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neue Aufgabe mich nicht zu stark beanspruchen? Zu viel Zeit verschlingen, die ich mit Gerson hätte verbringen können?

      „Gibst du mir ein bisschen Bedenkzeit? Ich will es mir überlegen, Luis.“

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      „Kann ich dir irgendwie helfen?“ Wenn es um Stalldinge ging, war Gerson nicht oft so hilfsbereit.

      „Ich muss nur noch das Sattelzeug putzen und die Winterdecken waschen, dann noch neue Transportgamaschen kaufen, und eine Schabracke. Das Lederhalfter, das ihr Liberty zum Einzug geschenkt hat, ist zerrissen, und ...“

      „Das Fohlenprojekt scheint in einen gigantischen Konsumausflug zum Reitsportparadies Müller auszuarten“, maulte Gerson.

      „Man gönnt sich ja sonst nichts“, sagte ich lachend und schob seine Kritik einfach zur Seite. Schließlich war es mein Geld, das ich zum Fenster hinauswarf.

      „In drei, vier Tagen ist es soweit“, unterbrach Iris unsere Wortgeplänkel. „Ich muss meinen neuen Hänger noch zum TÜV bringen, dann kann es losgehen.“

      Vier Tage, dachte ich erleichtert. Bis dahin würde ich alles Notwendige zusammengepackt haben. Ich konnte sogar noch meinen Spind saubermachen, damit Luis Platz für sein Sattelzeug hatte.

      Die Vorbereitungen für Nines Reise verliefen wie geplant, es ging alles seinen Gang und doch fühlte ich mich wehmütig, wenn ich Nine mittags auf die Koppel führte. Sie schaute mich aus großen, wachen Augen an und lief aufmerksam neben mir her. Wenn ich den Führstrick löste, blieb sie bei mir stehen und legte mir den Kopf auf die Schulter. Erst wenn ich ihr einen Klaps gab und sie aufforderte, zu Pepino zu laufen, drehte sie sich um und galoppierte die Wiese hinunter. Eine Stute trug ungefähr 11 Monate. Ein ganzes Jahr oder noch länger ohne Nine, das würde mir nicht leicht fallen. Ich vermisste sie schon jetzt, bei dem bloßen Gedanken daran.

      Nachdenklich stand ich am Koppelzaun. Nine stand Seite an Seite mit Pepino und kraulte ihm das Fell. Plötzlich durchfuhr mich ein Gedanke: Ich hatte sie überhaupt nicht gefragt, ob sie sich von mir trennen wollte! Und noch dazu so lange? Vielleicht wollte sie überhaupt kein Fohlen? Der Leierhof war doch seit drei Jahren ihre Heimat, hier fühlte sie sich wohl, hier hatte sie ihren Pepino und mich natürlich.

      Iris konnte sich mit Pferden verständigen, sie wusste genau, was ihre Pferde von ihr wollten. Ich hatte es auch schon versucht, doch ich war mir nie ganz sicher gewesen, ob die Antworten nicht in meinem Kopfkino entstanden wären. Ich schloss für einen Moment die Augen. Geh zu ihr und frag sie. Das war Iris, ich hörte sie deutlich. Gut, dann versuche ich es. Aber was, wenn sie Nein sagt? Feigling, hörte ich Iris wieder. Du bist ein Feigling. Geh hin und frage sie.

      Sie hatte es mir erklärt. Alles was ich tun müsse, war ruhig werden, im Innern still, tief atmen und Verbindung zum Erdboden und zum Himmel aufnehmen. Durchatmen und die Energie fließen lassen. Und dann meine Frage, eine Art Bild in meinem Kopf und eine Einladung an Nine, etwas dazu zu sagen. Und die Antwort? Eher ein Gefühl, ein Bild, eine Farbe, oder eine Körperempfindung, warm oder kalt zum Beispiel. Die Empfindung wäre plötzlich da, und ich wüsste sofort, dass sie nicht meinem Hirn entsprungen wäre.

      Schritt für Schritt, langsam und bedächtig ging ich zu ihr. Auf halbem Weg kam sie mir entgegen, brummelte fröhlich und stupste mich von der Seite an.

