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er sich später wieder nach Susanne umsah, konnte er sie nirgends entdecken.

      Unwillkürlich suchten seine Augen Dr. Wagner. Aber auch ihn sah er nicht.

      Langsam durchschritt Ste­phan die Festräume. Aber er fand Susanne nicht. Nirgendwo war sie zu sehen.

      Und auch – Dr. Wagner nicht!

      Stephan ging in den Vorraum hinaus.

      Leopold Eggebrecht kam ihm entgegen. In seinem Gesicht lag jetzt, da er sich unbeobachtet wußte, unverhüllte Gehässigkeit.

      »Sie suchen wohl unsere Geschäftsführerin?« fragte er boshaft. Er deutete mit dem Daumen zur Treppe: »Die ist vorhin hinaufgegangen mit dem schönen Doktor.« Er lachte. »Wahrscheinlich will sie ihm das Haus zeigen.«

      Stephan sah Leopold Egge­brecht von oben bis unten an. Dann wandte er sich schweigend um und ließ den noch immer Lachenden stehen.

      Aber Leopold Eggebrechts gehässige Bemerkung ließ ihm doch keine Ruhe. Nach einer Weile trat er wieder an die Tür zur Diele.

      Draußen war alles still. Die Diele war jetzt leer.

      Nach einem kurzen Zögern ging Stephan durch den verlassenen Vorraum zur Treppe. Er nahm immer zwei Stufen auf einmal. Oben blieb er stehen und lauschte.

      Zuerst schien ihm, als sei alles still.

      Nein – jetzt hörte er unterdrückte Stimmen! Er sah sich auf dem breiten, schwach erleuchteten Flur um. Die Stimmen kamen vom anderen Ende des Ganges, von dem die Treppe in den zweiten Stock führte. Ein kleiner Erker war dort.

      Stephan trat ein wenig näher, bis er in den Erker hineinsehen konnte. Er sah, wie Jochen Wagner den Arm um Susanne legen wollte und wie Susanne einen Schritt zurücktrat.

      Stephan wollte sich umdrehen, aber etwas bannte ihn an seinen Platz.

      Susanne stand am Erkerfenster.

      Der Arzt war einen Schritt zurückgetreten. Er sah ein wenig verwirrt auf das Mädchen, dessen Augen vor Zorn funkelten. »Was bilden Sie sich eigentlich ein?« fragte Susanne scharf. »Ich habe Ihnen keinen Anlaß gegeben, sich so zu benehmen, wie Sie das vorhin getan haben.«

      Der Arzt sah noch verwirrter aus. Er begriff nicht ganz. Vorhin hatte er Susanne gebeten, ein wenig mit ihm in den Garten zu gehen. Sie war einverstanden gewesen. Nur einen Schal hatte sie noch holen wollen. Übermütig hatte er gebeten, mit hinaufgehen zu dürfen, und Susanne hatte belustigt zugestimmt.

      Er hatte im Erker des ersten Stockwerkes gewartet, während sie nach oben in ihr Zimmer lief und den Schal holte. Dann war sie heruntergekommen, und sie hatten nebeneinander am Fenster gestanden und in die Dunkelheit hinausgesehen.

      Und da war er kühn geworden, zu kühn, wie er jetzt wußte. Er hatte versucht, den Arm um sie zu legen und sie an sich zu ziehen. Und triumphierend hatte er gedacht, daß jetzt alles klar war für ihn. Er brauchte sie nur noch zu bitten, seine Frau zu werden.

      Aber es war gar nichts klar.

      Susanne trat brüsk zurück und fuhr ihn an: »Was fällt Ihnen ein?«

      Dr. Wagner, der Sieggewohnte, war zu verwirrt, um eine Entschuldigung stammeln zu können.

      Das war ihm noch nie geschehen!

      Er hatte es einfach für sicher gehalten, daß die Frau, für die er sich interessierte, dankbar sein und ihn mit offenen Armen aufnehmen würde.

      Aber Susanne schien gar nicht bereit, ihn mit offenen Armen aufzunehmen.

      Im Gegenteil!

      Ihre Stimme verriet unverhüllten Zorn, als sie jetzt sagte: »Mein lieber Doktor, was denken Sie sich eigentlich?«

      Jochen Wagner fand mühsam seine Fassung wieder. »Ich dachte…«, begann er und suchte verlegen nach seinem Zigarettenetui, »darf ich rauchen?«

      Susanne nickte.

