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durchaus in der Lage, diesen Vorschlag zu begründen und zu verteidigen. Der Haupteinwand wird wohl sein, du seist noch zu jung. Dagegen sage ich …«, Natalie Eggebrecht sah sich in dem stillgewordenen Kreis um, »daß junge Esel mir auf jeden Fall lieber sind als alte. Aber du bist keineswegs ein Esel! Jeder von uns weiß, daß du deine Examina glänzend bestanden hast. Natürlich fehlt dir die Praxis. Aber wo könntest du sie besser erwerben als in den Eggebrechtwerken? Das ist ja nur eine Frage der Zeit. Und außerdem gibt es im Werk noch ein paar tüchtige Leute aus Großvaters Zeiten, die dir über die Anfangsschwierigkeiten sicher gern hinweghelfen werden. Ganz zu schweigen von unserem neuen Geschäftsführer, Herrn Amsinck.«

      Natalie wurde von empörtem Gemurmel unterbrochen. Sie wartete. Sofort wurde es wieder ruhig. »Wie dem auch sei«, fuhr sie fort und wandte ihre Augen von dem jungen Mädchen ab, das ganz benommen und verlegen dasaß. »Ich werde zu keiner anderen Wahl meine Zustimmung geben!« Sie setzte sich hin.

      Die anderen schwiegen.

      Dann sagte Rudolfine von Müller. »Also gut! Dann wählen wir eben überhaupt keinen Geschäftsführer!« Sie blickte ihre Schwester über ihr Lorgnon hinweg feindlich an.

      »Tu mir einen Gefallen und steck das Ding weg«, sagte Natalie ungerührt. »Ich weiß, daß deine Augen gut genug sind, um mich auch so ganz genau zu sehen.«

      Rudolfine schoß ihr einen giftigen Blick zu.

      Aber Natalie ließ sich nicht davon beeindrucken. »Ihr könnt machen, was ihr wollt«, sagte sie dann zu den anderen. »Wenn ihr keinen Geschäftsführer wollt – auch gut! Ich möchte euch in diesem Fall nur darauf aufmerksam machen, daß die Familie Eggebrecht dann überhaupt nicht in der Leitung der Werke vertreten ist und der von euch so geschätzte Herr Amsinck allein regieren kann. Wenn euch das also an­genehmer ist«, sie zuckte mit den Achseln.

      Dieses Argument leuchtete allen sofort ein. Sie beugten sich über den Tisch und tuschelten miteinander. Dieser Amsinck sollte allein die Geschäfte führen? Unmöglich! Dann nahm man schon lieber die junge Susanne in Kauf. So ärgerlich es auch war, daß man der starrköpfigen Natalie nachgeben mußte.

      So bekam Natalie Egge­brecht nach langem Hin und Her ihren Willen und die junge Susanne wurde Geschäftsführerin der Eggebrecht-Werke.

      *

      Zuletzt blieben nur noch Natalie und Susanne in der Eggebrechtschen Villa zurück. Natalie stellte ihren Stuhl an den Tisch. »Komm, Kind«, sagte sie zu Susanne, »laß uns in den Salon gehen. Da ist es gemütlicher. Grete hat, glaube ich, auch schon den Tee bereitgestellt.«

      Sie gingen in den altmodischen Salon hinüber, der seit Jahren schon Natalies Wohnzimmer war. Als sie Platz genommen hatten und Natalie die Tassen vollschenkte, sagte Susanne: »Das hättest du nicht tun sollen, Tante Natalie.«

      Natalie brummte unwillig etwas vor sich hin, dann antwortete sie: »Laß gut sein, Susanne. Mein Vater hat schon gewußt, was er tat, als er sein Testament machte. Und ich weiß es auch.« Sie tätschelte die Hand des jungen Mädchens. »Du wirst schon alles richtig machen. Du bist eine Eggebrecht, wie mein Vater sie sich vorgestellt hat. Ich bin sicher, daß er mit mir einverstanden wäre. Und du wirst schon alles gut machen.«

      Susanne hob ihre Tasse und nahm einen Schluck, dann sagte sie: »Ich weiß nicht genau, Tantchen, ich fürchte mich fast. Am liebsten hätte ich abgelehnt.«

      Natalie sah auf. »Warum?«

      Susanne zögerte. »Erstens«, begann sie dann, »habe ich gar keine Praxis und Erfahrung. Und die Eggebrechtwerke erfordern eine ganze Menge Arbeit. Und zweitens – ich habe keine Lust, mit diesem Herrn Amsinck zusammenzuarbeiten.«

      »Und warum nicht?« fragte Natalie Eggebrecht.

      Susanne nahm eines der lecker zurechtgemachten Brötchen. »Ich halte nichts von ihm«, sagte sie.

