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konnte ihre Ungeduld kaum noch verbergen.

      »Das hat er nicht herausbekommen können. Später hat ein Eisenbahnbeamter den Jungen adoptiert, glaube ich. Aber von irgendwoher ist immer Geld gekommen für seine Ausbildung. Ein bißchen geheimnisvoll, nicht? Onkel Leopold meint, man müßte noch gründlicher nachforschen. Irgend etwas stimmt da ganz sicher nicht.«

      Susanne plauderte weiter.

      Natalie Eggebrecht war wieder ruhig geworden. »Onkel Leopold sollte nicht immer so dumme und schmutzige Gedanken haben«, sagte sie. »Stephan Amsinck ist ein wunderbarer Mensch, ganz gleich, wo er herkommt. Ich wünschte mir nur eins«, sie lächelte ein wenig – »ich wäre um ein paar Jahrzehnte jünger, dann wüßte ich, was ich täte.«

      »Was würdest du tun?« fragte Susanne neugierig.

      Natalie Eggebrecht blickte Susanne fest an, als sie jetzt antwortete: »Ich würde mich auf der Stelle in ihn verlieben«, sagte sie.

      Susanne wurde glühend rot. Dann sprang sie auf und ging zur Tür. Ehe sie das Zimmer verließ, sagte sie: »Du hast eben einen seltsamen Geschmack.«

      *

      Am nächsten Tag hatten sie eine Besprechung mit dem Personalchef, Susanne und Ste­phan.

      Ein neuer Betriebsarzt sollte eingestellt werden, und die Personalabteilung hatte eine entsprechende Anzeige in die Zeitung gesetzt.

      »Hier sind die Bewerbungen für die Betriebsarztstelle«, sagte Dr. Mundt, als er zu ihnen hereinkam. »Wir haben schon eine Vorwahl getroffen. Es sind drei Herren übriggeblieben, zwischen denen Sie dann noch entscheiden müßten.«

      Susanne nahm die einzelnen Bewerbungsschreiben und las sie aufmerksam durch. Dann sah sie sich die Photos der drei Bewerber an. Ohne lange zu überlegen, legte sie eines davon zur Seite.

      Stephan sah zu ihr hinüber. »Na, Susanne«, sagte er lachend, »so schnell haben Sie entschieden? Das war wohl weibliche Intuition?«

      Er nahm das Bild zur Hand und zog gleich darauf die Augenbrauen hoch. Sein schneller, ernster Blick ging zu Susanne, dann sah er wieder auf das Foto.

      Ein unbehagliches Gefühl überfiel ihn. Niemals hatte Stephan einen schöneren Mann gesehen als den hier abgebildeten: unter dichtem, blondem Haar ein edelgeformtes Gesicht mit sieggewohnten, strahlenden Augen.

      Stephan versuchte, sein Unbehagen abzuschütteln. Susanne hatte diesen Mann bestimmt nicht seines Äußeren wegen gewählt. Dazu war sie viel zu klug.

      Und außerdem…

      Stephan lächelte in sich hinein bei den neuen Gedanken. Er dachte an die letzten Wochen mit der schönen Vertrautheit, die sie ihm entgegengebracht hatte. Fast täglich waren sie jetzt zusammen! Die Hoffnungen, die er einmal für vermessen gehalten hatte, waren immer stärker geworden.

      Er schämte sich plötzlich seiner eifersüchtigen Gedanken wegen. Nichts schien ihm verächtlicher als unbegründete Eifersucht. Und jetzt wäre er doch fast eines Mannes wegen eifersüchtig geworden, den weder er noch Susanne jemals gesehen hatte.

      Als Dr. Mundt gegangen war, sprachen sie noch einmal alle Bewerbungen durch. Stephan hätte sich am liebsten für die eines älteren Arztes entschieden, die sehr günstig lautete. Aber er sagte nichts. Er wollte sich selbst beweisen, daß er nicht eifersüchtig war.

      So kam es, daß Dr. Jochen Wagner die Betriebsarztstelle erhielt, so wie es Susannes Wunsch gewesen war.

      *

      Zwei Wochen später schon trat Dr. Wagner seinen Dienst in den Eggebrecht-Werken an.

      Er hatte sich kurz vorher persönlich vorgestellt. Was sein Foto versprochen hatte, das hielt seine Erscheinung. Er war der schönste Mann, den Ste­phan Amsinck je zu Gesicht bekommen hatte. Zu dem herrlichen Kopf kam eine ausgezeichnete, sehr sportliche Figur.

      Stephan und Susanne führten die letzten Besprechungen mit dem neuen Betriebsarzt gemeinsam.

