Скачать книгу

dreimal, Gerson, soviel Zeit habe ich übrig. Ich muss im Training bleiben, schließlich kommt Nine erst nach einem Jahr wieder zurück.“

      Gerson schaute mich voller Groll an: „Du glaubst doch wohl selbst nicht, dass du das Reiten verlernst?“

      Es war zwecklos, gegen seinen Ärger anzureden. Dass sich die Rückenmuskulatur schon nach wenigen Tagen zurückbildete und es lange dauerte, bis man sie wieder auftrainiert hatte, solche unter Reitern allgemein bekannten Tatsachen brauchte ich ihm jetzt nicht vorzuhalten.

      Es gelang mir, vollkommen sachlich zu bleiben. „Der Besitzer von Fango übernimmt meine Boxenmiete, ich muss kein Standgeld bezahlen, das kommt meinem Geldbeutel zugute.“

      Wenigstens dieses Argument schien Gerson zu besänftigen. Er zog sich einen Küchenstuhl heran und setzte sich an den Tisch, nahm sich eine Banane aus dem Obstkorb und begann sie bedächtig zu schälen. „Wer ist eigentlich der Besitzer dieses Wunderpferdes?“, fragte er nach einer Weile.

      Darauf hatte ich mich vorbereitet. „Er heißt Luis Maertens; ein Pferdemann durch und durch, nicht mehr ganz jung, mit viel Geld und wenig Zeit, wie das halt so ist. Er hat was mit Immobilien zu tun und einen exklusiven Verkaufsstall.“ Das mit den Immobilien hatte ich erfunden, irgendwie schien es mir zu Luis zu passen und es würde ihn in Gersons Augen garantiert seriöser machen.

      „Merde? Heißt er wirklich Merde?“ Sollte das ein Witz sein, oder war es wirklich ein Missverständnis? Vielleicht lag es an meiner weichen süddeutschen Aussprache – keine Ahnung. Merde, sollte er ruhig denken, was er wollte. Ich atmete erleichtert auf, er hatte nichts gemerkt.

Fotolia_16677407_M

      In der ersten Woche trafen wir uns drei Mal. Luis gab mir viele gute Ratschläge. „Fango darf keinen Zug bekommen.“ Sein Fell sei dünn. „Dafür schwitzt er kaum bei der Arbeit“, sagte Luis, „Ich brauche ihn nicht zu scheren, wenn es kalt wird.“

      Luis war immer schon vor mir da, hatte sein Pferd gesattelt und es warm geritten. Wenn ich in die Halle kam, stieg er ab, hielt mir den Steigbügel, damit ich aufsitzen konnte und gab mir Reitunterricht. Ich musste Fango erst kennenlernen, herausfinden, wie er auf meine Hilfen reagierte und wie er geritten werden wollte. Zwischen Luis und mir gab es keine Missverständnisse, seine Kommandos waren klar, und Fango reagierte weich und durchlässig auf meine Hilfen. Unter Luis' Anleitung fühlte ich mich sicher und frei zugleich.

      In der Reithalle blieben wir allein und ungestört, da es nicht viele gab, die bei den milden spätherbstlichen Temperaturen in der Halle ritten.

      Luis stand in schwarz-glänzenden Reitstiefeln mitten in der Bahn; seine beigen Breeches, die bei jedem anderen lächerlich altmodisch ausgesehen hätten, gaben ihm etwas extravagant Männliches. Manchmal hielt er inne und schob sich mit einer eleganten Handbewegung die Haare aus der Stirn. Luis' starker Bartwuchs und seine buschigen Augenbrauen ließen seinen Teint noch dunkler erscheinen. Ich musste mich zusammen nehmen, um nicht andauernd zu ihm hinzusehen. Irgendetwas an ihm zog mich unwiderstehlich an. War es seine erotische Stimme? Dieser kehlig-raue Ton, der so sanft bei mir ankam? Der wie Bitterschokolade in mir schmolz, zart, süß, herb und mit winzigen Sporen, die tief in meinem Innern ziemlich viel aufwühlten. Ich konnte nicht genug davon bekommen und wurde mit jedem Wort süchtiger. Ich hatte mich schon einige Male dabei erwischt, wie ich das Handy in der Hand hatte, um Luis anzurufen, einfach nur um seine Stimme zu hören.

      Wenn wir fertig waren, gab ich Fango die Zügel hin und ließ den Wallach laufen. Er blieb vor Luis stehen und ließ sich von ihm den Hals klopfen. Luis schaute mich an und der Besitzerstolz stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Fango wird unter dir richtig zum Pferd!“, sagte er.

