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sieht mir das nicht nach der Einleitungsphase aus. Ich würde vorschlagen, daß du sie dir mal anschaust.«

      Dr. Daniel öffnete die hintere Autotür, dann holte er aus der Tasche, die er vorsichtshalber gleich mitgebracht hatte, ein Händedesinfektionsmittel und Plastikhandschuhe.

      »Ich werde Sie jetzt untersuchen, Frau Bergmann«, erklärte er. »Versuchen Sie sich trotz der unbequemen Lage hier zu entspannen. Ich werde ganz vorsichtig sein.«

      Dr. Daniel hielt sein Versprechen und untersuchte Anke dabei nicht nur sehr rücksichtsvoll, sondern auch ausgesprochen gründlich.

      »Verdammt«, murmelte er dann. »Der Muttermund ist schon fast zehn Zentimeter offen.« Er sah Anke an. »Hatten Sie vor dem Blasensprung Wehen?«

      Anke schüttelte den Kopf. »Ich hatte nur den ganzen Tag schreckliche Rückenschmerzen.«

      Dr. Daniel nickte. »Das kommt vor.« Dann überlegte er fieberhaft, was zu tun sei.

      »Hör zu, Wolfgang«, wandte er sich schließlich an Dr. Metzler. »Das Risiko, daß Frau Bergmanns Baby hier im Auto geboren wird, ist zu groß, als daß ich weiterhin vorausfahren könnte. Ich lasse meinen Wagen hier stehen und setze mich zu Frau Bergmann auf den Rücksitz.« Er lächelte die schwangere Frau an. »Das wird zwar ein bißchen eng für uns beide, aber die paar Kilometer werden wir schon aushalten.«

      Dr. Daniel lief zu seinem Auto zurück und sperrte es ab, bevor er sich zu der immer noch liegenden Anke auf den Rücksitz zwängte.

      »Also los«, erklärte er. »Ich sage dir, wie du fahren mußt.«

      Dr. Metzler gab Gas, und in diesem Moment erwachte auch Rainer. Ein wenig verwirrt sah er sich um.

      »Wo… bin ich?« brachte er mühsam hervor.

      Dr. Metzler lächelte. »Auf dem Weg ins Krankenhaus.« Er deutete mit einer flüchtigen Kopfbewegung nach hinten. »Deine Frau wird in Kürze entbinden.«

      Rainer erschrak zutiefst, und in diesem Moment war er auch hellwach.

      »Keine Panik, Rainer«, versuchte Dr. Daniel ihn zu beruhigen. »Noch haben wir alles im Griff.« Dabei verschwieg er seine Sorgen, denn die Wehen kamen in immer kürzeren Abständen.

      »Nicht pressen, Frau Bergmann«, bat er leise, als er bemerkte, daß die junge Frau auf die Endphase der Geburt zusteuerte. »Versuchen Sie, in kurzen Stößen durch den Mund zu atmen, wenn die nächste Wehe kommt.« Er zwang sich zu einem Lächeln. »Hecheln nennt man das, und ich nehme an, Sie haben es in der Geburtsvorbereitung gelernt.«

      Anke nickte, doch es gelang ihr nicht, der Aufforderung des Arztes Folge zu leisten. Dazu war der Preßdrang viel zu stark.

      »Wolfgang, wenn du nicht bald die Klinik erreichst, dann müssen wir als Geburtsort dein Auto angeben«, versuchte Dr. Daniel einen etwas makabren Scherz.

      »Wir sind gleich da«, entgegnete Dr. Metzler und lenkte den Wagen mit bewundernswerter Ruhe durch den immer noch regen Verkehr. »Vorausgesetzt, deine Beschreibung war richtig.«

      Doch da tauchte der Klinikbau schon vor ihnen auf. Dr. Metzler bog in die Einfahrt, die zur Notaufnahme führte, und hier warteten auch schon zwei Pfleger mit einer fahrbaren Trage. Im Laufschritt wurde Anke in den Kreißsaal gefahren, und Rainer, der noch unter den Nachwirkungen des Beruhigungsmittels litt, hatte Mühe, den beiden Pflegern zu folgen.

      Und dann ging alles blitzschnell. Die Hebamme hatte nicht einmal Zeit, das junge Paar zu begrüßen, denn der neue Erdenbürger drängte, mit aller Macht ans Licht der Welt.

      »Na, du hattest es aber eilig«, erklärte die Hebamme, als sie das winzige Baby auf Ankes Bauch legte. »So etwas ist mir bisher nur einmal passiert – allerdings bei einer Frau, die ihr sechstes Kind erwartete.«

      Mit einem seligen Lächeln betrachtete Anke das noch ein wenig zerknautschte Gesichtchen, dann streichelte sie mit einem Finger über das Büschelchen dunkler Haare, bevor sie zu Rainer aufblickte, der noch immer atemlos neben ihr saß.

