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das geglaubt habt, so habt ihr euch geirrt. Dieser junge Mann…«, er deutete mit der Hand auf Stephan, »ist nämlich ein Enkel unseres Vaters.«

      Leopold blickte seine Schwester triumphierend an.

      Die anderen sahen ebenfalls auf Natalie, ungläubig und erstaunt. Rudolfine faßte sich – wie immer – als erste.

      »Du willst also sagen«, wandte sie sich an ihren Bruder, »daß dieser junge Mann…«, sie deutete mit ihrem Lorgnon auf ­Stephan, »der Sohn unserer Schwester Natalie ist?«

      Leopold Eggebrecht nickte.

      Die maßlose Verstörung in Natalie Eggebrechts Gesicht löste sich. Aber ehe sie etwas sagen konnte, lachte Stephan neben ihr laut auf. Es war ein hartes Lachen, ohne jede Fröhlichkeit. Dann erhob er sich.

      Er blickte Leopold Egge­brecht an. »Sie Narr!« sagte er in einem Ton, der von Verachtung gesättigt war. »Sie hoffnungsloser Narr!«

      Natalie war aufgesprungen. »Nicht, Stephan«, sagte sie fast angstvoll, »du darfst nicht so reden! Komm – ihr müßt jetzt gehen. Es ist Zeit für euch!«

      Stephan atmete schwer, dann sagte er: »Ja, wir müssen gehen.« Er beugte sich zu Susanne und bot ihr den Arm. Schweigend gingen sie hinaus.

      Natalie folgte ihnen.

      Die Familie starrte einen Augenblick nur stumm hinter den dreien her.

      Dann brach es los.

      Sie bestürmten Leopold mit tausend Fragen, bis Rudolfine in ihrer üblichen Gelassenheit sagte: »Nun laßt Leopold doch einmal erzählen, was das alles bedeutet. Ich muß schon sagen, das ist eine der interessantesten Neuigkeiten, die ich je gehört habe. Nun schweigt schon!« fuhr sie die anderen an. »Man versteht ja nicht einmal sein eigenes Wort.«

      Die Familie wurde ruhig. Rudolfine hatte recht. Sie blickten auf Leopold Eggebrecht, der sich im Bewußtsein seiner Wichtigkeit aufplusterte wie ein Pfau.

      Er erzählte: »Wie ihr wißt, kam mir die Vergangenheit dieses Burschen schon immer nicht ganz geheuer vor. Ich habe also einen Detektiv dahinter gehetzt. Und der hat folgendes herausbekommen: Dieser Amsinck ist ein uneheliches Kind. Er ist in einem Heim aufgezogen worden, in einem sehr teuren Heim übrigens, später ist er dann zu einem Eisenbahnangestellten namens Amsinck gekommen und von dem adoptiert worden. Nun, das ist nicht besonders interessant. Aber interessant ist folgendes: Unser Vater…«, hier machte Leopold Eggebrecht eine bedeutungsvolle Pause, »unser Vater hat die Pflegegelder für dieses Kind – und zwar erhebliche Summen – gezahlt. Später sind aus der gleichen Quelle die Erziehung, Studium usw. finanziert worden.«

      Rudolfine mischte sich ein. »Aber das sagt doch immer noch nicht, daß Natalie seine Mutter ist.« Ihre Stimme klang enttäuscht.

      Leopold Eggebrecht beugte sich vor. »In dem Bericht, den der Detektiv mir schickte, steht außerdem, daß Natalie sehr oft in diesem Heim gewesen ist und den Jungen besucht hat. Später, als der Junge bei den Amsincks war, sind diese Besuche unterblieben. Wahrscheinlich sollte er nicht wissen, wer seine richtige Mutter war.«

      Die Familie schwieg erstarrt. Sie glaubten jetzt alle das Ungeheuerliche, das Leopold Eggebrecht behauptet hatte.

      »Im übrigen ist festgestellt worden…«, sagte er, »daß Natalie sich zum Zeitpunkt der Geburt des jungen Amsinck in der gleichen Stadt und – an der gleichen Adresse aufhielt. Reicht euch das?«

      Die anderen schwiegen noch immer.

      »Ja«, Leopold Eggebrecht lachte, »das ist unsere Schwester Natalie, die so gern über andere den Stab bricht.«

      Rudolfine schüttelte indigniert den Kopf. »Ein uneheliches Kind!« Ihre Stimme klang ätzend. »Welche Schande.«

      Ludwig Walber stand auf. Er hatte bisher geschwiegen, jetzt sagte er: »Ich nehme an, es ist euch klar, daß dieser junge Mann einen Anspruch geltend machen kann auf den Namen Eggebrecht. Und dann würde die Schande offenbar.«

      Sie starrten sich entsetzt an. An diese Möglichkeit hatten sie nicht gedacht.

