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Augen sprühten Zornesblitze, doch er kannte seinen Sohn gut genug, um zu wissen, daß hier jede weitere Diskussion zwecklos war. Und so drehte er sich ohne ein Wort um und verließ den Raum.

      »Hast du vorhin gesagt, wir hätten hier unsere eigenen vier Wände?« fragte Anke.

      Rainer seufzte. »Ich weiß schon, mein Vater versteht es ausgezeichnet, allgegenwärtig zu sein. Und leider macht er auch vor unserer Intimsphäre nicht halt. Aber wenn das so weitergeht, werde ich irgendwann die Konsequenzen ziehen und dieses Haus verlassen.« Er trat zu seiner Frau und nahm sie liebevoll in die Arme. »Wir lieben uns, und wir brauchen keine Riesenvilla, um glücklich zu sein. Notfalls quartieren wir uns irgendwo zur Untermiete ein, wenn mein Vater es gar zu bunt treibt.«

      Anke lachte. »Der Chef der CHEMCO in Untermiete. Mein lieber Rainer, das glaubst du wohl selbst nicht.«

      Er grinste. »Mit dir würde ich sogar in eine Hundehütte ziehen, Liebling.« Dann wurde er ernst. »Und was den Chef der CHEMCO betrifft – eine Ehre ist das nicht gerade. Dieses Chemiewerk steht mir manchmal bis obenhin. Mein Vater hat alles verlottern lassen, und ich kann mich jetzt damit herumschlagen.«

      Zärtlich streichelte Anke durch seine dichten hellbraunen Locken. »Drohen deine Arbeiter noch immer mit Streik?«

      Rainer schüttelte den Kopf. »Sie haben aufgehört zu drohen. Seit einer Woche streiken sie wirklich.« Er winkte ab. »Sie haben ja sogar recht. Die Sicherheitsvorkehrungen in der Firma sind unter aller Kritik. Und die nötigen Reparaturen haben mich bisher schon ein halbes Vermögen gekostet. Aber das Werk ist so riesig… ich kann nicht von heute auf morgen alles in Ordnung bringen, was mein Vater jahrelang versäumt hat.« Wieder seufzte Rainer, dann zwang er sich zu einem Lächeln. »Aber du sollst dir darüber keine Gedanken machen, Liebling. Wichtig ist nur, daß du ein gesundes Baby zur Welt bringst.«

      »Einen Jungen«, verbesserte Anke mit leiser Bitterkeit.

      Rainer beugte sich zu ihr und küßte sie zärtlich. »Du weißt ganz genau, daß es mir völlig egal ist, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird.«

      »Dir schon, aber deinem Vater nicht.«

      »Es ist unser Kind, Anke, nicht das meines Vaters. Und seine Meinung ist mir gleichgültig. Er hat sich um mich auch nie gekümmert.« Wieder küßte er seine Frau. »Ich freue mich auf unser Baby.« Er zögerte einen Moment. »Soll ich ehrlich sein, Anke? So ganz insgeheim wünsche ich mir ein Mädchen… ein Mädchen mit deinen Augen und deinem liebevollen Wesen.«

      Unwillkürlich stiegen Anke bei diesen Worten Tränen in die Augen.

      Ach, Rainer«, murmelte sie. »Das hast du lieb gesagt.«

      »Ich habe ausgesprochen, was in mir vorgeht.«

      Da schlang Anke beide Arme um seinen Nacken.

      »Ob Mädchen oder Junge – wir werden jedenfalls ein wundervolles Baby haben.«

      *

      Es war für Dr. Wolfgang Metzler ein eigenartiges Gefühl, nach zwölf Jahren zum ersten Mal wieder deutschen Boden zu betreten, und plötzlich wurde er unsicher. Hatte er mit dieser Rückkehr wirklich das Richtige getan? Unwillkürlich blickte er zu der riesigen Maschine zurück, die ihn von China hierhergebracht hatte.

      Amerika, Japan, China – er hatte in den vergangenen zwölf Jahren eine lange Reise hinter sich gebracht. Und er hatte eine Menge gelernt, aber das hatte er ja auch gewollt. Schließlich hatte er in diesen zwölf Jahren nur für seinen großen Traum gearbeitet – den Traum von einer eigenen Klinik. Und diese Klinik sollte nicht irgendwo stehen, sondern in seinem Heimatort Steinhausen.

      Und plötzlich wußte Dr. Metzler, daß er das Richtige getan hatte. Es war Zeit gewesen, nach Hause zurückzukehren. Immerhin war er mittlerweile neununddreißig, und wenn er sich seinen großen Traum erfüllen wollte, dann mußte er sich ranhalten.