      Mit einem unangenehmen Gefühl bemerkte Stephan das Aufleuchten in Dr. Wagners Augen, als er Susanne sah. Sein Blick ging anerkennend über die Gestalt der jungen Geschäftsführerin der Eggebrecht-Werke. »Es wird mir eine Ehre sein, gnädiges Fräulein, mit Ihnen arbeiten zu dürfen«, sagte der Arzt gewandt.

      Stephan fühlte, wie jäher Ärger in ihm hochschoß, als er Jochen Wagners Blick bemerkte. Ein Ärger, den er jedoch sofort wieder bezwang. Was fiel ihm ein?

      Er benahm sich wirklich zu lächerlich. Aber das bohrende Gefühl der Eifersucht ließ sich trotzdem nicht unterdrücken. Manchmal in den kommenden Wochen dachte Stephan, daß Susanne vielleicht auch ein wenig zu freundlich zu dem jungen Arzt sei. Sie mußten natürlich viel zusammen sein, denn Susanne mußte ihn ja in seine Arbeit einführen. Aber deswegen hätte sie ihn doch nicht nach ein paar Wochen schon herüber in die Villa einzuladen brauchen – zum Schwimmen oder zum Tennisspielen.

      Das mochte auch Natalie gedacht haben, denn als Susanne das nächste Mal mit Dr. Wagner und Stephan zum Tennisspielen herüberkam, war Ludwig Walbers jüngste Tochter da.

      Inge Walber war ein fahlblondes, etwas dürres Mädchen, das die dreißig schon überschritten hatte und ein wenig verblüht wirkte.

      Natalie sagte: »Ich habe Inge zum Tennisspielen eingeladen, Susanne. Ich dachte mir, es sei doch netter für euch, wenn ihr zu viert spielen könnt. Und Inge hat ja auch nicht viel Abwechslung. Ich glaube, sie ist froh.«

      Susanne nickte gleichgültig. Natalie Eggebrechts Absicht war ihr gar nicht aufgefallen.

      Sie blickte zu Inge hinüber, die mit dem Arzt sprach. Sie mußte lächeln, denn Inge himmelte Dr. Wagner schon jetzt so sehr an, daß jeder merken mußte, daß sie sich auf den ersten Blick in den schönen Mann verliebt hatte.

      *

      Tante Natalie hatte es immer so gehalten, daß zu Susannes Geburtstag ein kleines Fest gegeben wurde. Sie wollte es auch in diesem Jahr veranstalten.

      Zwar war noch kein ganzes Jahr seit Christoph Eggebrechts Tod verstrichen, aber Natalie Eggebrecht wußte, daß die Trauer um einen Toten nicht nach außen zu dringen brauchte. Und ihr Vater würde es selber nicht anders gewünscht haben!

      Susannes Geburtstag war im November. Die Tage waren schon sehr kurz geworden, und als das Fest begann, war es schon vollkommen dunkel.

      Susanne war an diesem Tag nicht in der Fabrik gewesen. Am Morgen hatte eine Abordnung aus dem Werk ihr die Glückwünsche der Arbeiter und Angestellten gebracht. Und den ganzen Tag über waren Anrufe und Blumengrüße gekommen.

      Susanne saß in ihrem Schlafzimmer am Toilettentisch. Sie war schon angezogen.

      Das honigfarbene Kleid mit der schwarzen Perlenstickerei, das sie trug, hatte Tante Natalie ihr geschenkt. Susanne betrachtete sich im Spiegel. Ganz fremd kam sie sich darin vor.

      Und dann fragte sie sich, wie sie Stephan Amsinck wohl in diesem Kleid gefallen würde. Sie dachte nicht an Jochen Wagner oder an irgendeinen anderen Mann, sondern ausgerechnet an Stephan, den sie haßte.

      Aber das war ja klar, rechtfertigte sie sich, sie wollte ihn ja dazu bringen, sie zu heiraten!

      Sie mußte ihm heute gefallen!

      Dann würde er ihr sicher einen Heiratsantrag machen, und sie würden sich vielleicht heute noch verloben.

      Mit einem Ruck erhob sie sich. Wie kam sie dazu, sich so viele Gedanken um Stephan Amsinck zu machen? Sie wünschte plötzlich, sie hätte ihn niemals kennengelernt. Denn es gab Augenblicke, da sie sich schämte, daß sie so kühl und verstandesmäßig vorging.

      Sie verließ das Zimmer und ging die Treppe hinunter. Dann stockte ihr Schritt. Von unten herauf klang die Stimme dessen, an den sie gerade gedacht hatte!

      Sie ging weiter.

      Stephan unterhielt sich unten mit Tante Natalie.

      Er war der erste Gast. Mit Absicht war er so früh gekommen. Er unterhielt sich gern mit

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