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      Dora Conradi ärgerte sich, Brettschneider brauchte wirklich nicht so offen zu zeigen, was er dachte. Inge ging ihn nichts an. Aber es passierte hier so wenig, daß man sich nur zu gern mit den anderen beschäftigte, immer in der Hoffnung, irgendeine aufregende Geschichte zu erleben.

      Endlich hatten die beiden Frauen ihr Feld erreicht. Inge ging mit Feuereifer an die Arbeit.

      Die Stunden verrannen. Frau Conradi war bald so erschöpft, daß sie sich an den Wegrand setzen und erst einmal einen Schluck Kaffee trinken mußte. Sie nahm sich vor, diese Arbeit hier sehr bald einzustellen. Es war wirklich eine dumme Überlegung ihrer Schwester, Inge durch schwere körperliche Arbeit jenes Erlebnis vergessen zu lassen, das den Zorn ihrer Mutter heraufbeschworen hatte.

      Dabei hatte Magdalene es nicht einmal für nötig befunden, Dora genauer über die Hintergründe zu informieren. Und Inge selbst konnte man wohl nicht fragen, sicher würde sie alles abstreiten. Wer weiß, was man ihr alles nachsagte! Magdalene war leider viel zu schnell geneigt, dem Gerede anderer Leute zu glauben.

      »So, Tantchen, der Streifen ist nun auch sauber. Was machen wir jetzt?«

      »Nach Hause gehen«, entschied Dora Conradi, Inge war zufrieden. Die Tante fand, daß sie anordnen konnte, was sie wollte, stets gehorchte Inge sofort. Das Mädel war wirklich leicht zu leiten. Sie verstand ihre Schwester nicht. Wenn Inge zu Hause störrisch war, dann mußte es doch irgendwelche Gründe haben.

      »Tantchen«, fragte Inge unterwegs, »wirst du mir wohl eine kleine Bitte erfüllen?«

      »Wenn es möglich ist, warum nicht?« Tante Dora sah ihre Nichte fragend an.

      »Wenn ich dich recht verstehe, willst du also irgendwohin gehen, und ich soll mein Einverständnis dazu geben?«

      »Richtig! Ich habe nämlich noch nie eine Bauernhochzeit mitgemacht, und wir sind doch auch eingeladen.«

      »Jetzt begreife ich«, nickte Dora Conradi. »Die Tochter von Bauer Mertens heiratet, und das ganze Dorf ist eingeladen.«

      »Wir gehen also hin?« freute sich Inge.

      »Ich weiß nicht recht. So eine Einladung darf man hier nicht allzu ernst nehmen, obwohl man uns natürlich nicht hinauswerfen würde.«

      »Ich freue mich so sehr darauf«, beteuerte Inge.

      »Kind, erwarte nicht zuviel. Es geht dort sicher sehr laut zu. Es sind alles nette Leute, aber eben ein bißchen derb. Für dich ist das bestimmt nichts.«

      »Aber Tantchen, bin ich denn aus Porzellan? Und du bist doch auch immer dabei. Wir können ja gehen, wenn es uns nicht mehr gefällt.«

      »Ich will es mir überlegen.«

      »Nein, du mußt es mir gleich versprechen. Bitte, Tantchen!«

      »Also schön, Inge. Deine Mutter wird über meine Nachgiebigkeit jedoch sehr böse sein.«

      Inge war mit ihren Gedanken schon weiter. »Was aber ziehen wir an, Tante? Ein Abendkleid? Ich habe doch nichts von meinen Sachen mitnehmen dürfen.«

      »Hier gehen die Leute bei Festlichkeiten noch in Tracht, Inge.«

      »In Tracht? Das muß ein wunderhübsches Bild geben. Oh, Tantchen, ich habe in dem alten Schrank auf dem Boden gestöbert, das habe ich dir noch gar nicht gesagt, bist du mir deswegen böse?«

      »Wenn du nur nicht solche Gedankensprünge machen wür­dest«, stöhnte Dora Conradi, »was hat der alte Schrank mit der Hochzeit bei Bauer Mertens zu tun?«

      »Weil ich darin ein altes Trachtengewand gefunden ha­be. Es paßt mir bestimmt.«

      »Du bist schrecklich, Inge. Ich glaube wirklich, man muß dich anbinden. Also gut, wir wollen sehen, wie du darin aussiehst.«

      Sie hatten inzwischen das Haus erreicht. Während Dora Conradi nach dem Federvieh sah und dann in der Küche das Essen zubereitet, stieg Inge behende die Bodentreppe hinauf und öffnete den alten Schrank. Ein schwarzer Tuchrock mit bunter Bordüre hing dort, darüber ein Samtmieder mit herrlicher Perlenstickerei. Inge nahm beides heraus und brachte es der Tante. »Eine passende weiße Bluse habe ich noch«, sagte die Tante.

