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von deiner Seite erwartet. Etwas Gutes wird es wohl kaum sein«, fügte er hinzu.

      Dr. Metzler bedachte ihn mit einem langen Blick.

      »Hältst du mich für ein Ungeheuer? Hör zu, Rainer, du hast letzten Mittwoch die Erinnerung an unsere Freundschaft heraufbeschworen, das läßt mich nicht kalt. Andererseits habe ich eine große Wut auf deinen Vater, aber die habe ich ja schon seit über zwanzig Jahren. Und daß ich ihm nie verzeihen werde, habe ich ernst gemeint.«

      »Und daß du mich zwingen wirst, das Werk zu schließen – das hast du auch ernst gemeint.«

      »Ja«, gab Dr. Metzler unumwunden zu. »Allerdings nur, wenn du auch so stur sein solltest wie dein Vater. Ich werde nicht zulassen, daß in diesem verflixten Werk noch mehr Menschen ums Leben kommen.«

      Mit einem trockenen Aufschluchzen wandte sich Rainer ab. »Verdammt, das will ich doch auch nicht! Aber ich weiß nicht, was ich noch tun soll! Ich bin am Ende… ich kann nicht mehr!«

      Bestürzt über diesen unerwarteten Ausbruch trat Dr. Metzler zu seinem einstigen Freund und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

      »Mensch, Rainer, was ist denn los?« fragte er besorgt.

      Mit einer Hand wischte sich Rainer über die Stirn. Es war eine Geste, die seine ganze Niedergeschlagenheit ausdrückte.

      »Ich kann nicht mehr«, wiederholte er leise. »Ich bin mit meinen Nerven am Ende. Meine Arbeiter streiken seit fast drei Wochen.« Er winkte ab. »Sie haben ja auch vollkommen recht. Komm mit!«

      Er ging Dr. Metzler voran in die Firma und die Treppe hinunter.

      »Da, schau dir das an«, verlangte er und wies auf die spröden, rissigen Kellerleitungen.

      Dr. Metzler glaubte seinen Augen nicht zu trauen.

      »Das ist ja haarsträubend!« erklärte er, dann wandte er sich mit zornigem Blick Rainer zu. »Wann wurden diese Leitungen zum letzten Mal erneuert? Nach Papas Tod?«

      Rainer schüttelte den Kopf. »Vor einem Vierteljahr.«

      Ungläubig starrte Dr. Metzler ihn an. »Wie bitte?«

      »Du hast richtig gehört. Helmut Wenger ist seit ungefähr drei Jahren Betriebsratsvorsitzender. Er hat meinen Vater immer wieder gedrängt, längst fällige Reparaturen durchführen zu lassen. Aber du kennst meinen Vater ja. Er hat sich geweigert. In seinen Augen waren keine Reparaturen nötig. Dann habe ich geheiratet und das Werk übernommen. Ich sagte zu, daß ich die Arbeiten ausführen lasse, doch es war keine anständige Firma zu bekommen. Die Arbeiter, allen voran Helmut Wenger, glaubten natürlich, daß das nur Ausflüchte seien und ich so weitermachen würde, wie mein Vater aufgehört hat. Daraufhin hat mir Wenger das Messer auf die Brust gesetzt. Er ließ mir eine Woche Zeit, um eine Firma mit den nötigen Arbeiten zu beauftragen. Ich habe alles versucht, um diese Frist zu verlängern, doch erfolglos. Also habe ich die nächstbeste Firma mit den Arbeiten beauftragt.« Er wies auf die Kellerleitungen. »Das ist das Resultat. Unmittelbar nach Abschluß der Arbeiten hat es einen Unfall gegeben – glücklicherweise keinen schlimmen, aber als Folge davon sind meine Arbeiter in Streik getreten. Sie weigern sich, eine Firma zu betreten, in der sie ständig in Gefahr sind. Und ich kann es ihnen nicht verdenken.«

      Dr. Metzler fühlte unwillkürlich Mitleid.

      »Warum beauftragst du keine andere Firma?« wollte er wissen.

      Wieder seufzte Rainer. »Weil mir die Hände gebunden sind.« Er senkte den Kopf. »Mein Vater hat mir zwar die Firmenleitung übergeben, aber zur Ruhe gesetzt hat er sich noch lange nicht. Und er ist der Meinung, ich hätte für Reparaturen, die nicht nötig waren, viel zuviel Geld ausgegeben. Deshalb hat er mir jetzt die Konten sperren lassen,«

      Fassungslos schüttelte Dr. Metzler den Kopf. »Das ist doch…« Er beendete den Satz nicht.

