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Der Oberregierungsrat war der einzige, mit dem man mal ein bißchen erzählen konnte, dem man sein Herz ausschütten durfte. Die gnädige Frau war immer so abweisend.

      Wanda Scholz mühte sich mit dem Tablett ab, ihrer rundlichen Fülle war es nicht eben zuträglich, ein schweres Tablett zu tragen und dann noch die Treppe hinaufgehen zu müssen.

      Vor dem Zimmer des Ober­regierungsrates angekommen, klopfte sie leise, gespannt neigte sie ihren Kopf zur Tür, erwartungsvoll leuchteten ihre Augen. Sie freute sich sehr auf das nächste Viertelstündchen, wenn sie nur nichts Wichtiges zu erzählen vergaß!

      »Herein!« scholl von drinnen die tiefe sonore Stimme Kammermaiers.

      Mit dem Ellbogen drückte Wanda die Tür auf.

      »Ich habe Ihnen eine kleine Erfrischung zurechtgemacht, Herr Oberregierungsrat«, sagte sie und blickte dabei verschämt wie ein junges Mädchen zu Boden.

      »Das war doch wirklich nicht nötig, Wanda. Ich sagte der gnädigen Frau schon, daß ich gut bis zum Abendessen warten könnte.«

      »Nein, nein, das gibt es nicht, Herr Oberregierungsrat, nach der langen Reise.« Besorgte Falten bildeten sich in Wandas Gesicht.

      Herr Kammermaier klopfte ihr den rundlichen Rücken.

      »Bist eine treue Seele, Wanda, der einzige Mensch, der hier ein bißchen Herz zeigt.«

      Wanda blickte geschmeichelt den Oberregierungsrat an. Dem taten seine Worte schon wieder leid. Er wußte doch, daß Wanda Scholz ihn mit ihrer Zuneigung verfolgte. Er benahm sich absichtlich jovial und onkelhaft ihr gegenüber, damit sie um Gottes willen nicht zu falschen Schlüssen kam.

      »Was der Herr Oberregierungsrat da eben sagten, das stimmt nicht so ganz. Es gibt schon noch jemanden hier im Haus, der noch viel gutmütiger und empfindsamer ist als ich, das heißt, der Betreffende mußte aber das Feld räumen.«

      Kammermaier bekam Appetit, als er sah, was die gute Wanda alles vor ihm aufbaute. Er aß gern, besonders wenn es nett und geschmackvoll angerichtet war. Es fehlte dann nur noch ein guter Schluck.

      »Sprechen Sie von Inge?« fragte er zwischendurch.

      »Ja, ja, mußte doch das arme Kind in die Wildnis hinaus.«

      »Na, na, Wanda, übertreiben Sie nicht gleich so! Frau Conradi hat ein hübsches Häuschen, ich möchte meinen, daß Inge sich da nicht einmal die Finger schmutzig zu machen braucht.«

      »Ich will ja nichts sagen, und es geht mich ja auch nichts an, aber ich weiß ganz genau, daß die gnädige Frau befohlen hat, daß Fräulein Inge zwischen anderen Tagelöhnern von morgens bis abends auf dem Feld arbeiten soll.«

      Kammermaier stutzte, davon hatte ihm Magdalene nichts gesagt. Dann jedoch verzog sich sein Mund zu einem amüsierten Lächeln.

      »Wie ist es denn eigentlich herausgekommen, daß Inge einen Freund hat?« fragte er ­drauflos.

      Wanda Scholz mußte erst ­einmal schlucken, dann sagte sie mit grollender Stimme: »Wie sich das anhört, Herr Ober­regierungsrat! Inge ist ein ­paarmal baden gewesen, nichts weiter. Sie hat es mir selber ­erzählt. Aber schließlich ist sie ein hübsches Mädchen, und da finden sich dann bald Männer, die Bekanntschaften machen. Immer, wenn sie an den Fluß fuhr, wartete der Mann bereits. Soll ein hübscher sympathischer Mensch sein, so Mitte Dreißig, also schon älter.«

      »Danke schön«, lachte Kammermaier, »danach wäre ich dann schon ein Urgroßvater.«

      »So habe ich es nicht gemeint«, beteuerte Wanda erschrocken, »ich wollte damit nur sagen, daß er bald fünfzehn Jahre älter als Inge ist.«

      »Schon gut! Er hat also dagesessen und sie angestarrt. Was weiter?« Kammermaier hatte es in unfreundlicherem Ton als bisher gefragt. Er empfand plötzlich so etwas wie Eifersucht gegenüber diesem unbekannten Mann. Da hatte Inge also im Badekostüm die bewundernden Blicke eines Fremden ertragen müssen. Womöglich fand sie das noch nett. Aber was wollte er denn? Er war ihr ein guter alter Onkel, der sich früher oder später daran gewöhnen mußte, daß ein anderer Mann ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich zog.