      »Aber Susanne!« Natalie Eggebrecht war ganz entrüstet. »Er ist sehr tüchtig.«

      Susanne zuckte die Achseln. »Mag sein. Aber ich glaube, daß Onkel Leopold in diesem Fall recht hat. Dieser Amsinck hat sich Urgroßvaters Wohlwollen erschlichen. Und das ist ihm ja auch gelungen.«

      »Ach was…« Natalie war ärgerlich, »du hast dir einen Floh ins Ohr setzen lassen. Du kennst ihn doch gar nicht.«

      »Ich habe ihn einmal ganz kurz gesehen.«

      »Und da machte er dir den Eindruck eines Erbschleichers?«

      »Das habe ich nicht gesagt. Ich weiß nicht einmal mehr, wie er aussieht. Aber Onkel Leopold erzählte, daß dieser Amsinck ganz arm gewesen sei, als er in die Fabrik eintrat. Da hat er gedacht, daß das seine große Chance sei. Und hat Urgroßvater entsprechend beeinflußt. Deshalb mag ich ihn gar nicht.«

      Natalie blickte Susanne nachdenklich an. Dann lächelte sie ein wenig. »Ich finde«, sagte sie und betonte das »ich«, »daß er ein reizender, junger Mann ist. Aber vielleicht hat er sich auch mein Wohlwollen auf geheimnisvolle Weise erschlichen.«

      In ihrer Stimme war ein wenig Spott. »Wie dem auch sei – wenn du so denkst, ist es ja doppelt wichtig, daß jemand von der Familie in der Fabrik ist. Damit er uns nicht übers Ohr haut. Also…?«

      Da nickte Susanne Diettmer ergeben. Gegen Tante Natalies Willen kam man nicht an.

      *

      Der Mann, von dem an diesem Nachmittag so viel die Rede gewesen war, ahnte nichts von dem, was Gutes und Schlechtes über ihn gesagt worden war. Aber auch wenn er es geahnt hätte, so würde es ihn wenig gestört haben.

      Denn Stephan Amsinck gehörte nicht zu den Menschen, die auf das Gerede anderer Leute etwas geben. Außerdem steckte er bis über den Kopf in Arbeit und hatte gar keine Zeit, sich um gute oder üble Nachreden zu kümmern.

      Stephan Amsinck war dreiunddreißig Jahre alt und seit fast zehn Jahren in den Egge­brechtwerken tätig.

      Leopold Eggebrecht hatte recht, Stephan war arm gewesen, ganz arm, als er gleich nach seinem Studium die Stellung in den Werken bekam. Er hatte ganz unten angefangen, aber er hatte die Möglichkeit gehabt, sich hochzuarbeiten. Und das hatte er getan. Als er seine Tüchtigkeit bewiesen hatte, da war ihm der alte Egge­brecht ein väterlicher Freund geworden, der ihm mit Rat und Tat zur Seite stand und ihm alle Wege ebnete. Bis zum Prokuristen war er aufgestiegen.

      Und mehr und mehr hatte Christoph Eggebrecht in den letzten Jahren die Geschäfte in Stephans Hände gelegt.

      Stephan Amsinck saß tief in Gedanken an seinem Schreibtisch.

      Nun hatte er die Arbeit doch unterbrochen.

      Aber das passierte ihm manchmal in diesen Tagen, seit der alte Mann nicht mehr da war und der große Schreibtisch gegenüber dem seinen immer leer stand.

      Dort hatte der alte Egge­brecht gesessen, zwei Tage vor seinem Tod noch!

      Ein Gefühl der Einsamkeit überkam den Jüngeren. Er rückte an der schwarzen Krawatte, die er trug als Zeichen der Trauer um den Toten. Ja, er trauerte! Stephan schien es, als habe er einen unersetzlichen Verlust erlitten.

      Christoph Eggebrecht war der einzige Mensch gewesen, der sich um Stephan Amsinck gekümmert hatte.

      Stephan hatte die Kinderzeit in einem Heim verbracht. In einem sehr guten und teuren Heim! Aber Liebe hatte man ihm dort nicht viel geboten. Und er hatte oft nachts geweint, weil er nicht begreifen konnte, daß er keinen Vater und keine Mutter hatte.

      Man hatte es ihm zwar erklärt. Tot seien seine Eltern, hatte man ihm gesagt. Aber begriffen hatte er es trotzdem nicht.

      Später, als er ungefähr fünf Jahre alt war, war er adoptiert worden, von einem Eisenbahnbeamten und seiner Frau. Es war ein Ehepaar in mittleren Jahren. Stephan hatte die beiden Menschen sehr gern gehabt, und sie waren sehr stolz auf ihn gewesen, als er seine ersten Erfolge in der Schule hatte. Später hatten sie ihn auf die Universität geschickt. Stephan hatte sich manchmal darüber gewundert, daß sie soviel für ihn taten. Die beiden lächelten nur, wenn er danach fragte, aber sie sagten nichts.

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