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schweifte Melissas Blick wie gehetzt durch die Wohnung.

      »Aber putzen und kochen… und die Fenster sind nicht mehr sauber.« Plötzlich fielen ihr tausend Dinge ein, die sie unbedingt noch hätte machen müssen. »Im Keller liegt die Wäsche. Du weißt doch gar nicht…«

      Liebevoll nahm Patrick sie in die Arme. »Angi, Bea und ich schaffen das schon. Und jetzt komm, Liebling, packen wir deinen Koffer.«

      Endlich war Melissa dazu zu bewegen, mit Patrick ins obere Stockwerk zu gehen. Wenige Minuten später kam sie wieder herunter. Ihr Mann folgte mit einer Reisetasche.

      »Ich habe bestimmt etwas vergessen«, erklärte Melissa und fühlte sich dabei schon wieder den Tränen nahe. Vorhin, mit Dr. Daniel im Auto, da war ihr alles noch nicht ganz so schlimm erschienen, aber jetzt… sie wollte zu Hause bleiben, wollte bei Patrick und ihren Kindern Geborgenheit, Liebe und Schutz suchen.

      Dr. Daniel schien zu spüren, was in ihr vorging, denn er ergriff sanft ihren Arm und geleitete sie zur Tür.

      »In spätestens drei Wochen sind Sie wieder zu Hause«, meinte er. »Und heute nachmittag werden Ihr Mann und Ihre Kinder Sie besuchen.«

      »Ja, Melissa, das machen wir ganz bestimmt«, bekräftigte Patrick, während er die Reisetasche in den Kofferraum des Wagens legte, dann küßte er seine Frau zum Abschied sehr liebevoll.

      »Und mach dir um uns keine Sorgen«, wiederholte er noch einmal, dann wandte er sich Dr. Daniel zu und reichte ihm die Hand. »Ich bin Ihnen sehr dankbar für das, was Sie für Melissa tun.«

      »Das ist doch meine Pflicht«, wehrte Dr. Daniel bescheiden ab, aber Patrick schüttelte den Kopf. »Nein, Herr Doktor, das geht weit über Ihre Pflichten hinaus.«

      Derartige Komplimente machten Dr. Daniel immer ein wenig verlegen, und so beeilte er sich, ins Auto zu steigen, dann kurbelte er das Seitenfenster herunter.

      »Ich bringe Ihnen den Wagen nachher wieder zurück«, versprach er.

      »Nicht nötig«, entgegnete Patrick. »Das ist das Auto meiner Frau. Sie können damit ruhig nach Hause fahren. Ich komme am Wochenende mit meinem Bruder zu Ihnen, dann holen wir den Wagen wieder ab.«

      »Dieses Angebot nehme ich gern an«, erklärte Dr. Daniel. »Die Zugverbindung nach Steinhausen ist nämlich nicht gerade die beste.« Er holte seine Brieftasche hervor und entnahm ihr eine Visitenkarte. »Hier ist meine Adresse. Wenn Sie erst mal in Steinhausen sind, dann kann Ihnen jeder den Weg zu meinem Haus zeigen.« Dann verabschiedete er sich, ließ den Motor an und fuhr rückwärts aus der Einfahrt.

      Patrick winkte noch, aber Melissa schien es gar nicht mehr wahrzunehmen. Wie betäubt saß sie neben Dr. Daniel und fühlte sich wie ein Kalb, das zur Schlachtbank geführt wird.

      »Ob ich jemals wieder nach Hause komme?« flüsterte sie aus diesen Gedanken heraus.

      »Aber natürlich, Frau Feller«, bekräftigte Dr. Daniel. »Sie dürfen nicht zu pessimistisch sein. Krebs muß heute kein Todesurteil mehr bedeuten.«

      Melissa nickte zwar, doch Angst und Sorge blieben zurück. Und so verlief die Fahrt zur Thiersch-Klinik schweigend. Dann bog Dr. Daniel in den Parkplatz ein und hielt das Auto an.

      »Den Rest des Weges müssen wir zu Fuß gehen«, erklärte er. »Es ist allerdings nicht sehr weit.«

      Wieder nickte Melissa nur, stieg aus dem Auto und war dankbar, daß Dr. Daniel ihr stützend unter den rechten Unterarm griff. Dann tauchte der weißgetünchte Bau vor ihnen auf, und sekundenlang stockte Melissas Schritt.

      »Meine Güte, die ist ja riesig«, entfuhr es ihr.

