Скачать книгу

daß er eine so formlose Anrede gebrauchte. Er kannte Tante Natalie doch kaum!

      Sie fühlte, daß es Dinge gab um Stephan Amsinck, die sie nicht ganz begriff. Und wieder überkam sie eine leise Furcht, wenn sie daran dachte, zu welchem Schritt sie sich entschlossen hatte.

      Während der Wochen ihrer Abwesenheit schrieb sie ihm nur ein paar kurze Kartengrüße. Einmal hatte sie einen Brief schreiben wollen, aber sie hatte stundenlang darüber gebrütet, und dann war doch nichts daraus geworden.

      Ehe sie nach Hause fuhren, wollte sie Tante Natalie noch die Neuigkeit von ihrer Verlobung beibringen. Aber Natalie lächelte leicht, als Susanne davon anfing. »Laß nur, Kind, ich weiß schon alles.«

      Susanne sah Natalie mit großen Augen an. »Du weißt? Aber woher denn?«

      »Stephan…«, sagte Natalie Eggebrecht nun kurz, »er hat es mir gleich am Morgen nach dem Brand erzählt.«

      »Wir werden uns sofort nach unserer Rückkehr verloben«, sagte Susanne. Aber ihre Gedanken waren nicht bei dem, was sie sagte.

      »Stephan«, hatte Tante Natalie gesagt, obwohl Stephan ihr doch ziemlich fremd war. Und wieder fühlte sie, daß sie auf was Geheimnisvolles stieß, das sie sich nicht zu erklären vermochte.

      *

      Susannes Verlobung wurde ein noch viel größeres Fest, als es ihr Geburtstag gewesen war. Als sie die letzten Vorbereitungen trafen, lächelte Natalie Eggebrecht: »Diesmal möchte ich mir aber keine Überraschungen ausgebeten haben. Mein neues Treppenhaus gefällt mir ausgezeichnet.«

      Es war niemals aufgeklärt worden, wie das Feuer entstanden war. Susanne, die es wußte, hatte geschwiegen. Und Jochen Wagner hatte sich niemals als der Urheber gemeldet. Er war froh, daß anscheinend außer ihm niemand daran dachte.

      Natalie Eggebrechts Befürchtung war jedenfalls unnütz. An Susannes Verlobungsfest gab es keine Überraschungen dieser Art.

      Dafür gab es eine andere.

      Am gleichen Abend verkündete Ludwig Walber glückstrahlend die Verlobung seiner Tochter Inge mit Dr. Jochen Wagner.

      Susanne saß ganz ruhig und spielte mit ihrem Glas. Solch ein Mensch war Jochen Wagner also! Ein Mitgiftjäger, der jede heiratete, wenn sie nur Geld hatte! Und ein Feigling, der verschwieg, daß er durch seine Fahrlässigkeit einen Brand verursacht hatte.

      Welch ein Glück, daß sie sich nicht in ihn verliebt hatte! Welch ein Glück, dachte Susanne, daß sie überhaupt nicht lieben konnte.

      Sie warf Stephan einen schnellen Blick zu. Seit jenem ersten Abend hatte er sie nie wieder geküßt. Nach ihrer Rückkehr aus den Bergen ­hatte er sie und Tante Natalie vom Bahnhof abgeholt und sie nur flüchtig umarmt. Tante Natalie aber hatte er einen herzlichen Kuß gegeben, den sie ebenso herzlich erwiderte.

      Eigentlich hätte sie froh darüber sein müssen, daß er so kühl und zurückhaltend war. Aber merkwürdigerweise war sie es nicht. Sie blickte auf Inge Walber, die ihr dünnes, fahlblondes Haar zu einer gewagten Frisur aufgesteckt hatte. Ein leises Neidgefühl stieg in ihr hoch, als sie in das häßliche, aber vor Glück strahlende Gesicht sah. Sie hätte niemals gedacht, daß sie die reizlose Inge um etwas beneiden könnte.

      Aber jetzt beneidete sie sie. Denn Inge Walber machte wenigstens einen glücklichen Eindruck, ganz gleich, aus welchen Gründen Jochen sie heiraten mochte.

      *

      Am Vorabend von Susannes Hochzeit berief Natalie Egge­brecht eine Familienversammlung ein.

      Die Familie erschien vollzählig.

      Als letzter kam Leopold Eggebrecht. Seine Augen waren leicht gerötet, und als er sich einen Stuhl heranzog, um sich an den Tisch zu setzen, sahen die anderen, daß er ein wenig schwankte.

      Natalie warf ihm einen Blick zu, der gleichzeitig verächtlich und traurig war. Sie liebte ihren Bruder trotz allem. Aber dann dachte sie an ihren Vater. Welchen Kummer hatte er gehabt, dieses Sohnes wegen!

      Wie oft hatte Leopold Egge­brecht seinem Vater versprochen, nicht mehr zu trinken! Und wie oft hatte er dieses Versprechen gebrochen!

