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sagen, daß ich keine nennenswerte Besserung an ihr feststellen kann. Als sie mich zum erstenmal riefen, habe ich ständige Ruhe verordnet. Vollkommene Ruhe – wohlgemerkt. Aber Frau Amsinck richtete sich nicht nach meinen Anordnungen. Der Erfolg ist, daß alles beim alten bleibt. Sie nimmt weiter ab, und ihr Aussehen gefällt mir auch nicht. Wenn es so weitergeht«, der Arzt sah Natalie Eggebrecht ernst an, »dann muß ich jede Verantwortung ablehnen. Es handelt sich ja nicht nur um Frau Amsinck, sondern auch um das Kind.« Er schwieg und wartete auf Natalies Antwort.

      Natalie Eggebrecht nickte. »Ich weiß«, antwortete sie, »aber ich weiß nicht, was ich dagegen machen könnte. Meine Nichte ist die einzige Geschäftsführerin der Eggebrecht-Werke, und sie glaubt, daß dort drüben alles drunter und drüber geht, wenn sie so plötzlich wegbleibt. Es ist außer ihr niemand da, der die Übersicht über die gesamten Werke hat. Verstehen Sie?«

      Der Arzt nickte. »Das tut mir leid«, sagte er, »aber ich muß trotzdem darauf bestehen, daß meine Anordnungen befolgt werden.«

      Vielleicht fragte er sich in diesem Augenblick, wo denn der Mann dieser Frau Amsinck war.

      Er war neu in der Stadt und der Klatsch war noch nicht zu ihm gedrungen. Warum hatte er diesen Mann noch nicht kennengelernt? War dieser Amsinck nicht in der Lage, seine Frau zu vertreten?

      »Und was wollen Sie machen, wenn das Kind da ist?« fragte er gedankenvoll. »Ich meine, dann kann Frau Amsinck ja auch nicht gleich wieder arbeiten. Haben Sie denn wirklich niemanden?«

      Natalie Eggebrecht schwieg.

      Hatten Sie niemanden?

      War da nicht noch der Mann, den ihr Vater zu seinem Nachfolger bestimmt hatte? Ste­phan!

      Sie reichte dem Arzt die Hand. »Ich werde versuchen, einen Weg zu finden«, sagte sie und verabschiedete sich.

      Noch am gleichen Tag setzte sie sich hin und schrieb einen langen Brief. Als sie den Brief adressierte, zitterte ihre Hand vor Aufregung.

      Ob er kommen würde?

      *

      Der große weiße Hof lag im Dunkel einer norwegischen Winternacht.

      Sie saßen vor dem Kamin, heißen herrlichen Punsch in den Gläsern. Es war ein schöner Tag gewesen, und sie waren müde vom Skilaufen. »Erzählen Sie von Deutschland, Stephan«, bat Sigrun. »Sie haben uns kaum jemals von Ihrer Heimat erzählt.«

      Stephans Gesicht wurde ernst und zurückhaltend, wie immer, wenn die Rede auf Deutschland kam.

      Helge beobachtete ihn. War da etwas, was den Freund bedrückte? Er bekam manchmal Briefe, nach denen er diesen abwesenden Ausdruck im Gesicht hatte wie jetzt.

      »Was soll ich Ihnen erzählen, Sigrun…« Stephan versuchte zu lächeln. »Ihre Heimat ist doch ebenso schön.«

      »Ja – aber Deutschland ist anders«, sagte Sigrun, »Helge hat es mir oft erzählt.«

      »Ja…« Stephan nickte schwer. Der Gedanke an Deutschland überfiel ihn plötzlich und mit Wucht. »Deutschland ist anders«, sagte er leise. »Ganz anders.« Seine Augen waren in eine unbestimmbare Ferne gerichtet.

      Die beiden merkten, daß er an etwas dachte, zu dem sie keinen Zutritt hatten. Und Sigrun Börnsen fühlte eine tiefe, wehe Traurigkeit. Es war ihr auf einmal, als sähe sie jetzt den wahren Stephan, einen Ste­phan, der ihr niemals gehören konnte und würde, so sehr sie ihn auch lieben mochte.

      *

      Sigrun war schon zu Bett gegangen, als Helge das Gespräch noch einmal auf Deutschland brachte. »Sigrun möchte so gern einmal hin«, sagte er. »Ich bin dafür«, er zwinkerte dem Freund zu, »daß sie ihre Hochzeitsreise dorthin macht.«

      Stephan verstand die Anspielung.

      Aber ehe er etwas sagen konnte, sprach Helge schon weiter. »Sie muß nur noch den Mann dazu finden«, sagte er. »Sie ist nämlich ein bißchen wählerisch, weißt du? Seit du hier bist«, er sah den Freund vertraulich an, »ist das anders geworden.«

      Helge Börnsen schwieg erwartungsvoll: Jetzt mußte Stephan sagen, wie Sigrun ihm gefiel!

