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Vater…« Natalie hatte schmerzlich gelächelt, »du weißt doch, warum ich nicht geheiratet habe!«

      Da hatte er nichts mehr gesagt.

      Natalie Eggebrecht hatte einmal einen Mann sehr geliebt. Aber sie hatte sich bescheiden müssen. Denn dieser Mann hatte ihre Schwester Theresa geheiratet. Daß auch sie ihn liebte, sie, die häßliche Natalie, das hatte er niemals erfahren. Niemand außer dem Vater hatte davon gewußt. Und danach hatte Natalie sich entschlossen, nicht zu heiraten.

      Natalie Eggebrecht schrak aus ihren Träumereien auf. Die helle, scheppernde Stimme Ludwig Walbers drang wieder an ihr Ohr. »Meine lieben Geschwister«, sagte er und Natalie wehrte sich innerlich dagegen, zu seinen »Geschwistern« zu gehören, »ich wiederhole noch einmal, das Testament muß angefochten werden.«

      Wieder herrschte Stille. Der Gedanke war allen ungeheuerlich. Aber dann raffte Leopold sich auf. »Glänzend, mein lieber Schwager«, sagte er, »glänzend! Wir werden das Testament anfechten.« Er blickte Natalie herausfordernd an. »Vater war immerhin fünfund­achtzig, als er starb. Ich kann mir nicht denken, daß er wirklich noch bei Verstand war, als er diese Verfügung traf.« Er erregte sich wieder: »Uns diesen jungen Bengel vor die Nase zu setzen! Er kann nicht zurechnungsfähig gewesen sein, als er das tat!« Er schwieg und trocknete sich den Schweiß von der Stirn.

      Natalie seufzte ein wenig. Wenn diese Familiensitzung doch nur schon zu Ende gewesen wäre! Sie hätte gern ein wenig Ruhe gehabt. Diese nutzlosen Gespräche ermüdeten sie. Und außerdem haßte sie den Gedanken, daß sie zehn Tage nach dem Tode ihres Vaters mit anhören mußte, wie seine Kinder ihn zu einem Schwachsinnigen stempeln wollten, nur weil ihnen sein Testament nicht paßte.

      Allerdings – dieses Testament war seltsam genug. Und sie konnte den Zorn der anderen verstehen, wenn sie auch wußte, warum der Vater so gehandelt hatte. Er hatte vor allem sein Werk schützen wollen, vor seinen Schwiegersöhnen und auch vor seinem eigenen Sohn. »Die Fabrik darf nicht vor die Hunde gehen«, hatte er zu Natalie gesagt, als er einmal mit ihr über sein Testament gesprochen hatte. Das war seine größte Sorge gewesen, und aus dieser Sorge war das seltsame Testament entstanden, über das seine Kinder sich nun so aufregten.

      Heute morgen hatten sie seinen Inhalt erfahren, auch Natalie, die ihn allerdings längst gekannt hatte, denn sie war die Vertraute ihres Vaters gewesen. Danach vermachte Christoph Eggebrecht sein Vermögen, wie erwartet, seinen Kindern. Dieses Vermögen wurde jedoch nicht in fünf, sondern in sechs Teile geteilt. Zwei davon fielen an Natalie. Niemand wußte, warum sie doppelt so viel wie die anderen bekommen hatte. Aber mißgünstig waren sie alle.

      Einen Teil bekam Susanne als Enkelin der verstorbenen Theresa, und die anderen Teile gingen an die Geschwister. Über diese Verteilung war schon ein wenig gemurrt worden, aber am schlimmsten wurde es, als die anderen Bedingungen bekannt wurden.

      Die Eggebrecht-Werke – so bestimmte Christoph Egge­brecht – sollten in eine GmbH umgewandelt werden. Zwei Geschäftsführer sollten die Betriebe haben. Und das war der Grund für die Aufregung Leopold Eggebrechts! Denn nicht er sollte Geschäftsführer werden, wie er ganz sicher geglaubt hatte, sondern ein der Familie völlig Fremder. Den zweiten Geschäftsführer allerdings konnte die Familie bestimmen. Doch auch hier hatte Christoph Eggebrecht eingeschränkt. Dieser Geschäftsführer konnte nicht ohne Natalies ausdrückliche Einwilligung gewählt werden. Und das sollte heute geschehen.

      Natalie Eggebrecht setzte sich plötzlich aufrecht hin. »Ich möchte etwas zu eurem Plan sagen«, begann sie.

      Erwartungsvolle Stille trat ein. Natalie, die sonst nur als die »alte Jungfer« gegolten hatte, war durch das Testament eine wichtige Person geworden! Was sie sagte, zählte!