      »Ich ziehe es gleich einmal an, ja?«

      Frau Conradi kam nicht zur Ruhe, nun mußte sie auch noch nach der Bluse suchen, aber es war ihr nichts zuviel, wenn sie in Inges glückliches Gesicht sah, wurde ihr warm ums Herz. Zärtlich strich sie ihr über das blonde Haar.

      »Wenn etwas nicht paßt, können wir es schnell ändern«, sagte sie. »Notfalls tut es auch die alte Schonerten, sie kommt immer zum Wäscheflicken, ist aber auch sonst sehr geschickt.«

      Sie half ihrer Nichte beim Ankleiden. Wirklich, es waren kaum Änderungen nötig. Kritisch besah Inge sich im Spiegel. »Ich kenne mich gar nicht wieder, Tante.«

      Dora Conradi freute sich, wie gut Inge das Trachtenkleid stand! Donnerwetter, die Männer würden Augen machen!

      Doch da erschrak die Tante heftig. Inge würde in Gefahr sein. Die Männer packten hier derb zu! Man war nicht zimperlich. Wie hatte sie nur ihr Einverständnis geben können!

      »Du sagst ja gar nichts, Tantchen, gefalle ich dir nicht? Das offene Haar paßt nicht recht dazu.«

      Ohne auf eine Antwort zu warten, suchte Inge nach einem Samtband. Bald lag das Haar fest am Kopf an, ein großer, offener Knoten, vom schwarzen Samtband durchzogen, ließ das blonde Haar noch heller und leuchtender erscheinen.

      »So werde ich gehen, Tantchen. Du darfst nicht sagen, wer ich bin, hörst du? Wir wollen daraus ein Geheimnis machen. Die Leute werden herumrätseln. Das gibt einen Spaß.«

      *

      Am Nachmittag fuhr Inge wieder zum Baden. Diesmal hatte sie die Tante vorher gefragt.

      Dora Conradi begann zu resignieren. Verbat sie das eine, mußte sie das andere erlauben. Aber hatte sie überhaupt schon etwas verboten?

      Nein, das eben brachte sie nicht fertig, sie hoffte nur, daß Inge wirklich der Mensch war, dem man trauen konnte.

      Inge Gräfenhan fuhr durch den Wald, die Bäume warfen schon lange Schatten, es duftete nach Harz und Kiefernadeln. Nach wenigen Minuten glitzerte vor ihr bereits der dunkelblaue See. Als sie das Ufer erreicht hatte, sprang sie vom Rad und zog sich übermütig das Kleid über den Kopf. Den Badeanzug hatte sie schon zu Hause angezogen. Mit einem mutigen Kopfsprung tauchte sie in das klare Wasser. Es war herrlich erfrischend nach dem heißen Tag.

      Es war nicht nur die Freude am Baden selbst, die sie immer wieder hierher zog. Wenn sie hier draußen allein war, mußte sie an den Mann denken, der ihr vor Wochen begegnet war. An einem kleinen Flußlauf war es gewesen, nicht weit von ihrem elterlichen Haus entfernt.

      Niemals würde sie dieses Erlebnis vergessen. Sie ertappte sich immer wieder dabei, daß sie an den hochgewachsenen braungebrannten Mann dachte, der da plötzlich vor ihr aufgetaucht war und sich mit der größten Selbstverständlichkeit in ihrer Nähe niedergelassen hatte. Zuerst war sie darüber empört gewesen. Der Fluß bot so viele Badestellen, warum mußte er sich gerade zu ihr setzen? Anfangs war sie drauf und dran gewesen, sofort nach Hause zu gehen, dann jedoch hatte sich der Trotz gemeldet. Mußte sie es unbedingt sein, die das Feld räumte? Sie hatte also getan, als wenn sie ihn gar nicht bemerkte. Schließlich hatte er ihr zugelächelt, und durch einen Zufall waren sie dann ins Gespräch gekommen. Ja, und dann hatte sie den Mann nicht vergessen können, bis heute nicht.

      Dabei wußten sie voneinander nichts, nicht einmal vorgestellt hatten sie sich. Die Begegnung war ohne Besonderheiten verlaufen. Und doch, je länger sie zurücklag, desto öfter mußte sie daran denken. Es war beinahe, als hoffte sie, der Fremde könnte auch hier auftauchen, sich genauso still und selbstverständlich zu ihr setzen.

      Es wäre schön gewesen, sehr schön!

      Aber diesen Zufall konnte es nicht geben. Nur daß sie sich eben danach sehnte, und daß diese Sehnsucht so schön war.

      *

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