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lächelte ein wenig. »Sie wundern sich, nicht wahr? Aber ich weiß alles. Ich habe so meine Leute, wissen Sie?«

      Sie stand noch immer neben ihm. Mit dem Zeigefinger deutete sie auf das Bild ihres Vaters, auf das er gerade geblickt hatte. »Wenn er wüßte, wie schnell Sie die Flinte ins Korn werfen…«, sagte sie ganz ernst.

      »Ach…« Stephan wandte sich unwillig ab. »Wenn er wüßte, daß seine Familie mich einen Erbschleicher nennt!«

      »Wer hat das getan?« fragte Natalie zurück.

      »Ihr Bruder« antwortete er, »und…«

      »Und?« fragte sie.

      »Und Susanne«, sagte er ganz leise und senkte den Kopf.

      Natalie Eggebrecht lächelte ein wenig. »Susanne? Soso.« Sie nickte gedankenvoll vor sich hin. Dann legte sie ihm die Hand auf den Arm. »Nehmen Sie es ihr nicht übel, Stephan. Sie ist ja noch so jung. Und eines Tages werden sie alle wissen – auch Susanne – daß Sie kein Erbschleicher sind, sondern die gleichen Rechte haben wie alle anderen.«

      Stephan fuhr herum.

      Natalie nickte. »Mein Vater hat manches mit mir besprochen, Stephan«, sagte sie gütig. »Er hat mir auch den Brief gezeigt, den Sie nach seinem Tod haben sollten. Sie haben ihn doch bekommen, nicht wahr?«

      Stephan nickte wortlos.

      Ihre Hand lag noch immer auf seinem Arm. »Er hat sich so viele Sorgen um das Werk gemacht«, sagte sie und deutete auf das Bild in dem silbernen Rahmen, »und er hat alle seine Hoffnungen auf Sie gesetzt. Wollen Sie ihn wirklich enttäuschen? Ohne Sie würde die Fabrik zugrunde gehen, sagte er immer.«

      Stephan lachte bitter. »Das müssen Sie Susanne erzählen.«

      Natalie nickte. »Das werde ich auch eines Tages. Darauf können Sie sich verlassen. Und dann wird sie sich furchtbar schämen, das können Sie mir glauben.« Auf ihrem Gesicht lag ein weises Lächeln. »Susanne ist nämlich ein einsichtiger Mensch mit einem starken Charakter. Und wenn sie weiß, daß sie Unrecht getan hat, dann wird sie es sofort zugeben.«

      Natalie lächelte. »Sie ist überhaupt sehr nett, nicht wahr? Gefällt sie Ihnen nicht?«

      Stephan dachte an ein schmales, weiches Gesicht, an ein Paar blitzende Augen, die ihn noch nie angelacht hatten.

      Er nickte wortlos. Dann, als er in die Augen der alten Dame sah, mußte er lächeln. Er nahm ihre Hand und beugte sich darüber. »Sie sind eine ganz ­gefährliche Person, gnädiges Fräulein«, sagte er.

      Sie klopfte ihm auf die Schulter. »Wenn wir allein sind, kannst du ruhig Tante Natalie zu mir sagen, mein Junge, wie alle anderen auch.«

      »Du bist eine ganz gefähr­liche Person, Tante Natalie«, wiederholte Stephan.

      Ihre Hand blieb auf seiner Schulter. »Und du wirst mich nicht im Stich lassen«, bat sie. Er schüttelte den Kopf.

      Natalie Eggebrecht atmete auf. »Gott sei Dank!« sagte sie aus tiefstem Herzen.

      *

      Am anderen Morgen saß Stephan Amsinck wieder an seinem alten Platz, als sei nichts geschehen.

      Susanne machte ein ungläubig erstauntes Gesicht, als sie ihn sah. Nach seinen gestrigen Worten hatte sie nicht damit gerechnet, daß er noch einmal zurückkommen würde. Seine Worte hatten so ernst, so überzeugend geklungen!

      Die ganze Nacht über hatte sie schlaflos gelegen und sich mit den Problemen herumgeschlagen, die sich nun ergeben würden, wenn Stephan nicht mehr ins Werk kam.

      Nun ruhte auf einmal die ganze Last auf ihr!

      Sie fürchtete sich maßlos vor dieser Verantwortung und sehnte sich jetzt danach, daß es wieder so sein könnte wie vorher. Sie wußte auf einmal, wieviele Entscheidungen Stephan ihr stillschweigend abgenommen hatte, wie er ihr unauffällig so manchen Rat gegeben hatte.