      Natalie Eggebrecht begann: »Es schmerzt mich tief«, sagte sie, »daß ihr das Andenken unseres Vaters durch eine solche Handlung verunglimpfen wollt. Ihr wißt alle, daß Vater bis zu seinem letzten Tage geistig gesund und rege gewesen ist und daß er immer gewußt hat, was er tat. Wer etwas anderes behauptet, ist ein Lügner. Aber euer Plan beunruhigt mich nicht. Wir haben genug Zeugen, um nachzuweisen, daß Vater völlig klar war. Ihr werdet mit einer Anfechtung niemals durchkommen.«

      Betroffenes Murmeln entstand. Daran hatten sie nicht gedacht.

      Natalie ließ sich nicht stören. »Ich bin jetzt erst einmal dafür«, fuhr sie fort, »daß wir uns an die Wahl eines Geschäftsführers machen.«

      Sie blickte die anderen der Reihe nach an. Das Stimmengewirr verstärkte sich. Nur Leopold schwieg. Er saß ganz ruhig an seinem Platz, aber in seinen Augen las man die erwartungsvolle Spannung, die ihn beherrschte.

      Dann erhob sich Ludwig Walber. »Mhm…«, begann er, »mhm – ich bin dafür, daß wir – mhm – Leopold dazu bestimmen. Er ist der einzige Träger des Namens Eggebrecht und wohl – mhm – am besten dazu geeignet.« Erwartungsvoll sah er sich im Kreis um, Leopold Eggebrecht bekam bei diesem Lob, das nicht unerwartet kam – denn er hatte das alles mit seinem Schwager vorher ganz genau festgelegt – einen roten Kopf.

      Gertrud Walber nickte ihrem Mann zu, Hubertus von Müller blickte auf seine Frau, und als die ebenfalls zustimmend den Kopf senkte, nickte auch er.

      Die junge Susanne sagte nichts. Sie sah Natalie an, von Tante Natalie hing schließlich die Entscheidung ab.

      Auch die anderen wandten sich Natalie Eggebrecht zu, die sich noch immer nicht geäußert hatte.

      Natalie blickte ihren Bruder eine Weile an. »Mein lieber Leopold«, sagte sie dann, »es tut mir sehr leid für dich, aber – ich kann dieser Wahl nicht zustimmen.«

      Am Tisch herrschte tiefes Schweigen.

      Leopold Eggebrechts Kopf hatte sich so sehr gerötet, daß es fast so aussah, als müsse er jeden Augenblick einen Schlaganfall bekommen. Er atmete mühsam. Zu sagen vermochte er nichts.

      Da sprang sein Schwager ein. »Und warum nicht, meine liebe Natalie?« fragte Ludwig Weiher mit öliger Freundlichkeit.

      »Weil unser Vater niemals ­damit einverstanden gewesen wäre«, gab Natalie ruhig zurück. »Das wißt ihr alle. Es tut mir leid, daß ich so deutlich sein muß, mein lieber Leopold, aber es geht nun einmal nicht anders. Vater würde deiner Wahl niemals zugestimmt haben. Deshalb kann ich es auch nicht. Wenn es dich tröstet …«, fügte sie hinzu, »ich halte auch niemanden anders von unseren männlichen Angehörigen für fähig, ganz zu schweigen von deinem hoffnungsvollen Sprößling.«

      Da sprang Leopold Egge­brecht auf. »Ich verbitte mir das«, schrie er. »Aber ich weiß ja, daß du mich immer gehaßt hast. So sehr, daß du diesen Haß sogar auf meinen Sohn überträgst.«

      »Unsinn«, sagte Natalie. »Ich hasse weder dich noch deinen Sohn Jürgen. Ich weiß nur, genau wie Papa das gewußt hat, daß du zur Leitung des Werkes nicht geeignet bist. Es tut mir leid, aber ich muß dir das in aller Offenheit sagen. Und ich weiß auch, daß dein Sohn hoffnungslos verzogen worden ist. Und wenn ihr tausendmal den Namen Eggebrecht tragt, das allein zählt nicht, Die Werke verlangen Tüchtigkeit. Und es kommt mir keiner in die Fabrik, der nicht tüchtig ist. Nicht, solange ich lebe!«

      Sie schwieg.

      Wieder erhob sich erregter Tumult.

      Natalie störte sich nicht daran. Sie lächelte Susanne an, die ein ganz verstörtes Gesicht machte.

      Dann erhob Ludwig Walber sich wieder. Er hüstelte. »Und wen, meine liebe Schwägerin, schlägst du für diesen Posten vor, wenn wir das fragen dürfen?«

      »Du darfst fragen«, sagte Natalie mit ihrer rauhen Stimme. »Ich werde dir sogar antworten: Für diesen Posten schlage ich unsere Nichte Susanne vor.« Das schlug ein wie eine Bombe!

      »Unmöglich!«

      »Verrückt geworden.«

      »Nicht ganz gescheit!« So ging es hin und her.

      »Tante Natalie!« flüsterte Susanna verwirrt.

      Natalie drückte ihr beruhigend die Hand. Sie wartete, bis es ruhiger wurde. Dann wandte sie

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