      Die Flughafenlinie brachte Dr. Metzler zum Hauptbahnhof, und hier hatte er Anschluß nach Steinhausen. Die Landschaft huschte an ihm vorbei, und Dr. Metzler bemerkte, wieviel sich in den vergangenen Jahren verändert hatte.

      Um so erstaunter war er, als er in Steinhausen den Zug verließ. Es

      schien, als wäre die Zeit hier stehengeblieben. Sicher, es gab ein paar neue Häuser, aber seinen ursprünglichen Charakter hatte sich das gute alte Steinhausen bewahrt.

      Unwillkürlich glitt Dr. Metzlers Blick zu den schlanken Kaminen der Chemiefabrik, die so gar nicht in dieses idyllische Vorgebirgsdörfchen passen wollte. Dabei gruben sich tiefe Falten in seine Stirn, und rasch wandte er den Blick wieder ab.

      Er hob seine Reisetasche auf und ging die Hauptstraße entlang. Sein übriges Gepäck würde ihm in einigen Tagen nachgeschickt werden.

      Dr. Metzler war fast allein auf der Straße. In Steinhausen herrschte die übliche Sonntagsruhe, und der junge Arzt war froh darüber. Er wäre ungern einer Menge Menschen begegnet, die ihn kannten. Seine Heimkehr sollte ruhig verlaufen – so ruhig, wie sein Abschied es einst gewesen war.

      Als Dr. Metzler den Kreuzbergweg erreichte, stockte sein Schritt. Eigentlich sollte er zuerst nach Hause gehen, andererseits erwartete ihn niemand. Er hatte seine Rückkehr nicht angekündigt. Eine ganze Weile blieb er bei der Weggabelung stehen und kämpfte mit sich, ehe er die steile Auffahrt hinaufging, die zur Villa von Dr. Daniel führte.

      Und dann stand er vor der schweren eichenen Eingangstür und zögerte wieder.

      Dr. Robert Daniel, Arzt für Gynäkologie, stand auf dem großen Messingschild neben der Tür, und darunter waren die Sprechzeiten verzeichnet.

      Dr. Metzler atmete tief durch, dann drückte er den Klingelknopf neben dem Schildchen Privat. Es dauerte ein paar Minuten, bis die Tür geöffnet wurde, dann stand er Dr. Daniel gegenüber.

      »Wolfgang!« stieß der Arzt hervor. »Meine Güte, bist du’s wirklich?«

      Dr. Metzler nickte. »Ja, Herr Dr. Daniel, die Heimat hat mich wieder.«

      »Na, das ist eine Überraschung«, meinte Dr. Daniel, und man merkte ihm an, wie sehr er sich freute, den jungen Mann zu sehen. »Komm herein, Wolfgang.« Er stockte. »Darf ich überhaupt noch du sagen?«

      Dr. Metzler lächelte. »Natürlich, Herr Dr. Daniel. Immerhin kennen Sie mich ja schon seit dreißig Jahren, und nach dem Tod meines Vaters waren Sie für mich wie ein großer Bruder, mit dem ich über alles sprechen konnte.«

      Dr. Daniel war gerührt. Obwohl er sich um den damals fünfzehnjährigen Jungen ein wenig gekümmert hatte, hatte er nicht geahnt, daß er für Wolfgang so wichtig gewesen war.

      »Das freut mich zu hören, Wolfgang.« Er zögerte einen Moment, dann meinte er: »Da du ja nur elf Jahre jünger bist als ich, sollten wir beiderseits zum Du übergehen.« Er streckte die rechte Hand aus. »Sag einfach Robert zu mir, ja?«

      Dr. Metzler schlug ein. »Von Herzen gern, Robert.«

      »So, und jetzt machen wir es uns ein bißchen gemütlich«, erklärte er, dann warf er einen Blick auf Wolfgangs Reisetasche. »Ich nehme an, du warst noch nicht zu Hause, oder?«

      Der junge Arzt schüttelte den Kopf. »Es hat mich gleich hier heraufgezogen.«

      Wieder war Dr. Daniel gerührt.

      »Das darfst du deiner Mutter aber nicht sagen«, erwiderte er. »Sie wäre sehr enttäuscht.«

      Dr. Metzler zögerte sekundenlang. Natürlich hatte Dr. Daniel recht. Er hätte wirklich zuerst nach Hause gehen müssen.

      »Ich mache uns jetzt Kaffee«, schlug Dr. Daniel vor, »und nachher gehst du heim, einverstanden?«

      Dr. Metzler lächelte. »Eine gute Idee.« Dann sah er sich suchend um. »Sind Sie… ich meine, bist du ganz allein?«

      Dr. Daniel nickte. »Stefan und Karina haben eine Wohnung in München, und meine Schwester Irene hat sich mit der Haushälterin des Pfarrers zum Kaffeeplausch verabredet.« Er

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