      »Ist es nicht ganz reizend?« flüsterte sie.

      Rainer konnte nur nicken. Er begriff nicht, wie alles so schnell hatte gehen können.

      »Es hieß doch immer, daß es Stunden dauern würde«, begann er leise. »Und jetzt… beinahe hätten wir die Klinik nicht mehr erreicht.«

      Anke lächelte. »Meine Rückenschmerzen – das waren Wehen. Dr. Daniel hat gesagt, das käme gelegentlich vor.«

      Für eine Erwiderung blieb Rainer keine Zeit, denn jetzt kam die Hebamme wieder herein, die sich für eine Weile diskret zurückgezogen hatte, um Eltern und Kind ein wenig allein zu lassen.

      »Und?« fragte sie. »Was haben wir? Ein Mäderl oder einen Bub?«

      Anke lachte. »Wir hatten noch keine Zeit, um nachzusehen.«

      Resolut trat die Hebamme an ihr Bett. »Das haben wir gleich.« Und dann half sie Anke, das Geschlecht ihres Kindes zu erforschen.

      »Ein Mäderl!« verkündete die Hebamme, während ihr rundes Gesicht von einem herzlichen Lächeln erhellt wurde. »Na ja, ich hab’s mir gleich gedacht. Die Buben haben’s meistens nicht so eilig.« Sie sah Rainer an. »Und so, wie der Papa strahlt, hat sich damit sein größter Wunsch erfüllt.«

      Rainer nickte. »Stimmt. Ich wollte ein Mädchen, aber über einen Jungen hätte ich mich genauso gefreut. Schließlich ist es doch unser Kind.«

      *

      Währenddessen saßen Dr. Daniel und Dr. Metzler auf einer schmalen Bank vor der Entbindungsstation.

      »Also, Wolfgang, jetzt haben wir Zeit«, meinte Dr. Daniel. »Erzählst du mir, was heute geschehen ist?«

      Dr. Metzler atmete tief durch. »Nicht erst heute, Robert. Angefangen hat die ganze Geschichte vor ein paar Tagen. Rainer und ich begegneten uns, als ich gerade vom Makler kam. Ich möchte möglichst bald eine eigene Wohnung, aber das nur nebenbei.« Er zuckte die Schultern. »Wir kamen natürlich auf die CHEMCO zu sprechen, und… ich gebe zu, daß ich mich anfangs ein wenig feindselig verhalten habe.«

      Mißbilligend schüttelte Dr. Daniel den Kopf. »Du warst schon immer ein Hitzkopf, Wolfgang.«

      »Jetzt nicht mehr«, wehrte Dr. Metzler ab. »Ich habe in den vergangenen Jahren hart an mir gearbeitet und kann mich normalerweise gut beherrschen, aber als ich Rainer sah… plötzlich kam alles wieder hoch – der Tod meines Vaters, die vielen Probleme, die auf meine Mutter eingestürmt sind, als sie mit meinen beiden Schwestern und mir allein dagestanden hat und…« Er winkte ab. »Es ist alles längst vorbei, aber… dem alten Bergmann kann ich nicht verzeihen.«

      Dr. Daniel nickte. »Das kann ich mir vorstellen, allerdings – es ist niemandem geholfen, wenn du dich nur deinem Haß hingibst.«

      »Das will ich auch nicht«, erwiderte Dr. Metzler, dann versuchte er, den verlorenen Faden wider aufzugreifen. »Es gelang Rainer und mir, zu einem einigermaßen normalen Gespräch zu finden, und ich habe ihn gefragt, ob ich mir das Werk mal anschauen dürfte. Das haben wir heute getan.«

      »Was deinen Haß auf die Bergmanns nicht unbedingt besänftigt hat«, vermutete Dr. Daniel.

      »Du sprichst in der Mehrzahl«, stellte Dr. Metzler fest. »Aber mein Haß beschränkt sich auf Martin Bergmann. Rainer ist an der ganzen Misere unschuldig. Sein Vater hat das Werk herunterkommen lassen, und die Firma, die Rainer in aller Eile beauftragen mußte, hat mangelhaft gearbeitet. Das Werk ist in einem miserablen Zustand, und es wäre unverantwortlich, dort irgend jemanden arbeiten zu lassen.«

      »Das heißt, daß Rainer Konkurs anmelden muß«, meinte Dr. Daniel, doch Dr. Metzler schüttelte den Kopf.

      »Nicht unbedingt«, entgegnete er. »Rainer ist mit seinen Nerven am Ende. Als wir das Werk verließen, war er so fix und fertig, daß ich ihm ein Beruhigungsmittel spritzen mußte. Es ist nämlich nicht nur die CHEMCO, die ihn aufreibt, sondern vor allem sein Vater. Obwohl er Rainer offiziell die Leitung

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