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frisch

      herausgebackenem Kaiserschmarrn, doch dem Arzt war nach dem Telefongespräch mit Professor Thiersch der Appetit gründlich vergangen, und so warf er nur einen kurzen Blick in die Küche. Seine ältere Schwester Irene, die schon seit vielen Jahren verwitwet war und ihm seit seiner Rückkehr nach Steinhausen den Haushalt führte, stand am Herd und werkelte eifrig. Bei Dr. Daniels Eintreten sah sie nur kurz zurück und erklärte: »Bin gleich fertig. Setz dich schon mal ins Eßzimmer.«

      »Sei mir bitte nicht böse, Irenchen«, entgegnete Dr. Daniel entschuldigend. »Ich möchte heute nichts mehr essen.«

      Entsetzt sah seine Schwester ihn an. »Wie bitte? Ach, Robert, das kannst du mir doch nicht antun! Schau mal den schönen goldgelben Schmarrn an. Läuft dir da nicht das Wasser im Mund zusammen?«

      Gegen seinen Willen mußte Dr. Daniel lächeln. »Doch, Irene, normalerweise schon, aber…« Er seufzte, als er das enttäuschte Gesicht seiner Schwester sah. »Also schön, ich werde noch einen Happen essen.«

      In Irenes rundem Gesicht ging die Sonne auf. »Na also! Es ist ja auch gar nicht gesund, wenn man…«

      Dr. Daniel hörte nicht mehr zu. Seine Gedanken waren längst abgeglitten und beschäftigten sich mit dem, was Professor Thiersch ihm gerade gesagt hatte. Wie, um Himmels willen, sollte man diese schreckliche Nachricht Patrick Feller beibringen?

      *

      »Das Gespräch mit diesem Professor hat ihn ja ganz schön aus der Bahn geworfen«, erklärte Gabi Meindl, nachdem Dr. Daniel die Praxis verlassen hatte, dann kaute sie nachdenklich an ihrem Kugelschreiber herum. »Möchte bloß wissen, was dieser Thiersch ihm gesagt hat.«

      Mit einem mißbilligenden Blick zog Lena Kaufmann die Augenbrauen hoch. Die fünfundzwanzigjährige Gabi war zwar ein sehr nettes Mädchen, aber für Lenas Begriffe war sie eindeutig zu neugierig.

      »Es wird wohl um eine Patientin gegangen sein«, erklärte sie knapp.

      Gabi bemerkte den tadelnden Ton in der Stimme der Sprechstundenhilfe nicht. Sinnend blickte sie vor sich hin.

      »Bestimmt um diese Frau…« Sie blätterte im Terminkalender eine Seite zurück. »Diese Frau Feller. Die hat der Chef gestern doch sicher nicht umsonst heimgefahren. Ich möchte bloß wissen…«

      »Und ich möchte wissen, wann Sie Ihre restliche Arbeit erledigen wollen«, fiel Lena Kaufmann ihr

      energisch ins Wort. »In einer halben Stunde möchten Sie doch sicher auch nach Hause gehen, und ich glaube nicht, daß Sie mit Ihrer Arbeit bis dahin noch fertig werden, wenn Sie sich weiterhin um Dinge Gedanken machen, die Sie nichts angehen.«

      Gabi errötete bis unter die Haarwurzel. Im Grunde mochte sie die Sprechstundenhilfe, die meistens ihre rauhe Schale herauskehrte. Im Innern aber einen sehr weichen Kern besaß. Aber wenn sie von Lena Kaufmann auf eine solche Weise zurechtgewiesen wurde, dann wurmte sie das immer ganz gewaltig.

      Mit einem tiefen Seufzer setzte sie sich dann aber doch an ihre Schreibmaschine. Schließlich wollte sie nicht riskieren, von Lena noch einmal angepflaumt zu werden.

      Und trotzdem würde es mich interessieren, warum der Chef jetzt so geknickt war, dachte sie. Vielleicht…

      Das Klingeln an der Tür riß Gabi aus ihren Gedanken. Sie warf einen raschen Blick auf ihre Armbanduhr. Die Sprechstunde war eigentlich schon vorbei. Wer konnte denn jetzt noch kommen? Und sollte sie in diesem Fall überhaupt noch öffnen? Es klingelte ein zweites Mal.

      »Wollen Sie nicht endlich aufmachen?« drang Lena Kaufmanns Stimme aus dem Labor.

      »Es ist viertel nach sechs«, hielt Gabi ihr dagegen.

      »Na und? Es könnte ja auch ein Notfall sein«, belehrte Lena sie nicht ohne Schärfe.

      Mit einem ergebenen Seufzer drückte das junge Mädchen auf den Summer. Die schwere Eichentür sprang auf, und ein Mann Anfang Vierzig trat ein. Gabi war sichtlich erstaunt, was den Mann offenbar recht verunsicherte.

