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brennende Schmerz in ihrem Herzen ließ nicht nach.

      Die beiden draußen waren endlich mit dem Abschiednehmen fertig. Ada winkte noch einmal, dann stöckelte sie auf ihren zierlichen, eleganten Schuhen davon.

      Inge dachte an ihre eigene Grobknochigkeit, an ihre Schwerfälligkeit, und Haß gegen die graziösere Freundin stieg in ihr hoch. Haß aber auch gegen ihren Mann. Ein Haß, der jedoch nichts anderes als eine hoffnungslose Liebe war.

      Als Jochen Wagner an diesem Tag spät in der Nacht nach Hause kam, wartete seine Frau noch auf ihn. Sie saß im Wohnzimmer.

      Er ging auf sie zu, unbefangen und fröhlich.

      »Nanu, Inge, du bist noch nicht zu Bett gegangen?« Noch während des Sprechens drückte er einen flüchtigen Kuß auf ihre Stirn. Inge empfand zum erstenmal, wie lieblos dieser Kuß war.

      »Nein«, sagte sie mit einer fremden, kalten Stimme, »nein, ich bin noch nicht zu Bett gegangen.«

      Er blickte sie ein wenig erstaunt an. Was hatte sie nur? Wohl wieder eine ihrer Launen!

      Er runzelte die Stirn. Sie konnte wirklich lästig werden! Er konnte überhaupt nicht recht verstehen, warum er sie geheiratet hatte. Ihre Mitgift war längst nicht so hoch gewesen, wie er sich das vorgestellt hatte. Ludwig Walber verbrauchte das Geld seiner Frau immer selbst. Natürlich war da noch das Erbteil. Aber darauf konnte man unter Umständen noch lange warten. Und die Stellung in der Fabrik, die er sich von seiner Heirat versprochen hatte, ließ auch noch auf sich warten. Natalie Eggebrecht, die letztlich darüber zu bestimmen hatte, war sehr kritisch und hatte viel Geduld, zuviel für einen so ehrgeizigen Menschen wie Jochen Wagner.

      Aber, so dachte der Arzt, und ein leichtsinniges Lächeln ging über sein schönes Gesicht, er würde sich schon schadlos zu halten wissen! Es gab genug schöne Frauen, die sich nicht dafür interessierten, ob ein Mann verheiratet war oder nicht.

      Ada Hertling zum Beispiel. Schade, daß er sie nicht früher kennengelernt hatte. Wer weiß, wie dann alles gekommen wäre! Aber es war ja noch immer Zeit!

      Inges grämliche Stimme störte ihn in seinen Gedanken. »Hast du so lange arbeiten müssen?« fragte sie lauernd.

      Er ging zum Schrank und holte die Kognakflasche heraus. »Ja«, sagte er, während er sich das Glas vollgoß, »den ganzen Tag habe ich mich mit dieser Impfung beschäftigen müssen. Es war eine Heidenarbeit, sage ich dir. Ich wäre so gern heute nachmittag schon nach Hause gekommen, aber es ging wirklich nicht.«

      Inge gab keine Antwort. Nach einer Weile sagte sie, ohne ihre Stimme zu heben: »Ich habe dich heute nachmittag gesehen.«

      Jochen Wagner ließ langsam das Glas, das er eben hatte wieder füllen wollen, sinken. Er atmete einmal ganz tief, aber er sagte nichts.

      Inge saß ruhig in ihrem Sessel. Nach einer Weile sagte sie mit der gleichen eintönigen Stimme wie vorhin: »Ich sagte, ich habe dich heute nachmittag gesehen!«

      Jochen Wagner hatte sich gefaßt. »Ach wirklich?« Er wandte sich zu ihr um. »Und wo, wenn ich fragen darf?«

      Inge erhob sich. »Du standest vor dem Café Wellner«, sagte sie und ließ ihre Augen nicht von ihm, »auf der anderen Straßenseite, und bei dir war Ada Hertling. Als ich euch sah, zupfte sie gerade an deiner Krawatte.«

      Jochen Wagner lachte nervös auf. »Ja, wir hatten uns zufällig getroffen«, begann er.

      Inge hob abwehrend die Hand. »Bitte nicht«, ihre Stimme klang unendlich müde. »Ich vermute«, sagte sie nach einer Weile, »daß ihr euch öfter so zufällig trefft.«

      Ihr Mann gab keine Antwort.

      Da war es plötzlich mit Inges Selbstbeherrschung zu Ende.

      Sie hatte damit gerechnet, daß er zärtlich werden und sie um Verzeihung bitten würde. Und versprechen, daß so etwas nie mehr geschehen sollte.