      »Was weiter? Gar nichts weiter«, antwortete Wanda jetzt. »Vielleicht haben sie mal ein paar Worte zusammen gesprochen, jedenfalls hat das Inges Freundin gesehen, die Lucie ­Lawrenz.«

      Kammermaier zog die Mundwinkel herab, nun konnte er sich alles weitere denken. Dieses spitznasige, bebrillte Geschöpf, mit den hinterhältigen, lauernden Augen war natürlich zu ihrer Mutter, der Oberstudienrätin Lawrenz gelaufen, und die hatte es natürlich brühwarm Magdalene wiedererzählt. Warum Inge sich gerade diese Lucie als Freundin gewählt hatte, das war ihm stets unbegreiflich gewesen. Doch es war wohl auch hier so, wie bei allem, was Inges Leben betraf, es geschah auf Wunsch und Anordnung der Mutter.

      Kammermaier hatte sich den Leckerbissen zugewandt, die von Wanda auf den Tisch gestellt worden waren. Wenn er jedoch erwartet hatte, daß die rundliche Köchin ihn nun verließ, so täuschte er sich. Offensichtlich wartete sie darauf, einen Platz angeboten zu bekommen.

      Lächelnd dachte Kammermaier an Magdalene Gräfenhan. Seine schöne Verwandte würde kurzen Prozeß machen. Er aber brachte es nicht fertig, Wanda einfach hinauszuwerfen. Sie meinte es doch gut mit ihm.

      »Haben Sie die Vorbereitungen für die heutige Abendgesellschaft schon beendet?« fragte er zunächst einmal.

      »Heute vormittag schon, Herr Oberregierungsrat. Das mache ich immer, falls sich in den letzten Stunden noch etwas anderes ergibt.«

      Wanda Scholz stand wie eine Säule und rührte sich nicht.

      »Wie macht sich eigentlich der Sekretär der gnädigen Frau?« fragte der Oberregierungsrat, als die Stille peinlich zu werden begann.

      »Der Antonius Kallweit? Ein verrückter Kerl, sage ich Ihnen!«

      »Und ich dachte, er wäre ganz tüchtig.«

      »Das ist er sicher, sonst hätte ihn die gnädige Frau längst hinausgeworfen. Aber man wird selbst ganz nervös, wenn man mit ihm zusammen ist. Wenn er bei mir in der Küche ist, dann dauert es meistens nicht lange, und ich gieße die Milch in den Ausguß und das Abwaschwasser in den Milchtopf. Der Kerl macht einen ganz nervös. Er hampelt herum und scheint nur aus Angst und Ungeschicklichkeit zusammengesetzt zu sein. Aber der Lisbeth macht er schöne Augen, dafür langt es noch.«

      »Was Sie nicht sagen!« tat Kammermaier erstaunt und amüsierte sich.

      »Aber die Lisbeth läßt ihn natürlich abfahren«, erzählte Wanda Scholz weiter, »die hat ganz andere Männer, besonders jetzt, nachdem Inge fort ist.«

      »Warum denn das? Hat Inge sonst einen guten Einfluß auf Lisbeth ausgeübt?«

      »Na ja, das wohl auch. Aber ich habe sie neulich erwischt, als sie sich eins von Inges Kleidern anzog und damit zu einem Stelldichein ging.«

      Der Oberregierungsrat richtete sich steil auf.

      »Das ist ja unerhört! Sie haben es sofort der gnädigen Frau gesagt, nicht wahr?«

      »Nein, das habe ich nicht.«

      »Aber Wanda! Bedenken Sie doch, wohin eine derartige Unredlichkeit führen kann.«

      Die rundliche Köchin war in Bewegung geraten. Hatte man ihr bisher keinen Platz angeboten, so setzte sie sich jetzt unaufgefordert.

      »Weiß ich, weiß ich alles, Herr Oberregierungsrat. Der Schwindel wird ja auch bald platzen. Ich habe Lisbeth nämlich im Verdacht, daß sie sich ihren Bekannten gegenüber als die Tochter der gnädigen Frau ausgibt.«

      »Das wird ja immer seltsamer«, sagte Kammermaier laut und legte das Eßbesteck hin.

      »Wahrscheinlich glaubt sie, eine gute Partie machen zu können«, versuchte Wanda jetzt Lisbeths Verhalten zu erklären. »Ich meine jedoch, das sind selbst Betrüger, mit denen sie sich abgibt. Und darum wollte ich Ihnen das alles erzählen, Herr Oberregierungsrat. Die gnädige Frau würde das nur unnütz aufregen.«

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