Скачать книгу

stumm den Kopf.

      Nach dem Essen gab sie Susanne den Brief.

      »Da, Kind, lies ihn!« Dann ging sie hinaus.

      Als Susanne den Brief gelesen hatte, war auch die kleine Hoffnung, die einen Augenblick in ihr aufgeflammt war, wieder erloschen.

      Stephan war unversöhnlich. Nicht ein einziges gutes Wort hatte er für sie gefunden. Nein, es war alles zu Ende! Sie mußte sich damit abfinden!

      Langsam sank die Hand mit dem Brief in den Schoß. Ein paar schwere Tränen fielen darauf.

      *

      Es wurde viel getuschelt über Stephan Amsincks Verschwinden.

      Was mochte es zu bedeuten haben? Geschäftliche Schwierigkeiten?

      Ein paar Leute, die mit den Eggebrecht-Werken zu tun hatten, wurden vorsichtig, was die Kredite anbetraf.

      Oder war es etwas Persönliches?

      Niemand erfuhr Genaues. Susanne setzte ein so abweisendes Gesicht auf, wenn sie jemand danach fragen wollte, daß niemand sich traute.

      Susanne hatte es nicht leicht in diesen Wochen nach Ste­phans Weggehen. Sie mußte jetzt alles das mit erledigen, was vorher Stephans Aufgabe gewesen war. Und außerdem kamen jetzt auch noch die Vorsichtigen, die ihre Kredite zurückzogen. Die Eggebrecht-Werke würden es tragen können, aber Sorgen hatte Susanne doch.

      Oft saß sie noch bis in die Nacht hinein über ihrer Arbeit. Um dann frühmorgens wieder pünktlich im Betrieb zu sein. Sie gönnte sich keine Ruhe. Arbeit war eine gute Ablenkung, und eine Ablenkung brauchte sie.

      Manchmal hatte sie noch die unsinnige Hoffnung, Stephan würde wiederkommen.

      Oft, wenn es klingelte, sprang sie der Gedanke an: Stephan! Das mußte er sein! Aber er war es nie.

      Doch die Werke sollten so in Ordnung sein, daß er jeden Tag wiederkommen konnte, ohne sie anders zu finden, als es zu seiner Zeit gewesen war.

      *

      Über Norwegen stand eine blasse Wintersonne. Meterhoch lag der Schnee.

      Stephan Amsinck stand vor der Tür eines großen Hofes, dessen Mauern weißer noch leuchteten als der Schnee rund­um.

      Er atmete tief! Daß die Welt so schön sein konnte, hatte er nicht gewußt.

      Zwei Monate war er nun schon hier zu Gast bei seinem Freund Helge Börnsen.

      Zwei Monate in dieser herrlichen, großartigen Landschaft, die so deutlich erkennen ließ, wie klein und nichtssagend menschliches Leid und menschliche Freude sind.

      Neben Stephan stand Helge.

      Sie hatten die Skier umgeschnallt, denn heute sollte es weit hinausgehen in das winterliche Land.

      Helge wandte ungeduldig den Kopf: »Wo nur Sigrun bleibt?«

      Stephan beschwichtigte ihn. »Sei ein bißchen geduldig, Helge. Frauen brauchen nun einmal ein bißchen mehr Zeit als Männer. Im übrigen – da kommt sie schon.«

      In der Tür des großen Hauses stand ein junges Mädchen in farbenfrohem Skianzug: Sig­run­ Börnsen, Helges schöne Schwester.

      Sigrun war ein echtes Kind ihrer nordischen Heimat: blond und blauäugig, unkompliziert in ihrem Denken und Fühlen und von einer unbesiegbaren Lebensfreude.

      Ein Mensch, den man lieben mußte!

      Sie strahlte die beiden Männer an: »Es tut mir ja so leid, daß ihr warten mußtet.«

      Ihr Bruder unterbrach sie. »Es ist schon gut. Dafür hast du dich auch besonders schön gemacht. So lange hast du noch nie gebraucht zum Umziehen.«

      Siegrun wurde rot. Ein schneller Blick ging zu Stephan Amsinck. Aber der blickte gerade auf den Weg, als habe er nichts gehört.

      Später fuhren sie durch den tiefverschneiten Winterwald.

