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      Ein merkwürdiges Wort, das bei mir mit dunklen Assoziationen verknüpft war: Rasse, Blut und Gene und die Reinheit der Zucht – das waren Begriffe, die ich von meinem Großvater her kannte. Ihm war es natürlich nicht um Pferde gegangen. Er war schon als Kind in die Hitlerjugend eingetreten und, obwohl er im Alter die Grünen wählte, war er ein in der Wolle gefärbter Nazi geblieben. Von Rasse und Blut sprach er natürlich nicht offen, doch an seinen Kommentaren zu bestimmten politischen Ereignissen hatte ich seine braune Grundeinstellung unschwer ablesen können.

      Luis schien mein Stirnrunzeln nicht zu bemerken und ahnte nichts über meinen gedanklichen Ausflug in unsere dunkle Nazi-Vergangenheit.

      „Ganz einfach, es geht darum, das „Original Freiberger Pferd“ zu erhalten. Sein Fremdblutanteil darf 2% nicht übersteigen.“ Luis klang auf einmal ernst. Der freundlich-verbindliche Ton in seiner Stimme war verschwunden. Was er sagte, wirkte streng und ein bisschen oberlehrerhaft.

      „Dann wäre Paletti also so ein Original Freiberger Pferd?“

      „Genau. Und deine Freundin Iris will ihn mit einer deutschen Stute kreuzen.“

      Doch die dunkle Wolke auf seiner Stirn hielt sich nicht lange. „Vera, ich habe meine Kamera dabei – was hältst du davon, wenn ich ein paar Bilder von dir auf Fango mache?“

      Natürlich war ich einverstanden. Mein Freund Gerson war Fotojournalist, und trotzdem gab es von mir kaum Bilder zu Pferde. Tierfotografie wäre nicht sein Gebiet, entschuldigte er sich, doch war das ein Grund, es überhaupt nicht zu versuchen? Wenn das Foto gelingen würde, würde ich Luis um einen Ausdruck bitten. Ich würde das Bild rahmen und es Gerson schenken. Schade, dass ich kein Foto von mir und Nine hatte, dachte ich, vielleicht hätte Gerson so ein Foto besser gefallen.

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      In der nächsten Woche befand ich mich in einem eigenartigen Seelenzustand. Ich konnte mich nur schlecht konzentrieren, brauchte doppelt solange für meine Reiseberichte und suchte stundenlang nach meinem Schlüssel, wenn ich aus dem Haus gehen wollte. Mein Herz klopfte und ich hätte jeden umarmen können, der mir über den Weg lief. Doch Gerson schien alles daran zu setzen, mir meine Freude zu vergällen. Schon wie er mich beim Frühstück schräg von der Seite her anschaute, gab meiner Hochstimmung einen Dämpfer. „Wenn ich es nicht besser wüsste, dann würde ich glauben, du bist verliebt.“

      Er ahnt etwas, durchfuhr es mich, doch glücklicherweise gelang es mir schnell, auf sicheres Terrain zurückzukommen. Ein Blick auf Gerson genügte – so mürrisch wie er sein Butterbrötchen in zehn kleine Teile schnitt und sie wie eine Mauer um seinen Tellerrand legte, sagte mir alles über seinen Gemütszustand. Gerson war ein Miesmacher, ein Spaßverderber. Und dabei war er doch an allem schuld. Wer hatte mir denn das Bild von Paletti in einen roten Rahmen gesteckt und so auf meinem Schreibtisch platziert, dass ich, ob ich wollte oder nicht, darauf schauen musste? Gerson hatte vollkommen recht. Ich war verliebt, nicht so sehr in Luis, wie mir Gerson unterstellte, sondern in Paletti, den jungen Rotschopf. Der Hengst war einfach umwerfend und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass er gleich nach der Körung zu meiner Nine gebracht würde. Leider dauerte es bis dahin noch gute zwei Wochen und ich musste mich wohl oder übel in Geduld üben.

      Nachts schlief ich unruhig und träumte immer wieder den gleichen Traum. Nine war rossig, es war nicht zu übersehen. Mit aufgestelltem Schweif und abgeschrägten Beinen stand sie da und rosste auf die Stallgasse. Da sah ich, wie sich ihr jemand mit einer Spritze näherte, ich konnte die Person nicht erkennen, doch ich war mir sicher, dass es ein Mann war. Nine sah ihn, riss ihre Augen auf und drehte sich zu mir um. Ich verstand jedes Wort: „Lass mich nicht allein“, flehte sie.

      Schweißgebadet wachte ich neben Gerson auf, der friedlich vor sich hin schnarchte. Sie hat mich nicht mehr gehört, dachte ich, ich wollte ihr noch sagen, dass sie sich auf mich verlassen kann. Unsere Verbindung war abgerissen. Ich drehte mich auf die andere Seite und beruhigte mich mit dem Gedanken, dass Nine bei Iris in guten Händen war.