      »Sie wünschen?« fragte die junge Empfangsdame, nachdem sie sich von der ersten Überraschung erholt hatte.

      »Ich wollte eigentlich zu Herrn Dr. Daniel«, antwortete der Mann, dann brachte er ein schiefes Lächeln zustande. »Natürlich nicht in die Praxis, sondern… ich… ich wollte mit ihm sprechen… privat…«

      Jetzt lächelte Gabi. »Ach so. Da hätten Sie oben klingeln müssen, aber im Prinzip sind Sie hier ja auch richtig.« Sie stand auf und kam um ihren Schreibtisch herum. »Kommen Sie, ich bringe Sie nach oben.«

      Der Mann zögerte. »Aber… ich kann doch nicht so einfach… ich meine…«

      Gabi verstand. »Dr. Daniel erwartet Sie also nicht.«

      Der Mann schüttelte den Kopf.

      Wieder lächelte die junge Empfangsdame. »Kein Problem. Ich werde rasch oben anrufen.« Sie griff nach dem Telefonhörer und drückte auf einen Knopf, der sie direkt mit der Wohnung Dr. Daniels verband.

      »Wie ist Ihr Name?« fragte sie nebenbei.

      »Krais«, antwortete der Mann. »Gerhard Krais.«

      »Entschuldigen Sie die Störung, Herr Doktor«, erklärte Gabi jetzt. »Hier in der Praxis ist ein Herr Krais, der Sie gern sprechen möchte. Kann ich ihn zu Ihnen hinaufschicken?« Sie wartete eine Antwort ab, dann bedankte sie sich und legte auf.

      »Sie können hinaufgehen«, wandte sie sich dem Mann wieder zu. »Hier durch diese Tür und dann die Treppe hinauf. Dr. Daniel erwartet Sie.«

      Gerhard Krais bedankte sich, dann verließ er die Praxis und stieg die mit edlem Holz verkleideten Stufen hinauf. War er vorher schon nervös gewesen, so konnte er jetzt förmlich fühlen, wie seine Nerven vibrierten.

      »Guten Tag, Herr Krais.«

      Die tiefe Stimme ließ ihn zusammenzucken, und einen Augenblick lang ergriff Gerhard der dringende Wunsch zu flüchten – genauso wie er es heute mittag schon gemacht hatte. Doch diesmal beherrschte er sich.

      Dr. Daniel reichte ihm zur Begrüßung die Hand und musterte ihn dabei eingehend.

      »Sie waren heute schon einmal hier, nicht wahr?« fragte er, während er Gerhard voran in die Wohnung ging.

      Gerhard fühlte sich wie ein kleiner Junge, der beim Kirschenstehlen erwischt worden ist.

      »Ich habe Sie zufällig gesehen, als Sie ein wenig unschlüssig unten auf dem Parkplatz standen«, fuhr Dr. Daniel fort, dann wies er auf das gemütliche Sofa. »Bitte, nehmen Sie doch Platz.«

      Dieser Aufforderung kam Gerhard nur zu gern nach. Er hatte das Gefühl, als würden seine Beine gleich unter ihm abknicken. Auch Dr. Daniel setzte sich und sah seinen Besucher nun erwartungsvoll an.

      »Sie müssen mich für einen vollkommenen Trottel halten«, begann Gerhard leise.

      Doch Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Aber nein, warum denn?«

      »Nun ja, ich… ich war heute wirklich schon mal hier, weil ich mit Ihnen sprechen wollte, aber dann… dann war ich doch zu feige. Ich habe es einfach nicht gewagt zu klingeln. Und auch jetzt stehe ich schon seit fast einer Stunde draußen.« Er senkte verlegen den Kopf. »Ich wollte ja gar nicht in die Praxis gehen, aber…« Ein wenig hilflos zuckte er die Schultern. »Einfach bei Ihnen privat zu klingeln, schien mir auch recht unhöflich.«

      Dr. Daniel lächelte. »Mir scheint, Sie machen sich einfach zu viele Gedanken, Herr Krais. Ich bin doch kein Unmensch.«

      Jetzt blickte Gerhard auf. »Nein, aber Sie sind ein Frauenarzt, und ich bin ein Mann.« Mit einer fahrigen Handbewegung strich er über sein dichtes dunkelblondes Haar. »Ich fühle mich so schrecklich fehl am Platz, aber ich weiß auch nicht, mit wem ich sonst sprechen könnte.«

      Dr. Daniel begriff, daß dieser Mann ein schwieriges Problem mit sich herumschleppte, und obwohl er im Moment in einer denkbar schlechten Verfassung war, wollte er für Gerhard Krais tun, was

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