      Nun würde er nicht mehr da sein!

      In ihrer Angst vergaß sie ganz, daß das genau das war, was sie sich immer schon gewünscht hatte. Sie vergaß sogar, wie sehr sie ihn manchmal gehaßt hatte!

      Als sie ihn dann am Morgen an seinem Schreibtisch sitzen sah, als sei nichts geschehen, war das alles in doppelter Stärke wieder da.

      Und zu dem Haß kam jetzt noch Verachtung.

      Wie großspurig hatte er gestern gesagt, die EggebrechtWerke würden ihn niemals wiedersehen!

      Und nun saß er da, als sei nichts geschehen!

      Solch ein Schwächling war er also!

      Ja, ein Schwächling war er und noch viel Schlimmeres!

      »Guten Morgen«, sagte Stephan ruhig. Susanne fuhr zusammen. Sie blickte ihn wortlos an.

      Er mußte wohl die Verachtung, die sie empfand, in ihren Augen lesen, denn um seinen Mund lag auf einmal ein weher Zug. Aber Susanne nahm nichts davon wahr.

      Sie setzte sich an ihren Platz und begann mit ihrer täglichen Arbeit. Über die Szene im Maschinensaal sprachen sie nicht, heute nicht und auch später nie.

      Sie sprachen überhaupt nicht mehr viel miteinander. Susanne sagte nur etwas, wenn er direkt das Wort an sie richtete, und auch dann war sie nicht besonders höflich.

      In diesen Tagen und in den Wochen, die darauf folgten, bildeten sich um Stephans Mund ein paar Falten, die vorher nicht dagewesen waren. Aber er blieb immer gleichmäßig freundlich, sowohl zu Susanne als auch zu Leopold Egge­brecht. Ja, um Leopold Egge­brecht gab er sich sogar regelrechte Mühe.

      Er war nicht nur freundlich, er ging sogar hin und wieder hin und bat um einen Rat, obwohl Susanne wußte, daß er viel besser allein entschieden hätte. Sie begriff diese Haltung nicht und fragte sich erstaunt, was das bedeuten mochte. Aber Stephans verschlossenes Gesicht gab keinen Aufschluß.

      *

      Es war Spätsommer.

      Fast ein halbes Jahr arbeitete Susanne nun schon im Werk, und die Arbeit machte ihr immer mehr Freude. Vor allem kümmerte sie sich um die sozialen Einrichtungen des Betriebes. Und nach und nach hatte es sich so gefügt, daß alle Entscheidungen darüber in ihre Hand gelegt waren.

      Eines Morgens, als sie in ihr Arbeitszimmer kam, sah sie Stephan über eine große Zeichnung gebeugt stehen.

      Als sie eintrat, sah er ihr lächelnd entgegen wie jemand, der eine große Überraschung hat.

      »Kommen Sie, Fräulein Diettmer«, sagte er. »Sehen Sie sich das einmal an.«

      Zögernd trat sie näher.

      »Es sind die Pläne für unsere neue Kantine«, sagte er erläuternd.

      »Die Kantine?« Susannes Augen strahlten. Die neue Kantine war ihre Idee gewesen, und als sie den Vorschlag machte, hatte Stephan ihn sofort akzeptiert. Aber dann war nicht mehr darüber gesprochen worden. Gerade heute hatte sie das Gespräch noch einmal darauf bringen wollen.

      Und nun hatte er schon die Pläne anfertigen lassen!

      Sie trat neben ihn.

      »Der Plan ist großartig«, sagte er begeistert und begann, ihr eifrig die Einzelheiten zu erläutern: das langgestreckte Kantinengebäude, die Waschräume und sogar ein Schwimmbecken, das auf seine eigene Veranlassung hinzukommen sollte.

      Susanne war begeistert. So sehr, daß sie zum erstenmal ihre Feindseligkeit vergaß.

      Sie standen dicht nebeneinander, die Köpfe über die Zeichnung gebeugt.

      »Wunderbar«, sagte Susanne, »ganz wunderbar.«

      »Ja, wunderbar«, sagte er dicht hinter ihr. Etwas in seiner Stimme warnte sie.

      Und dann fühlte sie den Hauch seines Atems im Nacken, für einen winzigen Augenblick spürte sie den Druck seines Mundes auf ihrer Haut.

      Sie fuhr herum. Empört,

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