      Stephan spielte mit seinem Glas. »Ich muß dir etwas erzählen, Helge«, sagte er ernst. »Als ich vor drei Monaten zu euch kam, hatte ich eine schwere Enttäuschung hinter mir. Ich hätte dir vielleicht gleich davon erzählen müssen, aber ich konnte nicht darüber sprechen. Heute muß ich es tun, Sigruns wegen…« Er stand auf. »Ich bin verheiratet, Helge!« sagte er.

      Helge Börnsen vermochte vor Überraschung nichts zu sagen.

      Stephan sprach weiter. »Ich habe meine Frau aus Liebe geheiratet. Und ich glaubte, auch bei ihr sei das der Fall gewesen. Als ich dann erfuhr, daß es anders war, bin ich gegangen.«

      Helge sah auf. »Und was willst du jetzt tun?«

      Stephan zuckte die Achseln.

      Helge Börnsen überlegte. Arme Sigrun, dachte er. So schön hätte es sein können. Er wußte, wie sehr die Schwester den dunklen, stillen Stephan Amsinck liebte! Arme Sigrun!

      »Und – du willst dich nicht scheiden lassen?« fragte er.

      Stephan schüttelte den Kopf. Sein Gesicht lag im Schatten, und als Helge forschend hineinblickte, konnte er nichts erkennen. »Dann liebst du sie also noch?« fragte er.

      Stephan schwieg eine Weile. Dann atmete er tief durch. »Ja, ich liebe sie noch«, sagte er ruhig.

      Und Helge Börnsen wußte, daß er eine schwere Aufgabe hatte. Er mußte Sigrun sagen, daß es keinen Sinn hatte, auf Stephan Amsinck zu hoffen, gar keinen Sinn.

      *

      Tante Natalie war in letzter Zeit sehr unruhig, so sehr, daß es sogar Susanne auffiel. »Was ist dir nur, Tante Natalie?« fragte Susanne eines Morgens, als sie beim Frühstück saßen.

      Mit aufgeregten Fingern wühlte die sonst so ordentliche Natalie Eggebrecht in der Post, die gerade gekommen war. Sie warf die Briefe achtlos durcheinander, und als sie ihr Suchen beendet hatte, seufzte sie enttäuscht.

      Susanne mußte ihre Frage wiederholen, so vertieft war Natalie in ihre Suche gewesen. Sie schreckte auf. »Was mir ist? Nichts ist mir! Was soll denn schon mit mir sein?« Sie wurde fast ein wenig schroff, so erschrocken war sie, daß Susanne eine Veränderung an ihr bemerkt hatte.

      Susanne lächelte. »Du bist ja ganz nervös, Tante Natalie. Ich habe es doch nicht böse gemeint.«

      *

      Es war am Nachmittag dieses Tages.

      Susanne hatte gerade eine Besprechung mit den Direktoren beendet. Sie fühlte sich müde und erschöpft. Es sah nicht allzu gut aus mit den Eggebrecht-Werken in letzter Zeit, die Aufträge gingen zurück, das war das Schlimmste.

      »Wie blaß du wieder aus­siehst, Kind«, sagte Natalie besorgt. »Ich wünschte, du würdest dich nicht so überanstrengen.« Sie legte Susanne einen Schal um die Schultern.

      Susanne lehnte sich zurück und schloß die Augen. Sie hatte jetzt selber oft das Bedürfnis, auszuruhen und an nichts mehr denken zu müssen. Aber sie mußte sich zusammennehmen. Es ging nun einmal nicht. »Es geht nicht anders, Tantchen«, sagte sie. »Es ist ja niemand da, der es machen kann, seit…«, sie brach ab. Sie fühlte, daß ihr die Tränen kommen wollten, die ihr in letzter Zeit so locker saßen.

      Natalie Eggebrecht wandte den Kopf ab. Sie konnte nicht mitansehen, wie Susanne sich bemühte, ihr Leid zu verbergen.

      Susanne bemerkte ihre Bewegung. »Laß nur, Tante Natalie«, sagte sie herb. »Du brauchst kein Mitleid mit mir zu haben. Ich bin ja selbst schuld. Du weißt doch, wie vermessen ich einmal war. Ich hätte kein Herz, das habe ich selber gesagt. Und jetzt muß ich eben erfahren, daß ich eins habe. Jetzt weiß ich es, du kannst es glauben.«

      Ja, jetzt wußte sie es.

      Weil es weh tat bei jedem Gedanken, jeder Erinnerung an den Mann, der von ihr gegangen war und

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