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ganze Weile wach.«

      »Das habe ich mir gedacht, und das ist auch der Grund für meinen Anruf. Ich wollte nicht, daß Sie bis neun Uhr warten müssen, ehe Sie das Ergebnis der Untersuchung erfahren. Gerade habe ich die Röntgenbilder bekommen, und es ist tatsächlich so, wie die Ärzte, die Sie damals am Blinddarm operierten, gesagt haben. Ihre Eileiter weisen schwere Verwachsungen auf.«

      Niedergeschlagen ließ sich Anke auf den am nächsten stehenden Stuhl fallen.

      »Schwere Verwachsungen«, wiederholte sie leise. »Heißt das, daß… daß eine Operation gar nicht möglich ist?«

      »Aber nein, Frau Bergmann«, wehrte Dr. Daniel sofort ab. »Das heißt es keineswegs. Um diese Zeit kann ich in der Klinik von Dr. Sommer noch nicht anrufen, aber ich werde noch heute vormittag versuchen, ihn zu erreichen. Ich sage Ihnen Bescheid, sobald ich einen Termin vereinbart habe.«

      »Ja, Herr Dr. Daniel, danke«, murmelte Anke, verabschiedete sich von dem Arzt und legte auf. Als sie sich umdrehte, stand Rainer in banger Erwartung im Rahmen der Schlafzimmertür.

      »Ich habe schwere Verwachsungen am Eileiter«, erzählte Anke mit fast tonloser Stimme. »Dr. Daniel wird einen Termin für mich vereinbaren. Ich muß operiert werden.«

      »Und? Glaubt er, daß alles in Ordnung kommt?«

      Anke hörte den drängenden Unterton aus seiner Stimme heraus und wußte, welche Antwort er sehnlichst erhoffte.

      »Ja, Rainer, es scheint so, aber… wenn ich ehrlich bin…« Sie stockte für einen Moment. »Schwere Verwachsungen.« Dann schlang sie ihre Arme um Rainers Hüfte und drückte sich fest an ihn. »Ich fürchte, wir müssen uns damit abfinden, daß ich unfruchtbar bin und bleibe.«

      »Gib die Hoffnung nicht auf, Liebling«, meinte Rainer, obwohl auch er zu zweifeln begann. Ankes Worte hatten ihn sehr ernüchtert. Es gab so viele Ehepaare, die keine Kinder bekommen konnten. Warum sollte sich ausgerechnet bei ihnen alles zum Guten wenden?

      *

      Erst am späten Vormittag gelang es Dr. Daniel, seinen Freund Dr. Georg Sommer an den Apparat zu bekommen.

      »Mein lieber Schorsch, bei dir ist anscheinend die Hölle los«, erklärte Dr. Daniel zur Begrüßung.

      »Robert! Na, das nenne ich aber eine Überraschung!« Man hörte Dr. Sommer an, wie sehr er sich über den unerwarteten Anruf freute. »Wie geht’s denn, alter Junge?«

      »Also hör mal, das ›Alt‹ will ich aber überhört haben«, entgegnete Dr. Daniel schmunzelnd. »Ich befinde mich in der Blüte meiner Jahre.«

      Dr. Sommer lachte. »Weiß ich, weiß ich. Aber ich nehme an, daß du dich nicht ohne Grund bei mir meldest.«

      Schlagartig wurde Dr. Daniel ernst. »Stimmt, Schorsch, ich habe einen schwierigen Fall hier in meiner Praxis. Es handelt sich um eine vierundzwanzigjährige Frau, die schwere Eileiterverwachsungen hat. Und das offensichtlich schon seit etwa zehn Jahren. Zum ersten Mal wurden sie bei einer Blinddarmoperation festgestellt. Damals war sie fünfzehn. Letzten Donnerstag habe ich eine HSG gemacht, und die Röntgenbilder haben die Diagnose der Ärzte von damals bestätigt.«

      Eine Weile war Schweigen am anderen Ende der Leitung, dann fragte Dr. Sommer: »Du hast ihr doch wohl keine falschen Hoffnungen gemacht?«

      »Doch«, gestand Dr. Daniel. »Im Vertrauen auf deine Fähigkeiten habe ich das getan.«

      »Ziemlich leichtsinnig von dir, alter Junge. Aber gut, ich werde natürlich mein Möglichstes tun.«

      Dr. Daniel hörte das dezente Rascheln von Papier. Offenbar blätterte sein Freund im Terminkalender herum.

      »In zwei Wochen habe ich einen Termin frei«, erklärte Dr. Sommer dann.

      »Ich weiß, es ist unverschämt, aber… geht es nicht etwas früher?« fragte Dr. Daniel.

