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starrte Gerhard seine Tochter an.

      »Wie bitte?« brachte er mühsam hervor. »Soll das etwa heißen, daß du es weißt?«

      »Ach, Vati, die heutige Jugend ist nun einmal aufgeklärt. Nimm zum Beispiel Charly und mich. Wenn wir uns küssen, dann hat er ganz bestimmt keine nackten Schultern. Das wäre ja auch…«

      Gerhard hatte ein paar Sekunden gebraucht, um den letzten Satz seiner Tochter voll aufzunehmen.

      »Charly und du…«, wiederholte er konsterniert, dann stieß er voller Entsetzen hervor: »Monika! Du bist erst vierzehn!«

      »Fast fünfzehn«, verbesserte Monika ihn rasch. »In zwei Wochen habe ich Geburtstag. Außerdem ist das alles rein platonisch.«

      Noch völlig geschockt schüttelte Gerhard den Kopf. »Woher willst du wissen, was platonisch ist?«

      Monika winkte ab. »Das lernt man heutzutage schon in der ersten Klasse. Hör mal, Vati, an ein bißchen Schmusen im Kino ist doch wirklich nichts Schockierendes. Das machen die anderen schon mit zwölf. Ich bin da ohnehin ein Spätzünder.«

      »Na, das scheint mir nicht so«, entgegnete Gerhard noch immer fassungslos. »Diesen Charly würde ich ganz gern mal kennenlernen.«

      »Aber, Vati, den kennst du doch. Karl Meister. Der coole Typ von gegenüber.«

      Gerhard erinnerte sich an einen schlaksigen Jungen, dem ständig Arme und Beine im Weg zu sein schienen.

      »Ach, der ist also cool.«

      Monikas Augen bekamen einen schwärmerischen Glanz. »Ja, und wie! Du, wenn der in die Saiten seiner Gitarre haut – das gibt einen irren Sound. Meine ganze Klasse himmelt ihn an. Aber er mag nur mich.«

      »Na ja, das ist immerhin was«, meinte Gerhard. »Und mit dem schmust du da einfach so herum.«

      Monika errötete. »Ach weißt du, Vati, da hab’ ich vielleicht ein bißchen übertrieben. Charly hilft mir immer bei den Englisch-Aufgaben.« Sie begann erneut zu schwärmen. »Er ist das reinste Sprachgenie. Hat lauter Einsen in Englisch. Und weil ich in der letzten Arbeit auch eine Eins geschrieben habe, hat er mich ins Kino eingeladen. Na ja, und bevor er mich nach Hause gebracht hat, hat er mich geküßt.« Sie deutete auf ihre rechte Wange. »Da hin.«

      Gerhard atmete auf. Wenn das alles war, dann brauchte er sich wohl doch keine Sorgen zu machen.

      »Bist du ein bißchen verliebt in den Burschen?« wollte er dennoch wissen.

      Wieder errötete Monika. »Ja, ich glaube schon.« Und dann geriet sie erneut ins Schwärmen. »Weißt du, Vati, er ist ein Typ wie David Hasselhoff.«

      Unwillkürlich mußte Gerhard schmunzeln. Liebe machte anscheinend tatsächlich blind. Dieser Karl Meister hatte mit David Hasselhoff in etwa so viel Ähnlichkeit wie ein Elefant mit einem Känguruh. Aber schließlich hatte Gerhard damals, als er etwa in Monikas Alter gewesen war, auch ein Mädchen aus der Parallelklasse angeschwärmt, und er hätte jeden Eid geschworen, daß dieses Mädchen eine Zwillingsschwester von Marilyn Monroe gewesen wäre. Als ihm Jahre später ein Foto vom Schulfest in die Finger geraten war, hatte er sich gefragt, wo er eigentlich damals seine Augen gehabt hatte. In ein paar Jahren würde es Monika mit ihrem Charly vermutlich genauso ergehen.

      *

      Patrick Feller war erstaunt, als Melissa in Begleitung eines fremden Mannes nach Hause kam. Aus irgendeinem Grund hatte er es im Büro nicht mehr ausgehalten und deshalb seine vielen Überstunden genommen, um nach Hause fahren zu können.

      »Das ist Dr. Daniel«, stellte Melissa ihren Begleiter sofort vor, und dann schlang sie beide Arme um Patricks Nacken. Ihre Sicherheit von vorhin war wie weggeblasen. Jetzt war sie nur noch schwach und hilflos.

      »Ich habe Krebs«, stieß sie unter Tränen hervor. »Patrick, ich… ich muß ins Krankenhaus… und ich… ich habe Angst! Ich habe Angst, daß ich sterben muß!«

      Patrick erschrak zutiefst, und sein hilfesuchender Blick blieb an Dr. Daniel hängen. In den weit aufgerissenen Augen standen Entsetzen und Angst.