      Rudolfine von Müller sprach als erste. Sie lächelte ihr spitzes Lächeln zu Susanne hinüber. »Ich muß unsere Großnichte loben«, sagte sie mit ihrer kalten Stimme, die immer ein wenig spöttisch war. »Sie hat es doch wirklich fertiggebracht, den Eindringling…« Rudolfine sprach das Wort fast genüßlich aus, »dahin zu bringen, zu tun, was sie will. Ich hoffe, daß ihr das im Sinne unserer Familie auch weiterhin gelingen wird.«

      Sie sah sich unter ihren Geschwistern um. Ludwig Walber und seine Frau nickten ihr zu. Und ihr Mann nickte natürlich gleichfalls. Leopold Eggebrecht sagte nichts. Er döste anscheinend unbeteiligt vor sich hin.

      Natalie Eggebrechts Gesicht jedoch wurde blaß vor Zorn. Welch eine taktlose Bemerkung! Was würde geschehen, wenn irgend jemand einmal in Stephans Gegenwart so etwas sagen würde? Sie wagte nicht, darüber nachzudenken.

      Susanne war tief errötet.

      Sie hatte fast vergessen, daß der Vorschlag, sie mit Stephan Amsinck zu verheiraten, auf der letzten Familiensitzung von Tante Rudolfine aufgebracht worden war.

      Und plötzlich schämte sie sich furchtbar.

      Sie dachte an den Abend, an dem Stephan sie geküßt hatte. Wie weich und warm hatte seine Stimme geklungen!

      Aber dann beruhigte sie sich. Jetzt war er ja nicht mehr so. Gott sei Dank, fügte sie in Gedanken hinzu und fühlte gleichzeitig eine kleine Enttäuschung. Nein, jetzt war er fast geschäftsmäßig kühl.

      Und erleichtert dachte sie, daß es ihn wohl gar nicht einmal so sehr treffen würde, wenn er hörte, wie sie auf die Idee gekommen war, ihn zu heiraten. Daß sie ihn hatte heiraten wollen, obwohl sie ihn haßte.

      Susanne saß tief in Gedanken.

      Und plötzlich wurde ihr klar, daß sie Stephan nicht mehr haßte.

      Nein, sie haßte ihn wirklich nicht mehr.

      Seit jenem Abend nicht, als er über den brennenden Flur hinweg gekommen und nach ihr gesucht hatte. Seit jenem Augenblick nicht mehr, als sie den Puder auf seine verbrannten Hände gestreut und mit ihrem Taschentuch seine Augen gekühlt hatte.

      Ehe sie weiter darüber nachdenken konnte, erhob sich Natalie Eggebrecht neben ihr.

      »Ich habe euch am Vorabend von Susannes Hochzeit hierhergerufen«, sagte sie, »weil ich euch Mitteilung von einigen Veränderungen machen möchte, die in gewisser Weise euch alle mitbetreffen. Ihr wißt, daß Vater sein Vermögen nicht in fünf, sondern in sechs Teile geteilt hat. Zwei dieser Teile fallen an mich. Der eine davon ist mein persönliches Eigentum, den anderen jedoch hat Vater mir mit der ausdrücklichen Weisung vermacht, darüber nach meinem Wunsch zu verfügen. Das habe ich heute nachmittag getan.« Sie erhob ihre Stimme ein wenig »Ich habe nämlich diesen Teil bei Dr. Mußner auf Susannes Verlobten und künftigen Mann überschreiben lassen. Damit ist er jetzt nicht nur Geschäftsführer, sondern auch Mitgesellschafter geworden.«

      Einen Augenblick herrschte Ruhe.

      Dann brach der Tumult los. Susanne war tief betroffen. Rund um sie schrien und erregten sich die anderen. Warum hatte Tante Natalie das getan?

      Rudolfine fragte das gleiche. Mit eisiger Stimme sagte sie: »Sag einmal, Natalie, was denkst du dir eigentlich? Manchmal kommt es mir vor, als wärt ihr beide, du und Vater, hoffnungslos verrückt geworden. Erst macht Vater diesen wildfremden Menschen zum Geschäftsführer der Firma. Daraufhin verheiraten wir ihn mit Susanne, um ihn einigermaßen unschädlich zu machen. Und nun kommst du und überschreibst ihm diesen Anteil. Warum tust du das eigentlich für diesen wildfremden, hergelaufenen Kerl?«

      Ehe Natalie Eggebrecht antworten konnte, war ihr Bruder aufgestanden. Bisher hatte er teilnahmslos auf seinem Stuhl gesessen und aus glasigen Augen auf die Tischplatte gestarrt. Jetzt erhob er sich langsam. Die eine Hand hatte er schwer auf die Tischplatte gestützt. »Ich könnte es dir erzählen,

Скачать книгу