      »An dem Streik gibt er ebenfalls mir die Schuld«, fuhr Rainer leise fort. »Er behauptet, ich würde meine Leute nicht bei der Stange halten. Er beschimpft und beleidigt mich… er macht mir das Leben zur Hölle. Und mit dem Baby macht er es genauso. Es soll nicht in der Klinik geboren werden, sondern zu Hause, aber… ich habe Angst um Anke und… um das Kind…« Er stockte. In seinem Kopf ging plötzlich alles durcheinander. Er war nicht mehr fähig, einen klaren Gedanken zu fassen.

      Dr. Metzler bemerkte sofort, was mit Rainer los war. Die Nervenanspannung, der er offenbar seit Monaten unterlag, drohte zuviel für ihn zu werden.

      »Komm mit, Rainer«, erklärte Dr. Metzler und nahm ihn gleichzeitig mit energischem Griff am Arm, um seiner Aufforderung mehr Gewicht zu verleihen.

      »Wo bringst du mich hin?« fragte Rainer, obwohl es ihn kaum interessierte. Er fühlte sich müde und ausgelaugt. In den vergangenen Monaten war zuviel auf ihn eingestürmt. Der wochenlange Streik seiner Arbeiter und die ständigen Querelen mit seinem Vater hatten ihn zermürbt. Dazu kam die Sorge um Anke und das Baby. Dr. Daniel sagte zwar, daß alles in bester Ordnung sei, doch Rainer wurde eben zum erstenmal Vater, und er war nervös wie alle anderen werdenden Väter dieser Welt.

      »Nur zu meinem Auto«, beantwortete Dr. Metzler Rainers Frage.

      Sie erreichten den Parkplatz, und der junge Arzt schloß die Beifahrertür seines Wagens auf.

      »Setz dich, Rainer«, bat er, dann öffnete er den Kofferraum und holte seine Bereitschaftstasche heraus. Rasch und geschickt zog er eine Spritze auf, schob mit einer Hand Rainers Hemdärmel nach oben und desinfizierte eine Stelle am Oberarm. Und noch bevor Rainer etwas sagen oder fragen konnte, hatte Dr. Metzler den Muskel schon mit Daumen und Zeigefinger zusammengepreßt, so daß ein kleiner Berg entstand, dann stach er zu, machte die Aspirationsprobe und drückte den Kolben schließlich langsam nach unten.

      »Hat’s weh getan?« fragte er, während er einen Tupfer auf die Einstichstelle drückte, die Nadel herauszog und mit dem Tupfer das Medikament in kreisförmigen Bewegungen im Muskelgewebe verteilte.

      Rainer schüttelte den Kopf. »Nein, überhaupt nicht.« Dann brachte er sogar ein Lächeln zustande. »Ich glaube, du bist ein guter Arzt.«

      Auch Dr. Metzler lächelte. »Danke.« Er beugte sich hinunter und betätigte einen Hebel, der die Lehne des Beifahrersitzes nach hinten sinken ließ. »So, Rainer, jetzt mach es dir bequem. Du wirst gleich sehr müde werden.«

      Rainer fühlte, wie seine Lider schwer wurden.

      »Ich habe schon seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen«, murmelte er.

      »Das wirst du jetzt nachholen«, meinte Dr. Metzler. »Ich bringe dich nach Hause.«

      In diesem Moment fuhr Rainer hoch. Die Müdigkeit schien wie weggeblasen.

      »Anke!« stieß er hervor. »Mein Gott, ich darf jetzt nicht schlafen! Es kann doch jeden Augenblick soweit sein.«

      Mit einer sanften, aber bestimmten Geste drückte Dr. Metzler ihn auf den Sitz zurück.

      »Du hast anscheinend schon wieder vergessen, daß ich Arzt bin«, meinte er. »Und keine Angst, ich werde in der Nähe bleiben, solange du schläfst. Deine Anke entbindet in der Klinik, verlaß dich darauf.«

      Die Worte beruhigten Rainer. Langsam wandte er den Kopf.

      »Glaubst du, daß wir… daß wir irgendwann doch wieder Freunde sein können?«

      Dr. Metzler warf ihm einen kurzen Blick zu, dann ließ er den Motor an und verließ den Parkplatz.

      »Ich kann dir nichts versprechen«, erklärte er mit einem kaum sichtbaren Lächeln, »aber ich glaube schon.«

      *

      Anke lag kaum eine halbe Stunde auf dem Sofa im Wohnzimmer, als die Tür aufgerissen wurde und ihr Schwiegervater hereintrat.

      »Warum kommt ihr nicht zum Kaffee hinunter?« herrschte er Anke an, dann sah er sich mit zornigem Blick um. »Wo ist Rainer?«

      Ein wenig mühsam richtete sich Anke auf. »Er ist ins Werk gefahren, und ich habe so entsetzliche Rückenschmerzen,

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