Скачать книгу

kleinen, efeuumrankten Häuschen und ging seinen Liebhabereien nach. Stephan unterstützte ihn, und manchmal besuchte er ihn auch.

      Stephans Gedanken wurden durch ein leises Klopfen unterbrochen. Er sah auf. »Ja?« sagte er leise.

      Seine Sekretärin trat ein. »Dr. Mußner möchte Sie sprechen.«

      Stephan zog die Stirn zusammen. Dr. Mußner?

      Das war Christoph Egge­brechts Anwalt! Was mochte er wollen? Ein unbehagliches Gefühl beschlich ihn. Er wußte, wie sehr Leopold Eggebrecht ihn haßte. Jetzt würde seines Bleibens hier wohl nicht mehr lange sein.

      Stephan erhob sich. »Soll hereinkommen«, sagte er.

      Dr. Mußner war ein kleiner, dicklicher Herr von etwa sechzig Jahren. Seit Jahrzehnten war er der Anwalt der Egge­brechts und in vielen Dingen Christoph Eggebrechts vertrauter Freund und Ratgeber gewesen.

      Mit kleinen, eiligen Schritten kam er auf Stephan zu. »Haben Sie Zeit?« fragte er in seiner hastigen Art. »Ich habe nämlich einige wichtige Dinge mit Ihnen zu besprechen.«

      Stephan nickte belustigt. Er kannte die eilige Art des Anwalts. Dann bot er ihm einen Platz an und klingelte seiner Sekretärin. Er wies sie an, ihn während der nächsten Stunde nicht zu stören.

      Dann rückte er sich einen Stuhl zurecht und blickte Dr. Mußner erwartungsvoll an. Jetzt kam wahrscheinlich die Kündigung, ausgesprochen durch die Erben Christoph Eggebrechts und übermittelt durch Dr. Mußner. Stephan hatte keine Angst davor. Er wußte, daß er jederzeit wieder Arbeit finden würde.

      Der Rechtsanwalt kramte umständlich in seiner Aktentasche und holte ein paar Schriftstücke hervor.

      Stephan wunderte sich. Das sah nicht nach Kündigung aus.

      »Zuerst«, begann der Anwalt, »möchte ich Ihnen Kenntnis von Christoph Eggebrechts Testament geben, soweit Sie darin erwähnt sind.«

      Stephan horchte auf. Und dann erfuhr er, daß der alte Eggebrecht ihn auf Lebenszeit zum Geschäftsführer der Werke bestimmt hatte, wenn Ste­phan nicht freiwillig auf diesen Posten verzichtete.

      »Mein Gott«, sagte Stephan erschrocken. Der Rechtsanwalt nickte.

      Er wußte, was Stephan meinte, war er doch auf die gleiche Weise erschrocken gewesen, als der alte Eggebrecht ihm den Entwurf zu seinem Testament gegeben hatte. »Und Ihr Sohn?« hatte Dr. Mußner damals gefragt.

      »Mein Sohn?« In der Stimme des Alten hatten Schmerz und Verachtung zugleich gelegen. »Ich habe ein Leben lang gearbeitet, Doktor«, hatte er dann mit müder Stimme gesagt, »um die Werke zu dem zu machen, was sie heute sind. Ich bin stolz darauf. Wenn sie Leopold in die Hände fallen, sind sie in ein paar Jahren heruntergewirtschaftet. Lassen Sie nur…« er winkte ab, als Dr. Mußner etwas Verbindliches sagen wollte. »Ich habe recht. Ich kenne meinen Sohn. Ich mache mir keine Illusionen über ihn, und ich weiß, daß er ein Schwächling und ein Trinker ist.«

      Das Gesicht des alten Mannes hatte verfallen und krank ausgesehen bei diesen Worten. »Vielleicht habe ich ihn falsch erzogen«, hatte er gesagt, »ich weiß es nicht. Aber die Werke bekommt er nicht in die Hände. Dafür muß ich sorgen.«

      »Es wird ihn furchtbar kränken«, hatte der Rechtsanwalt eingewandt.

      »Möglich«, der alte Mann zuckte mit den Schultern. »Mich hat auch manches gekränkt, was Lepold im Laufe der Jahre angestellt hat. Glauben Sie mir das! Es gibt da so einiges, was ich ihm nie verzeihen werde. Aber das wissen Sie ja selbst. Sie wissen, er kann ein Schurke sein, wenn man ihm die Möglichkeit dazu gibt.« Der alte Mann hatte mit eingesunkenen Schultern dagesessen, als sei die Last zu schwer für ihn.