      Umständlich und um Zeit zu gewinnen, zündete er sich eine Zigarette an. Dann begann er wieder: »Mein sehr verehrtes Fräulein Susanne…«

      »Ich heiße Diettmer«, unterbrach ihn Susanne.

      Er wurde noch verlegener. Allmählich dämmerte ihm, daß er hier die größte Abfuhr seines Lebens erlitt. Aber noch gab er nicht auf. Vielleicht dachte sie, er wollte nur einen leichtsinnigen Flirt?

      »Gnädiges Fräulein«, sagte er und legte die angerauchte Zigarette auf das Fensterbord. Was er zu sagen hatte, konnte er nicht mit der Zigarette in der Hand sagen. »Es tut mir leid, so formlos gewesen zu sein. Ich kann mich nur damit entschuldigen, daß mich die Stimmung dazu verführte. Ich liebe Sie. Darf ich fragen, ob Sie…«, aber ehe er zu Ende sprechen konnte, wehrte Susanne ab.

      »Bitte, reden Sie nicht weiter. Ich liebe Sie nicht und niemanden sonst. Deshalb kann ich Sie nicht weiter anhören. Es ist besser für unsere Zusammenarbeit. Und auf die legen Sie doch Wert, nicht wahr? Am besten ist…« Susanne wandte sich um, »wir vergessen beide unser Gespräch.«

      Sie nickte ihm leicht zu und ging die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer.

      Sie bemerkte Stephan nicht, der sich jetzt langsam umwandte und hinunterging.

      Dr. Wagner starrte Susanne einen Augenblick lang nach. Auf seinem schönen Gesicht lag ein Ausdruck unsäglicher Verblüffung, mehr allerdings war es nicht.

      Dann zuckte er mit den Achseln und kam langsam den langen Flur hinunter.

      An die Zigarette, die noch immer auf dem Fensterbord lag, dachte er nicht mehr.

      Unten am Fuß der Treppe stand Inge Walber. »Da sind Sie ja, lieber Doktor«, sagte sie strahlend, »ich habe Sie schon die ganze Zeit gesucht. Wo haben Sie nur gesteckt?« Sie lachte zu ihm auf und hing sich vertraulich an seinen Arm.

      Jochen vermied diplomatisch eine Antwort. Inge brauchte nicht zu wissen, wo er gewesen war. Als er jetzt mit ihr sprach, war er sehr freundlich, viel freundlicher als jemals zuvor.

      Sein kalkulierender Verstand arbeitete ganz kühl. Er hatte eine Niederlage erlitten vorhin. Aber wenn es nicht Susanne sein konnte, dann eben Inge!

      Warum nicht?

      Mit einem leichten Bedauern allerdings dachte er, daß Inge sich nicht mit Susanne messen konnte, was das Aussehen anging. Aber Geld hatte sie auch. Und darauf kam es vor allem an. Wenigstens ihm, dem schönen Jochen Wagner, kam es darauf an.

      Und mit doppelter Freundlichkeit neigte er sich zu der beglückten Inge herunter und bat sie um einen Tanz.

      Oben auf dem Fensterbord aber brannte die vergessene Zigarette.

      *

      Susanne saß in ihrem Zimmer. Es war ganz still hier oben, denn die Angestellten waren alle unten beschäftigt. Sie dachte an Stephan und an das, was am frühen Abend geschehen war.

      Auch er hatte sie gebeten, seine Frau zu werden.

      Ihre Empfindungen widerstritten sich. Eine schwache Stimme erhob sich in ihr und verdammte ihre Handlungsweise. Ohne Liebe hatte sie sich mit Stephan Amsinck verlobt.

      Aber sie brachte die Stimme zum Schweigen.

      Es mußte sein, der Familie wegen!

      Und noch etwas war in ihr.

      Eine seltsame Befriedigung, weil der harte Stephan Amsinck genau das tat, was sie wollte.

      Dr. Wagner tanzte noch immer mit Inge…

      *

      Langsam näherte sich die Glut der Zigarette dem leichten Vorhang.

      Die Flammen züngelten an dem leichten Stoff hinauf und verschlangen ihn immer schneller – immer gieriger.

      Die trockene Holzverkleidung begann leise zu knistern, brannte an.

      Funken sprühten, fielen auf den Boden, den Teppich – kleine zuckende Flammen.

      Susanne saß noch

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