      Dr. Daniel lächelte. »Andere Kliniken dürften etwa dreimal so groß sein.«

      Fassungslos schüttelte Melissa den Kopf. »Das kann ich mir gar nicht vorstellen.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Im Augenblick fühle ich mich wie ein Mädchen vom Land, das zum ersten Mal in die Stadt kommt. Aber wissen Sie, ich war noch nie in einem Krankenhaus… jedenfalls in keinem so großen. Angi und Bea kamen in einer kleinen Privatklinik zur Welt. Das hier«, sie wies auf den wuchtigen Klinikbau, »ist für mich einfach utopisch.«

      Dr. Daniel nickte verständnisvoll. »Das kann ich mir vorstellen, Frau Feller.«

      Sie betraten die Klinik durch die sich automatisch öffnenden Doppeltüren und gelangten in eine weitläufige Empfangshalle. Der Auskunftsschalter interessierte Dr. Daniel nicht weiter, schließlich kannte er sich hier aus. Und so geleitete er Melissa in einen dämmrigen Flur. Wenig später erreichten sie das Vorzimmer des Chefarztes. Die Sekretärin wußte schon Bescheid und ließ Dr. Daniel und Melissa gleich in den Nebenraum.

      »Der Herr Professor kommt sofort«, erklärte sie, dann schloß sie die Tür nahezu lautlos hinter sich.

      Es dauerte auch wirklich keine zwei Minuten, bis eben diese Tür sehr schwungvoll aufgerissen wurde und ein kleiner untersetzter Mann Mitte Sechzig hereintrat. Die dicke Hornbrille verlieh ihm ein strenges Aussehen, was von seinem forschen Auftreten noch unterstrichen wurde.

      Er streckte Melissa die Hand entgegen und musterte sie dabei mit durchdringendem Blick.

      »Thiersch«, stellte er sich vor, und Melissa dachte unwillkürlich, daß diese feste, harte Stimme genau zu der Erscheinung des Arztes paßte. Rein instinktiv bekam sie ein wenig Angst vor ihm.

      Jetzt wandte sich der Professor um. »Daniel! Schön, Sie zu sehen.« Die Worte waren sicher freundlich gemeint, klangen aber eher streng.

      »Setzen Sie sich«, erklärte Professor Thiersch in seiner barschen Art, und dabei fühlte sich Melissa an einen Militärfilm erinnert. Dieser Professor hätte eher auf einen Kasernenhof als in eine Klinik gepaßt.

      Ohne eine Aufforderung abzuwarten, reichte Dr. Daniel dem Professor die spärlichen Unterlagen, die er über Melissa Feller besaß.

      »Nicht gerade viel«, meinte Rudolf Thiersch auch schon tadelnd.

      »Ich habe in meiner Praxis leider nicht die Möglichkeit, umfangereichere Untersuchungen durchzuführen«, entgegnete Dr. Daniel. »Die Ultraschalluntersuchungen haben aber eine deutliche Aszites ergeben. Diese Wasseransammlungen haben zur Zunahme des Bauchumfangs geführt und drücken offensichtlich auch schon auf das Zwerchfell. Frau Feller bekommt beim Liegen Atemnot.«

      Professor Thiersch nickte, dann drückte er auf einen Knopf der Gegensprechanlage. »Schicken Sie Scheibler zu mir.« Er wandte sich Dr. Daniel wieder zu. »Ich glaube, Sie haben ihn noch nicht kennengelernt. Der Junge arbeitet seit zwei Jahren als Chirurg bei mir. Erstklassiger Arzt, aber leider ein bißchen zu ehrgeizig.«

      In diesem Moment klopfte es, und gleich darauf trat ein großer schlanker Arzt von Mitte Dreißig herein.

      »Sie haben mich rufen lassen, Herr Professor?«

      Rudolf Thiersch nickte. »Ja, Scheibler. Das hier ist Frau Feller. Sie liegt ab heute auf Ihrer Station. Verdacht auf Eierstockkarzinom, dazu Wasseransammlungen im gesamten Bauchraum. Bringen Sie die Patientin auf ihr Zimmer, und nehmen Sie innerhalb der nächsten Stunde eine Punktion vor. Am Donnerstag werde ich sie operieren. Bis dahin müssen alle vorbereitenden Untersuchungen durchgeführt sein – das heißt, heute noch Blutabnahme und EKG, morgen Sonographie und CT, übermorgen Blasen- und Darmspiegelung.«

      Mit einer knappen Handbewegung zeigte Professor Thiersch an, daß Dr. Scheibler entlassen war. Der junge Arzt beugte sich zu seiner neuen Patientin hinunter.

      »Frau Feller, kommen Sie bitte mit mir?«

      Melissa stand auf, dann warf sie Dr. Daniel einen fast flehenden Blick zu. Und dieser verstand.

      Er trat zu ihr und flüsterte ihr zu: »Keine Angst, Frau Feller, der Professor ist nicht so ruppig, wie er tut. Und er ist ein erstklassiger Arzt.« Dann lächelte er Melissa aufmunternd zu. »Gehen Sie jetzt mit Dr. Scheibler auf die Station. Vielleicht kann ich es einrichten, daß ich Sie vor der Operation noch einmal besuche. Und heute nachmittag kommen Ihr Mann und Ihre Kinder zu Ihnen. Daran sollten Sie jetzt

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