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endlich bitten, mir eine neue Melodie aufzuladen. Auf dem Display erschien der Name Iris! Aufgeregt drückte ich auf Annahme – sie wollte mir bestimmt schöne Grüße von Nine bestellen.

      „Hallo Vera, warum gehst du nicht ans Telefon? Hast du einen Augenblick Zeit?“

      Ohne meine Antwort abzuwarten sprudelte sie los: „Ich habe dir doch von Plan B erzählt? Es hat geklappt!“

      „Mal langsam, nichts hast du erzählt! Was verbirgt sich hinter diesem ominösen Plan B?“

      „Ganz einfach, ich habe meinen Bekannten Monsieur Poliglott von unserer Absicht erzählt, Nine decken zu lassen. Natürlich habe ich ihm Nine vorgestellt und er hat sich auf der Stelle in deine Stute verliebt. Aber er hat mir vom Natursprung abgeraten. Abgesehen davon, dass es im Augenblick auch gar nicht möglich wäre. Sein Hengst müsste mit unserer Stutenherde zusammengebracht werden. Doch bei unseren Witterungsverhältnissen geht das nicht. Es ist eisig kalt und es liegt knöcheltief Schnee. Die Verletzungsgefahr sei zu groß, sagte er. Bliebe noch eine Bedeckung an der Hand. Ich habe bei dieser Prozedur ein paar Mal zugeschaut und es kam mir immer wie eine Vergewaltigung der Stute vor. Die Stute hat keine Möglichkeit dem Deckakt auszuweichen, in manchen Fällen wird sie an den Hinterbeinen und an den Vorderbeinen gefesselt, damit sie den Hengst nicht treten kann.“

      „So habe ich mir das Ganze nicht vorgestellt!“, sagte ich enttäuscht.

      „Einen Moment, lass mich erstmal ausreden! Wie gesagt, Monsieur Poliglott hat sich in Nine verliebt! Ich habe ihn gebeten, mir Sperma von Paletti zu verkaufen. Er hat eingewilligt, unter einer Bedingung: er wollte es mir schenken.“

      „Und jetzt?“

      „Das sagte ich doch schon – es hat alles wunderbar geklappt. Der Tierarzt von Saignelegier war vor drei Tagen bei uns und hat Nine künstlich besamt.“

      „Wirklich?“ Ich musste erst einmal Luft holen. Vielleicht war mein Atemzug zu tief geraten, denn auf einmal war mir richtig schwindelig. „Ein Mann mit einer Spritze?“, brach es aus mir heraus.

      „Was ist denn los mit dir? Nein, kein Mann, entschuldige, wenn ich mich falsch ausgedrückt habe, wir haben hier eine sehr sympathische Tierärztin, Madame Robine. Ich war die ganze Zeit dabei, ich kann dir versichern, es ist alles gut gegangen.“

      „Na gut! Hoffentlich nimmt Nine auf! Jedenfalls brauchen wir jetzt die 40 Tage, die unser Liebling in Glovelier verbringt, nicht mehr abzuwarten.“

      Ich fühlte mich unendlich erleichtert. „Vielleicht kann ich Massimo überreden, dass er mir bald ein paar Tage frei gibt, dann kann ich Monsieur Poliglott und seinen Paletti endlich persönlich kennenlernen.“

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      Drei Wochen später war alles klar. Die Rosse blieb aus, Nine hatte aufgenommen.

      „Auf unser Fohlen“, prostete Gerson mir zu. Nicht mit Ulisses Lima, auch nicht mit Prosecco, sondern mit Glühwein. Es war immer noch ziemlich kalt, obwohl der Februar dem Ende zuging. Im Jura hatte es wieder Neuschnee gegeben, Montmirail lag unter einer 60 cm dicken Pulverschneedecke. Obwohl ich in unserem Garten schon die ersten vorwitzigen Schneeglöckchen entdeckt hatte, kletterten auch bei uns die Temperaturen nur wenig über Null.

      „Auf Nines Fohlen und auf unseren Paletti.“ Gerson umarmte mich. „Schade, dass ich heute noch einen Termin habe. Tut mir leid, Sandy wartet in der Redaktion, es gibt Schwierigkeiten mit unserem Flugticket.“

      Wir tranken noch einen Schluck, dann nahm Gerson seinen Rucksack, setzte seinen Fahrradhelm auf und winkte mir zu: „Bis später, du brauchst nicht auf mich zu warten, vielleicht gehen wir noch zu MacDo, einen Burger essen.“

      Wie sich die Zeiten ändern, dachte ich wehmütig; noch vor kurzem hatte er mich mit einem Einkaufszettel zu Pronto geschickt und mir zum Abendessen Pasta gekocht und wir hatten uns einen Dampfgarer angeschafft. Doch dann hatte der italienische Supermarkt auf der Eppelheimer Straße geschlossen, Efeuranken überwucherten das Firmenschild und der Müll stapelte sich auf dem Parkplatz. Und jetzt ging Gerson mit seiner amerikanischen Kollegin zu Mac Donald‘s, während mir der Dampfgarer den Backofen versperrte, wenn ich eine einsame TK-Pizza hinein schieben wollte.