      Als nichts dergleichen ge­schah, fiel ihre mühsam auf­recht­erhaltene Selbstbeherrschung von ihr ab. Sie war nichts anderes mehr als eine keifende, eifersüchtige Frau. »Du Lump«, schrie sie, »du Betrüger! Weißt du, wie lange wir verheiratet sind? Nicht einmal ein halbes Jahr. Und jetzt kommst du und machst mich zum Gespött der Leute.« Sie schluchzte trocken. »Oh, wie sie reden werden! Und ich habe so geprahlt mit meinem Mann.« Sie vermochte sich nicht zu beruhigen.

      Dr. Wagner goß sich erneut sein Glas voll. Ihr Ausbruch gab ihm seine Ruhe wieder. »Mein Gott, Inge«, sagte er mit leichter Ungeduld, »ich wünschte, du würdest nicht ein solches Theater machen. Das ist ja unerträglich. Es ist doch nichts anderes passiert, als daß ich auf der Straße eine deiner Freun­dinnen getroffen habe.«

      Da trat sie dicht auf ihn zu. »Jochen!« Aus ihrer Stimme sprach eine zaghafte Hoffnung. »Ist das wirklich wahr? Hast du sie nur zufällig auf der Straße getroffen?«

      Jochen Wagner zögerte einen Augenblick, ehe er die Lüge aussprach, die er schon auf der Zunge hatte.

      Aber da war es zu spät. Inge wußte, daß er nicht die Wahrheit sagen würde. Müde wandte sie sich ab. Sie sagte jetzt nichts mehr.

      Es hatte ja alles keinen Sinn. In diesem Augenblick war ihre Ehe zerbrochen, das wußte sie. Von nun an würde Jochen sie noch rücksichtsloser betrügen.

      Langsam drehte sie sich um und ging in ihr Schlafzimmer.

      Jochen Wagner starrte seiner Frau nach.

      Als sie gegangen war, füllte er noch einmal sein Glas. Er trank es langsam leer. Was wollte Inge eigentlich von ihm? Glaubte sie wirklich, daß er sie liebte?

      Er fand, daß sie ein bißchen zuviel Theater machte. Und er war entschlossen, sich durch sie nicht in seiner Lebensführung beeinflussen zu lassen. Er wollte noch etwas vom Leben haben, trotz der Ehe, die ihm heute ein wenig übereilt vorkam. Das Leben konnte sehr nett sein!

      Er lächelte vor sich hin, während er das dachte.

      Ada Hertling!

      Sie war nicht schön, aber sie hatte Charme. Und sie war niemals langweilig wie Inge. Ob er sie nicht noch einmal aufsuchen sollte? Inges griesgrämiges Gesicht zu sehen, dazu hatte er sowieso keine Lust.

      Während er die Flasche in den Schrank zurückstellte, pfiff er unternehmungslustig. Dann ging er in die Diele und nahm seinen Mantel. Inge würde ihn heute nicht mehr wiedersehen!

      Inge Wagner lag wach in ihrem Bett und horchte auf die Schritte, die zur Wohnungstür gingen und sich dann entfernten.

      Jochen ging noch einmal weg?

      Das brachte er fertig?

      Sie hatte noch immer gehofft, er würde in ihr Schlafzimmer kommen und um Verzeihung bitten.

      Statt dessen ging er.

      Inge schluchzte auf. »Jochen«, schrie sie, als könne sie ihn damit zurückholen.

      Aber Jochen Wagner war schon auf dem Weg zu Ada Hertling und verschwendete keinen Gedanken mehr an seine Frau.

      *

      Es war schon fast wieder Winter, als die Familie zum erstenmal seit Leopolds Tod wieder an dem großen Tisch im Eßzimmer saß.

      Zwei neue Gesichter waren hinzugekommen: Stephan und Dr. Wagner. An sich hatte Jochen Wagner kein Recht, mit anwesend zu sein, da er nicht zu den Gesellschaftern gehörte, aber sein Schwiegervater hatte um seine Anwesenheit gebeten. Er hatte zu Natalie gesagt: »Schließlich wird Jochen nach meinem Tod meine Stelle hier einnehmen müssen. Da ist es besser, wenn er jetzt schon eine Ahnung bekommt, worum es sich handelt.«

      Natalie Eggebrecht hatte zugestimmt. Es war ihr gleichgültig gewesen, ob der Arzt dabei war oder nicht.

      Sie hatte keine Ahnung, daß es gar nicht gleichgültig war. Denn an jenem Tag kam es zu jener tödlichen Feindschaft zwischen Jochen Wagner und Stephan Amsinck, zu jener Feindschaft, die schließlich Susannes Glück zu zerstören drohte.

      Es war schon gegen Ende der Versammlung, als Ludwig

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