      »Es stimmt, Herr Feller«, erklärte Dr. Daniel ruhig. »Ich muß Ihre Frau wegen Verdachts auf Eierstockkrebs in die Klinik überweisen, aber ich habe es Ihrer Frau schon gesagt – die Krebsforschung hat in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht, und es besteht durchaus Hoffnung, daß Ihre Frau geheilt wird. Die Thiersch-Klinik ist führend auf diesem Gebiet.«

      Patrick runzelte die Stirn. »Sprechen Sie von Professor Thiersch?«

      Dr. Daniel nickte. »Sie kennen ihn?«

      »Kennen wäre zuviel gesagt. Ich habe in den letzten Wochen einiges über ihn gelesen – eher zufällig. Er soll an der Forschung für ein neues Krebsmittel beteiligt gewesen sein. Tax… Tex… ach, ich weiß nicht mehr genau, wie es hieß.«

      »Taxol«, half Dr. Daniel, dann nickte er. »In den Vereinigten Staaten gibt es dieses Medikament schon eine ganze Weile, aber in Deutschland wurde es erst jetzt auf den Markt gebracht. Man erzielt sehr große Erfolge damit. Aber das ist für Ihre Frau im Moment noch uninteressant. Sie muß auf alle Fälle erst mal operiert werden, und vielleicht ist damit dann schon alles ausgestanden.«

      Dr. Daniel wußte zwar, daß das nicht der Fall sein würde, denn ein Krebs, der bereits Metastasen gebildet hatte, mußte nach der Operation in jedem Fall mit Chemotherapie behandelt werden. Doch das durfte er im Augenblick noch nicht sagen. Melissa Feller brauchte für die anstehende Operation ihre ganze Kraft, und um ihr die zu erhalten, fühlte sich Dr. Daniel verpflichtet, größtmöglichen Optimismus zu zeigen. Wie es nach der Operation weitergehen würde, mußte erst noch abgewartet werden.

      Mit beiden Händen wischte Melissa sich die Tränen ab, doch das nützte nicht viel, denn es strömten immer wieder neue Tränen nach. Sie war jetzt in einem Stadium angelangt, in dem sie ihre Gefühle nicht mehr kontrollieren konnte. Und die einzigen Gefühle, die sie in diesem Augenblick beherrschten, waren Angst und Sorge.

      »Ich muß gleich ins Krankenhaus«, erklärte sie und unterstrich ihre Worte mit fahrigen Handbewegungen. »Ich muß mir ein paar Sachen zusammenpacken und…« Ihr Blick fiel auf das Frühstücksgeschirr, das sie heute in der Eile nicht mehr hatte abwaschen können. »Meine Güte, ich muß den Abwasch noch machen, und mittags kommen Angi und Bea aus der Schule. Die Kinder müssen doch etwas essen und…«

      »Melissa, Liebling«, fiel Patrick ihr sanft ins Wort. Er kannte seine Frau lange genug, um zu erkennen, welch ein Chaos jetzt in ihrem Innern herrschen mußte. Und dabei wunderte er sich, wie er selbst so viel Ruhe bewahren konnte. Aber das lag vermutlich daran, daß er die entsetzliche Nachricht, die Melissa ihm unterbreitet hatte, einfach noch nicht verarbeitet hatte. Irgendwie erschien es ihm völlig absurd, daß seine Frau Krebs haben sollte.

      »Wir werden jetzt zusammen die nötigsten Sachen für dich einpacken«, erklärte er und ahnte nicht, daß auch Dr. Daniel ihn für die Ruhe, die er an den Tag legte, bewunderte. Wenn er da an seine eigene Reaktion dachte – damals, als er hatte erfahren müssen, daß seine Frau unheilbar krank…

      »Herr Doktor«, wandte sich Patrick jetzt an den Arzt und riß ihn damit aus seinen Gedanken. »Ich danke Ihnen recht herzlich, daß Sie meine Frau nach Hause gebracht haben, aber auf Sie wartet sicher noch Arbeit. Wenn Sie also zurückfahren möchten… ich kann meine Frau ja auch in die Klinik bringen.«

      Doch Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Danke, Herr Feller, aber ich möchte Ihre Frau lieber selbst in die Klinik begleiten, vor allem, weil ich auch mit Professor Thiersch noch sprechen möchte. Allerdings bedeutet das nicht, daß Sie zu Hause bleiben müssen.«

      »Angi und Bea kommen mittags heim«, wandte Melissa voller Besorgnis ein. »Irgend jemand muß Ihnen doch etwas zu essen machen.«

      Patrick sah seine Frau an und war hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, Melissa in die Klinik zu begleiten, und der Tatsache, daß er – um sie zu beruhigen – zu Hause bleiben und auf seine Töchter warten mußte.

      »Mach

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