“, sagte er.

      The Killers, ich konnte es kaum glauben. The Killers waren meine Lieblingsband. Ich hörte ihre Songs am liebsten im Auto oder wenn ich allein zu Hause war. Der Rock ist ein Gebrauchswert, hieß es schon beim alten Marx, einer der wenigen Lehrsätze, die ich aus meinem Soziologiestudium mitgenommen hatte. Man musste ihn laut hören, bis zur Schmerzgrenze, sonst war Rock eben nicht zu gebrauchen. Gerson war anderer Meinung, aber erstens hatte er nicht Soziologie studiert und zweitens spielte das in diesem Augenblick keine Rolle.

      „Das ist ja Wahnsinn – wie kommst du denn darauf? Days and Age! Die habe ich mir schon lange gewünscht! Danke!“

      „Schieb sie gleich mal rein, ich finde sie nicht schlecht.“

      Nach The Killers hörten wir noch die englische Suite vom alten Johann Sebastian und als Absacker die Neue vom alten Bob Dylan. Gerson erzählte mir von seinen Reiseplänen, Denver, Colorado und von da aus mit dem Auto nach Laramie, die schneebedeckten Rockies immer vor sich am Horizont. Alles war gut. Ich streckte mich auf dem Sofa aus und legte meinen Kopf in Gersons Schoß. Ich fühlte mich wohl und geborgen, seine Hand lag auf meinem Bauch und er streichelte mich sanft. „Denkst du eigentlich noch an unser Rotkäppchen?“, flüsterte er. Ich fasste seine Hand und drückte sie. „Komm, lass uns ins Bett gehen“, flüsterte ich zurück.

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      Die Zeit verging wie im Fluge. Wir waren immer noch nicht zu Nine nach Montmirail gefahren. Iris beruhigte mich. Ich brauche mir keine Sorgen zu machen, sagte sie, alles liefe nach Plan, es sei sozusagen alles paletti.

      Meistens ging ich an den Vormittagen mit meinem Laptop ins Büro. Anfang Januar lief das Reisegeschäft nicht besonders gut, die Weihnachtsferien waren vorüber und nur wenige Kunden verirrten sich in unser Reisebüro. Trotzdem bestand mein Chef Massimo auf den normalen Öffnungszeiten. Mir war es recht, ich konnte hier genauso gut arbeiten wie zu Hause, und manchmal genoss ich die Abwechslung sogar. Von meinem Schreibtisch konnte ich auf die belebte Brückenstraße hinaus schauen, was ich ausgiebig tat, denn mein Artikel über einen Nordic Walking Kurs in einem Vier Sterne Wellnesshotel im Allgäu erforderte nicht allzu viel Aufmerksamkeit. Ich hatte mein Handy angestellt, um für Iris jederzeit erreichbar zu sein.

      Doch gerade, als das Handy losging, Dadadadam, dadadadam, gebieterisch und laut, fiel mein Blick auf eine Gestalt hinter der Glastür. Stand da nicht Luis – Luis Maertens? Ob er mich besuchen wollte? Nein, unmöglich, er wusste doch gar nicht, wo ich arbeitete.

      Es war wirklich Luis, doch er war nicht allein. Er hatte den Arm um die Schultern einer jungen Frau gelegt. Sie trug schwarze, hohe Lackstiefel bis übers Knie und einen kurzen, taillierten Mantel aus einem billigen Leopardenfellimitat. Ihre Lippen waren zu einem knallroten Kirschmund geschminkt. Die roten, krausen Haare wurden von einem silberglänzenden Stirnband zurückgehalten, bei dessen bloßen Anblick meine Haut zu jucken anfing. Die beiden betrachteten die Plakate mit den Last-Minute Angeboten – Ägypten, Mallorca, Malediven. In den Wintermonaten nahm Massimo manchmal solche Pauschalangebote auf, weil die alternativen Rucksack-Reisen zu dieser Jahreszeit nicht so gut liefen. Dadadadam – schon wieder das Handy und immer noch völlig unpassend. Ob Luis verreisen wollte? Mit dieser Frau etwa? Wirklich, ich hätte ihm einen besseren Geschmack zugetraut. Die beiden tuschelten miteinander, und sie zeigte auf das Plakat mit den Pyramiden. Je länger ich die beiden beobachtete, desto verschwommener wurde mein Blick. Da schaute er zu mir her – ich hätte schwören können, dass mich Luis erkannt hatte und wollte schon den Mund zu einem Lächeln verziehen, als er sich umdrehte und etwas zu seiner Begleiterin sagte; dann hakte er sie unter und schob sie auf den Gehweg hinaus in Richtung Neckarbrücke. Ich sah gerade noch, wie sie einen rosa Schirm mit weißen Punkten aufspannte, obwohl es nicht regnete, sondern nur hauchdünne Flocken schneite. Warum war Luis nicht herein gekommen? Vielleicht wollte er mit dieser Frau lieber nicht gesehen werden? Vom Alter her hätte sie gut seine Tochter sein können. Dieser Gedanke tröstete mich etwas, wenn Kinder einmal erwachsen waren, konnte man die Eltern schließlich nicht für sie verantwortlich machen. Ich schluckte und wischte mir mit dem Handrücken eine Träne aus dem Augenwinkel.

      Schon

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