      Helge war ein wenig zurückgeblieben. Etwa fünfzig Meter vor ihm liefen Stephan und Sigrun. Und Helge Börnsen dachte, daß er keinen größeren Wunsch hatte, als diesem Mann seine Schwester anvertrauen zu können. Er wußte, daß auch Sigrun in ihrer Unbefangenheit nichts mehr wünschte als dies.

      Er lächelte ein wenig über seine Gedanken.

      Ob Stephan überhaupt an so etwas dachte? Er zeigte es jedenfalls nie.

      Sigrun dagegen! Sie zeigte deutlich, was sie für den Freund ihres Bruders empfand. Er war ihr Maßstab geworden. Sie wandte sich immer an ihn, seit er hier war, und bat um sein Urteil, wenn sie etwas las oder tat.

      Ja, schön wäre es, wenn Stephan und Sigrun ein Paar werden könnten, dachte Helge Börnsen noch einmal, während sein Blick den Gestalten der beiden folgte.

      Gleißend blond lag das Haar des Mädchens auf dem grellroten Anorak. Schön war Sigrun!

      Gab es einen Mann, der an ihr vorübergehen konnte?

      *

      Natalie Eggebrecht hatte große Sorgen.

      Seit Stephans Weggang hatte sich Susanne auf eine besorg­niserregende Art verändert. Man konnte die junge Frau kaum wiedererkennen, so still war sie geworden, so ruhig.

      Sie machte nicht einmal einen unglücklichen Eindruck. Aber es war, als sei sie vollkommen gleichgültig geworden, als könne sie nichts mehr freuen.

      Nur an ihrer Arbeit hatte sie noch Interesse. Viel zuviel arbeitete sie.

      Aber als Natalie das Susanne gesagt hatte, da hatte die junge Frau nur still gelächelt. »Laß mich, Tante Natalie«, hatte sie gebeten, wenn ich arbeite, fühle ich mich am allerwohlsten. Und – die Eggebrecht-Werke brauchen mich!«

      Und das war Natalie Egge­brechts zweite Sorge.

      Die Eggebrecht-Werke! Seit Stephans Weggang fing es zu kriseln an. Andere Firmen begannen, sich von den Werken zurückzuziehen. Niemand vermochte zu begreifen, warum dieser Amsinck weggegangen war. Das mußte eine Bedeutung haben! Und sicher keine gute!

      Gestern war sogar Rudolfine bei Natalie gewesen. Ohne Vorrede hatte sie gefordert, Natalie möge Stephan zurückholen. Man rede nicht gut über die Werke.

      Natalie hatte bitter gelächelt. »Ich dachte, du seist gegen ihn?« hatte sie gefragt.

      Rudolfine hatte kühl mit den Achseln gezuckt. »Meine liebe Schwester…«, hatte sie geantwortet, »mir kommt es auf den Gewinn an, den die Werke abwerfen. Und dazu braucht man anscheinend diesen jungen Mann.«

      Natalie war ebenfalls sehr kühl geworden. Sie hatte sich erhoben. »Es tut mir leid, Rudolfine«, hatte sie geantwortet, »aber da kann ich dir leider nicht helfen.«

      Natalies Sorgen erwiesen sich als allzu berechtigt.

      Eines Tages geschah das Unglück.

      Es war an einem kristallklaren Januarvormittag, als sie vom Werk aus angerufen wurde.

      Die Stimme des alten Prokuristen meldete sich, ein wenig zittrig vor Aufregung. »Gnädiges Fräulein«, sagte der alte Clasen, »Frau Amsinck ist ohnmächtig geworden. Sie wird zu Ihnen herübergebracht – ich wollte Ihnen nur vorher Bescheid geben, damit Sie nicht zu sehr erschrecken.«

      Natalie erschrak trotzdem. Aber sie nahm sich zusammen. »Es ist gut, Clasen«, sagte sie gefaßt. Aber ihr Herz klopfte wild vor Aufregung. »Wie ist es gekommen?« fragte sie den alten Mann.

      Clasen zögerte einen Augenblick. »Sie hat wohl eine Aufregung gehabt«, sagte er nun. »Frau Wagner ist nämlich im Büro gewesen.«

      Natalie Eggebrecht überlegte.

      Inge?

      Was mochte es denn da wohl Aufregendes gegeben haben?

      Aber sie überlegte nicht lange. Das würde sie später schon noch erfahren. Jetzt mußte erst einmal alles für Susanne gerichtet werden. Sie hatte die Hand schon

Скачать книгу