      Luis wusste, wie er mir schmeicheln konnte; er lobte Fango, und ich fühlte mich einzigartig und ganz; es war ein Gefühl, das ich kannte, und schon lange vergessen hatte. Jetzt kam es plötzlich wie eine Welle auf mich zu. Es war wie damals, als ich mich in Gerson verliebt hatte. Luis ließ dieses Glücksgefühl in mir wieder aufleben und dafür war ich ihm unendlich dankbar. Ich beugte mich über Fangos Hals, da spürte ich Luis' Hand auf meinem Arm. Für einen Außenstehenden musste es so aussehen, als habe er mich unabsichtlich gestreift, doch auf mich wirkte es wie eine liebevolle Berührung. Ich schaute Luis verträumt an, doch gerade da zog er seine Hand wie elektrisiert zurück und trat einen Schritt zur Seite. „Vera, es sucht dich jemand!“

      Ich erstarrte. Nicht möglich – wer denn? Und warum gerade jetzt?

      Auf der Tribüne stand Gerson. „Jetzt zeig mir mal dein Wunderpferd, reite mir was vor!“, rief er mir zu. Er war bester Laune, doch meine Stimmung sank augenblicklich auf den Nullpunkt.

      Auf Kommando vorreiten? Unmöglich! Was dachte sich Gerson eigentlich? Ich warf Luis einen schnellen Blick zu, er schien mich zu verstehen, denn er nickte. Dann saß ich ab und übergab Luis die Zügel. Gemeinsam gingen wir zum Ausgang. „Sie sind ein paar Minuten zu spät gekommen“, sagte Luis.

      Gerson zuckte die Schultern und lachte. „Ihnen gehört also das Wunderpferd, von dem Vera so schwärmt? Ich habe Sie mir anders vorgestellt, viel ...“

      Das hätte noch gefehlt – wenn Gerson ausplauderte, was ich ihm über Luis erzählt hatte! Es wäre mir peinlich gewesen, wenn Luis mitbekommen hätte, dass ich mit Gerson über ihn geredet hatte. Und noch peinlicher, wenn Luis erfahren hätte, was ich über seine berufliche Situation erzählt hatte. Luis hatte mir nicht einmal gesagt, in welcher Branche er arbeitete. Was ich über ihn wusste, hatte ich von Tom, und der Rest war frei erfunden.

      „Gibst du mir mal den Hufkratzer?“ Gerson schaute sich um, hob einen Kratzer vom Boden auf und gab ihn mir. Ich hatte mich schnell wieder gefangen und sagte so ruhig wie möglich: „Genau, das ist Luis Maertens, der Besitzer von Fango.“ Während ich mich bückte, um Fangos Hufe zu säubern, gaben sich die beiden Männer die Hand. Ich ließ mir viel Zeit und als ich mit den Hufen fertig war, nahm ich den Besen und kehrte den Sand zusammen.

Fotolia_16677407_M

      „Ich lade Sie zu einem Glas Prosecco ins Reiterstübchen ein.“, sagte Luis.

      „Alkohol? Um diese Tageszeit?“ Gerson konnte Luis nicht ausstehen, und er zeigte es ihm deutlich. Doch Luis ließ sich von ihm nicht einschüchtern.

      „Fango ist nicht leicht zu reiten und Ihre Frau weiß ihn zu packen.“

      Ich zuckte zusammen, meinte Luis etwa, dass Gerson und ich verheiratet wären?

      Gerson lächelte gequält. „Ja, das hat sie mir erzählt.“

      „Ich habe Vera vorgeschlagen, Fango zu reiten, selbstverständlich werde ich den Beritt bezahlen“, sagte Luis sachlich wie ein Geschäftsmann. Es ging ihm nur um Fango, das fiel sogar Gerson auf. „Vera hat auf Nine viel gelernt und Iris lobt sie sehr.“ Es klang wie eine Art Friedensangebot.

      Erleichtert legte ich den Hufkratzer in den Holzkasten zu den Bürsten und Striegeln, griff noch einmal zum Besen und fegte Fangos Hinterlassenschaften an die Seite. Die beiden Männer schwiegen sich jetzt verbissen an; Gerson trat von einem Fuß auf den anderen und fixierte mich. Die Situation war nicht auszuhalten.

      „Ich bringe Fango zum Hänger“, sagte ich, „ihr zwei könnt ja schon mal ins Reiterstübchen gehen.“

      Ich brauchte dringend frische Luft. Obwohl es noch nicht einmal 19 Uhr war, war es draußen schon dunkel. Die Abendluft war frisch und klar und mit jedem Atemzug fühlte ich mich wohler. Das war gerade noch einmal gutgegangen! Was war bloß in Gerson gefahren? In den letzten drei Jahren war er schätzungsweise ein- oder zweimal bei Nine und mir vorbeigekommen, aber nur, um Abwechslung in seine Bikertrainingsstrecke zu bringen. Statt nach Weinheim fuhr er die Runde

Скачать книгу