      Am nächsten Morgen wurde ich durch ein penetrantes Kratzen draußen auf der Straße geweckt. Das Fenster stand einen spaltbreit offen und ein kalter Windzug streifte meine Stirn. Ich stand auf und schaute hinaus. Im fahlen Licht der Straßenlaterne tanzten Schneeflocken, die Autos waren mit einer weißen Haube überzogen. Unser Nachbar machte sich mit der Schneeschippe auf dem Gehweg zu schaffen. Wenn es noch morgen so weiter schneite, würden auch wir zur Schippe greifen müssen.

      Aus dem Badezimmer hörte ich Gersons Rasierapparat brummen. „Du hast immer noch keine Winterreifen montieren lassen?“, rief er.

      Winterreifen? An alles hatte ich gedacht, nur nicht an Winterreifen.

      „Zu spät, kaufen kannst du bestimmt keine mehr!“

      Glücklicherweise musste ich mit meinem Golf nicht über Land fahren. Zum Leierhof würde ich auch mit meinen abgefahrenen Sommerreifen kommen. Die Hauptstraßen waren meistens gut geräumt und gestreut. Aber wenn ich zu Nine ins Jura fahren wollte?

      „Komm bloß nicht auf die Idee, mit deiner klapprigen Kutsche ins Gebirge zu fahren.“

      Genau das hatte ich vorgehabt. „Vielleicht schneit es nächste Woche nicht mehr“, sagte ich hoffnungsvoll.

      Gerson zog den Stecker aus der Dose, kam zu mir ins Schlafzimmer und sah mich entgeistert an. „Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Selbst wenn der Schnee von gestern wegtaut, kann über Nacht Neuschnee fallen und es kann zu Glatteis und Schneeverwehungen kommen. Montmirail liegt immerhin über 1000m hoch.“

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      „Unbedingt Iris anrufen!“ Den Zettel fand ich auf dem Küchentisch, als ich vom Yoga nach Hause kam. Yoga tat mir gut; ich hielt mich fürs Reiten fit und blieb gelenkig. Beim Üben waren wir Frauen unter uns und unsere Lehrerin verstand es, uns schnell in einen entspannten Zustand zu versetzen. Während dieser Stunde verstummte mein nerviger innerer Lautsprecher vollständig. Die Übungen mäßigten meine Ungeduld und dämpften meine dunklen Vorahnungen, wenn ich an Nine dachte, und wie lange ich von ihr getrennt sein würde.

      Umso krasser empfand ich jetzt die Wirklichkeit meines Alltags. Da war der Zettel mit der Nachricht von Iris und jede Menge schmutziges Geschirr für Suppe, Hauptgericht und Nachspeise für zwei Personen. Gerson hatte einfach alles auf dem Küchentisch stehen lassen. Für wen hatte er da gekocht? Und warum waren sie so hastig aufgebrochen? Ohne große Hoffnung schaute ich in den Kühlschrank – nein – von dem wahrscheinlich opulenten Mahl war nichts übrig geblieben.

      Mit spitzen Fingern fing ich an, Teller und Gläser in die Spülmaschine zu klemmen. Mit jedem Teil wuchs mein Groll. Eine dumpfe Ahnung sagte mir, dass es keiner unserer gemeinsamen Freunde war, den er bewirtet hatte.

      Klingelte da nicht das Telefon? Iris, durchfuhr es mich, ich hätte mich gleich bei ihr melden sollen! Es war schon zehn Uhr, wenn sie so spät noch anrief, dann bedeutete das nichts Gutes. Hoffentlich war Nine nicht gestürzt! Auf dem glatten, eisigen Boden ausgerutscht, weil sie sich noch nicht ans Barfußlaufen gewöhnt hatte? Eine Sehnenzerrung oder ein dicker Bluterguss, der aufs Sprunggelenk drückte? Eine Erkältung? Sie war zwar geimpft, doch gegen fremde Viren bot die beste Impfung keinen Schutz. Wo hatte Gerson nur den Apparat hingelegt – nie brachte er ihn auf die Basisstation zurück! Da, in der Sofaecke blinkte etwas. Der Anrufbeantworter sprang an, und ich hörte Iris' Stimme: „Hallo Vera“, hastig griff ich zum Hörer und rückte auf die grüne Taste. „Ich bin's. Was gibt es? Hoffentlich nichts Schlimmes!“

      „Wie man's nimmt. Willst du die gute oder die schlechte Nachricht zuerst hören?“

      Es gab also eine Wahl und ich sagte: „Die gute!“

      „Halt

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