      Dr. Mußner hatte genickt. Er wußte Bescheid. Da war mehr als eine peinliche Geschichte gewesen, die Leopold Egge­brecht sich eingebrockt hatte und die er dann seinem Vater zum Auslöffeln ließ. Vor allem, als er noch jünger war. Seit er älter wurde, begnügte er sich damit, zu trinken und große Schulden zu machen, die sein Vater dann regelmäßig und stillschweigend bezahlte. Ja, der alte Mann hatte recht.

      Die beiden Männer erwachten aus ihren Gedanken, die sich mit dem Seniorchef der Eggebrecht-Werke befaßt hatten. »Ja«, sagte Dr. Mußner, »heute nachmittag hat übrigens die Familie getagt, gleich nach der Verlesung des Testamentes. Fräulein Natalie hat mich vorhin angerufen und mir davon erzählt. Sie haben den zweiten Geschäftsführer gewählt.« Dr. Mußner machte eine Pause.

      Stephan Amsinck beugte sich gespannt vor.

      Wer von den Männern des Hauses Eggebrecht mochte Geschäftsführer geworden sein? Leopold wahrscheinlich!

      Stephan graute schon bei dem Gedanken an die Zusammenarbeit mit dem Mann, der ihn so haßte.

      Dr. Mußner lächelte. »Sie werden staunen«, sagte er. »Geschäftsführer der Eggebrecht-Werke ist neben Ihnen Fräulein Susanne Diettmer!«

      Stephan Amsinck war maßlos erstaunt. Susanne Diettmer?

      Er erinnerte sich nur undeutlich an das junge Mädchen, das er früher, als sie noch ein Backfisch war, häufig einmal gesehen hatte. In den letzten Jahren allerdings waren sie sich nie mehr begegnet, da Susanne auf der Universität war.

      »Ist sie nicht ein bißchen jung?« fragte Stephan zögernd. Es schien, als würde alles noch schlimmer durch die Wahl des jungen Mädchens.

      Diese Schande würde Leopold Eggebrecht niemals überwinden! Wie aber war es gekommen, daß sie Susanne gewählt hatten?

      Dr. Mußner gab ihm die Antwort darauf. »Daran ist wohl Fräulein Natalies diktatorischer Einfluß schuld«, meinte er mit einem Lächeln und erzählte Stephan von Christoph Eggebrechts Testamentsbedingungen.

      Dann nahm der Anwalt einen dicken weißen Umschlag aus seiner Ledertasche. »Und dies hier«, sagte er mit eigentümlicher Betonung –, »ist für Sie. Es ist Christoph Eggebrechts letzte Nachricht. Er hat mich gebeten, Ihnen diesen Brief nach der Testamentsverlesung zu überreichen. Und er läßt Ihnen sagen, daß niemand davon weiß.«

      Damit erhob Dr. Mußner sich. »Sie werden mich entschuldigen«, sagte er, »ich habe noch ein paar eilige Angelegenheiten zu erledigen.« Damit schüttelte er Stephan die Hand und war verschwunden.

      Stephan Amsinck sah ihm geistesabwesend nach. Seine Gedanken waren noch bei des Anwalts letzten Worten. Christoph Eggebrecht hatte eine besondere Botschaft für ihn hinterlassen! Und niemand wußte davon!

      Er nahm den Umschlag zur Hand.

      Ein eigentümliches Gefühl beschlich ihn. Christoph Eggebrechts letzte Nachricht! Was es wohl sein mochte?

      Er nahm den Brieföffner und schlitzte den Brief auf. Ein paar Bogen fielen heraus, ein wenig vergilbt, als seien sie vor vielen Jahren geschrieben worden. Und dann waren noch ein paar andere Bogen darin, aus weißem steifem Papier, das Stephan als Christoph Eggebrechts Briefpapier erkannte. Sie waren mit der Handschrift des alten Herrn bedeckt.

      Stephan lehnte sich in seinem Stuhl zurück und nahm die Bogen zur Hand.

      Er überflog die ersten Zeilen. Tiefes Erstaunen malte sich auf seinen Zügen. Er begann noch einmal. Und dann las er weiter, tief versunken in das Neue, das sich da vor ihm auftat.

      Die Zeit verging – längst hatte er zu den vergilbten Briefen gegriffen und einen nach dem anderen gelesen – immer wieder.

      Draußen wurde es dunkel.

      Einmal hatte es leise an die Tür geklopft, aber er hatte nicht geantwortet.

      Er hatte das Klopfen überhaupt nicht gehört.

      *

      An einem Frühsommertag begann die junge Susanne ihre Arbeit in den Eggebrecht-Werken. Den kurzen Weg von der Villa her war sie ganz langsam gegangen, nun, als sie vor dem großen Portal stand, klopfte ihr Herz wie rasend.

      Sie fürchtete sich.

      Sie fürchtete sich vor der unbekannten Arbeit, vor der Verantwortung, die ihr aufgebürdet wurde, und

Скачать книгу