      Sein Freund seufzte. »Mein lieber Robert, warten war noch nie deine Stärke. Also sag schon, welchen Tag hast du ins Auge gefaßt? Gestern?«

      Dr. Daniel mußte lachen. »Nein, Schorsch, keine Angst, auch ich erwarte von dir keine Wunder.« Er zögerte den Bruchteil einer Sekunde. »Wie wär’s mit Mittwochnachmittag? Da ist meine Praxis geschlossen und… na ja, ich will ehrlich sein: Ich würde die junge Frau gern nach München begleiten.«

      »Mittwochnachmittag«, seufzte Dr. Sommer. »Da zwingst du mich zu gewaltigen Überstunden. Soll ich dir sagen, was am Mittwoch alles los ist?« Er beantwortete seine Frage gleich selbst. »Besser nicht, sonst mußt du dich noch mit einem schlechten Gewissen herumschlagen.«

      »Wenn es dich beruhigt, das habe ich bereits. Also, bist du einverstanden?«

      »Was bleibt mir schon anderes übrig? Mittwochnachmittag, sagen wir… gegen vierzehn Uhr?«

      »Paßt ausgezeichnet, und… danke, Schorsch. Du hast bei mir einen Gefallen gut.«

      »Ich komme gelegentlich darauf zurück«, versprach Dr. Sommer. »Und wenn ich ehrlich bin – ich freue mich, daß wir uns so bald mal wiedersehen.«

      Sie verabschiedeten sich auf sehr herzliche Weise, dann legte Dr. Daniel auf, um den Hörer jedoch gleich wieder abzunehmen. Er teilte Anke den Termin mit, den er mit Dr. Sommer vereinbart hatte, und bat sie, an diesem Tag gegen Mittag zu ihm in die Praxis zu kommen.

      *

      Anke war entsetzlich nervös, als sie sich am Mittwoch auf den Weg zu Dr. Daniel machte. Ob ihr dieser Arzt in München wirklich helfen konnte? Insgeheim hatte sie kaum Hoffnung, doch einen Versuch war es allemal wert.

      Die Fahrt nach München verlief nahezu schweigend. Dr. Daniel hatte ein paarmal versucht, ein belangloses Gespräch anzuknüpfen, doch Anke war viel zu angespannt, um sich auf irgend etwas anderes als ihr Problem zu konzentrieren. Und sie war heilfroh, als sie die Klinik endlich erreichten und Dr. Daniel seinen Wagen auf dem Parkplatz abstellte.

      Die Klinik war sehr viel kleiner, als Anke es erwartet hatte. Dr. Daniel hielt ihr die Eingangstür auf, dann ging er zielsicher auf den Lift zu. Er schien sich hier bestens auszukennen. Der Lift brachte sie in das dritte Stockwerk, und auch hier mußte Dr. Daniel nicht lange überlegen. Über einen dämmrigen Flur gelangten er und Anke zu einer schweren Eichentür. Daneben war ein schmales Schild befestigt. Dr. Georg Sommer, Chefarzt, stand darauf.

      Dr. Daniel klopfte an.

      »Ja, bitte!» ertönte von drinnen eine tiefe Stimme.

      Der Arzt öffnete die Tür, dann ließ er wieder Anke vorangehen. Im selben Moment erhob sich hinter dem Schreibtisch ein großer, breitschultriger Mann, dem man niemals zugetraut hätte, daß er auf dem Gebiet der Mikrochirurgie sehr erfolgreich arbeitete.

      Anke ergriff die dargebotene Hand, und erst die ausgesprochen feingliedrigen Finger, die so gar nicht zu der Erscheinung des Chirurgen passen wollten, gaben einen Hinweis auf seine diffizile Tätigkeit.

      »Guten Tag, gnädige Frau«, begrüßte er sie. »Sommer ist mein Name.« Und dabei musterte er sie mit wachen blauen Augen, denen nichts verborgen zu bleiben schien. Erst jetzt wandte er sich seinem Freund zu. »Grüß dich, Robert. Schön, dich zu sehen.«

      »Ich freue mich auch, Schorsch«, erklärte Dr. Daniel, dann wies er auf Anke. »Das ist Frau Bergmann.«

      »Bergmann?« wiederholte Dr. Sommer fragend.

      Dr. Daniel nickte. »Rainer Bergmanns Frau.«

      Dr. Sommer lachte auf. »Der Lausbub ist also auch schon verheiratet. Es ist doch noch gar nicht so lange her, seit du mir von seinen vielen Streichen erzählt hast.«

      Dr. Daniel schmunzelte. »Nur so an die dreißig Jahre.«

      Kopfschüttelnd kehrte Dr. Sommer zu seinem Schreibtisch zurück. »Dreißig Jahre. Anscheinend werde ich doch langsam alt.« Er strich durch sein etwas licht gewordenes graumeliertes Haar. »Dabei fühle ich mich noch so jung. Bitte, Frau Bergmann, nehmen Sie Platz«, fügte er dann im selben

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