      Da sagte Natalies Stimme von der Tür her – und diesmal klang sie eisiger, als Rudolfines Stimme je hätte klingen können: »Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Die Schande wird nicht offenbar werden! Stephan Amsinck hat nämlich keinen Anspruch auf den Namen Eggebrecht, obwohl er…«, sie sah ihren Bruder an, »tatsächlich ein Eggebrecht ist.«

      Dann wandte sie sich wieder den anderen zu. »Leopold hat anscheinend einen sehr tüchtigen Detektiv gehabt. Er hat in vielem recht, nur in einem nicht: Stephan ist nicht mein Sohn! – Leider, möchte ich sagen, denn ich wäre dem Himmel dankbar, wenn ich einen solchen Sohn hätte. Aber er ist es nicht!«

      Natalie blickte einen Augenblick schweigend in die Gesichter der anderen, dann fuhr sie fort: »Stephan Amsinck ist…«, sie hob ihre Stimme und blickte ihren Bruder an, »dein Sohn, Leopold!«

      Die Stille, die auf diese Worte folgte, war unheimlich, Leopold Eggebrechts Gesicht war kalkweiß geworden.

      Natalie sprach weiter. »Vater und ich haben uns seit Ste­phans Geburt bemüht, das nicht ans Licht kommen zu lassen. Nicht, weil wir die Schande fürchteten, sondern deinetwegen – denn du hattest schließlich eine Familie.«

      Jetzt sahen sie alle auf Leopolds Frau. Aber Maria Egge­brecht machte ein unbewegliches Gesicht. Ihr Mann hatte sich schon so viel geleistet, daß sie ihm auch dies noch zutraute. Und wenn sie ihn einmal geliebt hatte, so war dies längst vorüber.

      Natalie sprach weiter. »Es wäre nie ans Licht gekommen, wenn du selber nicht an die Vergangenheit gerührt hättest.«

      Leopold Eggebrecht hatte sich gefaßt. Er lachte heiser. »Du willst wohl den Spieß umdrehen«, sagte er. »Ich muß schon sagen, das finde ich reichlich kühn. Aber dann mußt du auch Beweise bringen. Und das dürfte dir schwerfallen.« Er hob seine Stimme. »Ich werde dich wegen Verleumdung verklagen, auch wenn du meine Schwester bist.«

      Natalie hatte für diese Bemerkung nur ein verächtliches Achselzucken. »Laß mich zu Ende reden«, sagte sie. »Wenn du dann noch Beweise haben willst, sollst du sie gern haben.«

      Sie ging zum Fenster. Die Augen der anderen hingen wie gebannt an ihr. Was stimmte nun? Leopolds Behauptung oder die Natalies?

      »Es war vor dreiunddreißig Jahren«, begann Natalie mit leiser Stimme, »als Leopold zu Vater gerufen wurde wegen eines Briefes.«

      Leopold Eggebrecht machte eine hastige Bewegung. Auf seiner Stirn standen winzige Schweißtropfen.

      Er erinnerte sich jäh.

      *

      Vor dreiunddreißig Jahren.

      Leopold Eggebrecht saß an seinem großen Schreibtisch. Um seinen Mund spielte ein behagliches Lächeln. Er dachte an den vergangenen Abend. Mit Geschäftsfreunden war er in einer Bar gewesen. Und nachher – nun, darüber spricht man nicht. Das Leben konnte doch sehr reizvoll sein.

      Da klingelte das Telefon.

      Er nahm den Hörer ab. »Eggebrecht«, sagte er nachlässig in die Muschel hinein. Dann veränderte sich sein Gesicht jäh. Ein unbehaglicher Ausdruck war plötzlich darin. »Jawohl, Vater«, sagte er, »jawohl, ich komme. Sofort, Vater.«

      Dann legte er den Hörer hin und erhob sich. Seine gute Laune war wie weggeblasen. Was der Alte nur schon wieder wollte?

      Die Stimme hatte nach Gewitter geklungen.

      Aber Leopold Eggebrecht war sich ausnahmsweise einmal keiner Schuld bewußt.

      Doch als er in das Zimmer seines Vaters trat, wußte er, daß er richtig geahnt hatte. Es würde ein Gewitter geben! Und was für eines!

      Der alte Mann am Schreibtisch hatte ein todernstes Gesicht. »Da bist du ja, Leopold«, sagte er ruhig, »bitte, nimm Platz.« Er deutete auf einen Sessel gegenüber dem Schreibtisch.

      Als Leopold sich hingesetzt hatte, hob der alte Mann den Kopf. Seine klugen

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