      Im Topf war noch etwas lauwarmer Glühwein, den ich mir einschenkte. Doch er schmeckte mir nicht mehr und ich goss den Rest in den Ausguss. Vielleicht konnte ich Gerson zu einem Ausflug nach Montmirail überreden, wenn er von seiner Amerikareise zurück war? Er hatte noch nicht damit herausgerückt, wann sie abreisen würden, wahrscheinlich wusste er es selbst noch nicht genau.

      Vor zwei Tagen hatte ich mir ein Buch vom FN-Verlag über die Aufzucht eines Fohlens bestellt, bestimmt lag es schon im Briefkasten. Schnell zog ich mir eine Jacke über und ging hinunter. Das Briefkastentürchen klemmte ein wenig und knirschte beim Öffnen. Rechnungen, Werbungsschreiben, eine Aufforderung die Gelben Seiten abzuholen, das war alles. Doch nein, beinah hätte ich den Brief mit der ausländischen Briefmarke übersehen. Der Absender fehlte und die Marke kam aus der Schweiz.

      Mein Herz begann wie wild zu klopfen, du bist zu schnell unterwegs, sagte mein innerer Lautsprecher, mach langsam, doch beim Hinaufgehen nahm ich zwei Stufen auf einmal. Atemlos riss ich noch im Flur das Kuvert auf. Als erstes zog ich ein kurzes Schreiben heraus. Ob der Brief von Iris stammte? Vergeblich suchte ich nach einer Mitteilung für mich. Es war gar kein richtiger Brief, sondern ein Blatt, auf das drei E-Mails kopiert waren. Zuerst dachte ich, es handele sich um einen Scherz: Hände weg von der Misch-Zucht. Unser Blut muss rein bleiben.

      Die zweite gab den Satz auf Französisch wider: Pur Sang: Non au mélange de race.

      Und die dritte sprach eine Drohung aus: „Weg mit dem deutschen Fremdblut, oder wir richten es.“ Jede einzelne Mail war unterschrieben mit: Ligue Pur Sang, LPS. Jura Libre.

      Mir wurde auf einmal kalt. Meine Hände fühlten sich so hart wie Eisklumpen an. Wie damals auf der Weide, als ich Nine fragen wollte, ob sie in die Schweiz wollte. Damals hatte ich den Frosteinbruch in meinem Körper auf den frischen Nordwind geschoben, doch heute gab es dafür keine Erklärung. Warum hatte ich nur den Glühwein weggeschüttet, jetzt hätte ich ihn brauchen können.

      Ich verstand kein Wort von dem, was ich gerade gelesen hatte. Aber etwas anderes war mir klar. Es ging um Nine, um meine Nine und um ihr Fohlen.

      Hastig griff ich zum Telefonhörer und drückte Iris' Nummer. Doch entweder war sie gerade im Stall oder unter der Dusche, jedenfalls nahm sie nicht ab, nicht einmal der Anrufbeantworter sprang an.

      Immer wieder las ich die kopierten Mails und versuchte vergeblich, mir einen Reim darauf zu machen. Je länger ich auf den Text starrte, desto heftiger klopfte mein Herz. Auf einmal klingelte das Telefon. Iris! dachte ich, erleichtert.

      „Hast du mich gerade angerufen, Vera?“

      „Ich habe deinen Brief bekommen.“

      „Welchen Brief denn?“

      „Den mit den merkwürdigen Mails – du weißt schon!“

      „Nichts weiß ich. Ich habe dir keinen Brief geschickt. Worum geht es eigentlich?“

      Ich schluckte. „Moment, ich lese es dir vor: Pur sang, Hände weg von der Rassen-Mischung.“

      „Oh nein, das darf nicht wahr sein – du auch?“

      „Iris, bitte erklär mir, was los ist, mir ist ganz flau.“

      „Vor ein paar Tagen habe ich die gleichen Mails bekommen. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht. So etwas kommt überall vor. Rassenmischung! So ein Quatsch – wer will denn Mischzucht betreiben!“

      „Damit ist bestimmt Nine gemeint, oder?“

      „Nein! Alles was wir wollen ist ein Fohlen aus deiner Stute. Wir wollen doch keine neue Zuchtlinie

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