      Willst du ein Fohlen, Nine? Der Gedanke war da, bevor ich ihn denken konnte, und leicht und einfach kam die Antwort. Ich spürte Zustimmung und reine Freude. Von Nine ging eine wohlige Wärme aus, die auf mich übersprang und mich fröhlich stimmte. Willst du mit Iris in die Schweiz, fragte ich weiter. Auf einmal verwandelten sich meine Hände in Eisklötze. Ob es an dem kalten Nordwind lag, der gerade da aufkam? Eine Antwort war das jedenfalls nicht! Das Wetter machte mir einen Strich durch die Rechnung, mein Experiment war zu Ende. Aber konnte ich nicht doch zufrieden sein? Ich hatte meine Frage gestellt und eine wunderbare Antwort bekommen! Nine wollte ein Fohlen, und daraus folgte zwangsläufig, dass Iris sie in die Schweiz mitnahm. Vergnügt knöpfte ich meine Jacke zu und hakte den Führstrick ein. „Wir machen uns lieber vom Acker, bevor du noch eine Erkältung bekommst.“ Ich muss ihr noch eine dicke Winterdecke kaufen, dachte ich, Montmirail lag über 1000 m hoch, im Winter würde es bestimmt eisig werden.

      „Hast du den Pferdepass mit den Impfungen griffbereit?“

      „Was braucht sie denn?“, fragte ich mit einem mulmigen Gefühl. Meine frühere Stallfreundin Liberty hatte mir abgeraten, Nine impfen zu lassen. Und weil ich in den letzten beiden Jahren nicht mehr mit Nine auf Turniere gegangen war, hatte ich die Impfungen einfach vergessen.

      „Tetanus und Pferdeinfluenza, wie alle Sportpferde“, sagte Iris.

      Ich schluckte und fischte nach meinem Handy. „Könntest du bitte Nines Impfpass heraussuchen und nachschauen, wann sie das letzte Mal gegen Influenza geimpft wurde?“

      Es dauerte keine fünf Minuten, bis sich Gerson zurückmeldete. „In diesem Jahr nicht, wie es aussieht, – soll ich dir den Pass vorbeibringen?“

      „Nicht nötig, ich rufe lieber gleich Dr. Abnemer an, drück mir die Daumen, dass er morgen noch vorbeikommt.“

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      Gerson stellte sich quer. Er benahm sich wie ein bockendes Pferd; träge, zäh und unwillig wie eines, das man in der Mittagshitze von der Weide holte um schwere Dressurlektionen zu üben.

      „Du willst an drei Tagen in der Woche und wahrscheinlich auch noch am Wochenende diesen Tango reiten?“

      Ich spürte, wie er alle seine Stacheln aufstellte und sie in meine Richtung drehte. „Was soll das heißen?“

      „Genau das, was ich gesagt habe. Du hast Abmachungen getroffen, ohne mich zu informieren.“

      „Er heißt Fango!“

      Gerson musterte mich mit zusammengekniffenen Augen und schwieg.

      „Du irrst dich“, sagte ich. „Ich habe ihm keine feste Zusage gegeben.“

      Was als Angebot zur Versöhnung gemeint war, verfehlte seinen Zweck völlig.

      „Also doch! Du hast mit ihm gesprochen. Ohne mich vorher zu fragen. Vera, das finde ich nicht fair.“

      Was hatte Gerson eigentlich? Ich verstand ihn wirklich nicht. Es war seine Idee gewesen, Nine in der Schweiz decken zu lassen. Und jetzt bockte er, nur weil ich zwei oder dreimal in der Woche Fango reiten wollte. Warum spielte er auf einmal die beleidigte Leberwurst?

      „Wir könnten zusammen joggen gehen, wenn du Sport machen willst.“

      „Gerson! Jetzt hör mir mal zu. Wie oft soll ich es noch sagen: Reiten ist kein Sport!“

      „Das ist es ja. Ich sehe voraus, dass es bei zweimal die Woche nicht bleibt. Wenn dieser Lewis, oder wie er heißt, auf Geschäftsreisen geht, oder auf Urlaub, dann bist doch du für das Pferd verantwortlich!“

      Es nützte nichts, es abzustreiten. Luis hatte mir sogar Berittgeld angeboten, das würde mich verpflichten, ordentlich mit dem Pferd zu arbeiten.

      Gerson ließ nicht locker. „Ich dachte, dass wir mehr Zeit für uns hätten, wenn Nine weg ist. Wir könnten spontan übers Wochenende weg fahren, oder uns nachmittags irgendwo verabreden, wir könnten endlich mal unsere Freunde besuchen und zusammen ins Kino gehen.“

      Darum ging es ihm also! Und ich hatte geglaubt, Gerson hätte an Nine gedacht, als er den Vorschlag mit dem Fohlen gemacht hatte! Weit gefehlt – ich hatte mich getäuscht! Er wollte Nine wegschaffen, er war auf Nine eifersüchtig, er wollte mich für sich alleine haben und mit keinem

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